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 Harald Kloiber

Zur Livius-Lektüre im Leistungskurs Latein - Probleme und Lösungsansätze

Projektskizze zur Auseinandersetzung mit Porsenna, Livius II, 9-15

Teil I

Probleme bei der Liviuslektüre

Livius gilt gemeinhin als Angstgegner der Kollegiaten im Leistungskurs Latein des bayerischen Gymnasiums. Die Schwierigkeiten der Schüler mit livianischem Vokabular, Satzbau und Stil bilden dabei aber nicht das alleinige Problem. Vor allem die Textauswahl der gängigen Schulausgaben bedingt in der Praxis häufig eine Reduzierung des Autors auf die Vorstellung von Livius als einem Exempla-Autor, der literaturgeschichtlich freilich als Historiograph behandelt wird. Unter anderem ist es diese Diskrepanz, die Livius in den Augen von sonst häufig an Cicero und Seneca geschulten Abiturienten als wenig griffig erscheinen lässt, denn die Möglichkeit, einen Autor gattungsgeschichtlich einzuordnen, erleichtert den Oberstufenschülern den Zugang zu den Texten. Es ist nicht nur ein Ergebnis moderner Leseforschung, sondern auch eine alte Schul– und Lehrerweisheit, dass eine gewisse Vertrautheit mit einem Autor oder einer Textgattung die Durchdringung des zu lesenden Textes nachhaltig fördert. Dass Livius heute primär als Erzähler und nicht als Historiograph betrachtet und den Schülern vorgestellt wird, ist aber nicht die Schuld der Herausgeber von Schulausgaben, sondern resultiert aus der permanenten Auseinandersetzung der älteren klassischen Philologie mit der historischen Glaubwürdigkeit eines Autors, dem man immer wieder plumpe Geschichtsfälschung vorgeworfen hat. Es war daher nur logisch, dass die jüngere Liviusforschung sich lieber mit dem Erzähler Livius als mit dem Geschichtsschreiber auseinander setzte. Die didaktischen Chancen, die gerade die Beschäftigung mit dem Geschichtsbild des Livius im Vergleich zu Sallust und Tacitus bietet, blieben dadurch weitgehend ungenutzt. Mit dem vorliegenden Projekt soll versucht werden, Livius auch in der Schule wieder stärker als Historiographen zu profilieren, ohne freilich auf eine Würdigung der erzählerischen Qualitäten des Autors zu verzichten.

Lösungsansätze

Um dies möglich zu machen, ist die Lektüre eines geschlossenen, aber überschaubaren Textzusammenhangs nötig, der alle repräsentativen Elemente livianischer Geschichtsschreibung enthält. Nur so ist eine Würdigung des Autors sowohl in seiner Eigenschaft als Historiograph als auch in der des Erzählers möglich. Die Analyse der Aussageabsicht soll dabei unter Berücksichtigung des kontrastiven Verfahrens erfolgen. Die Darstellung des Livius wird mit der von anderen Historiographen, mit der Parallelüberlieferung und mit den Quellen zum Liviustext verglichen.


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Projektbeschreibung

Die vorliegende Arbeit versucht, den obigen Forderungen an eine neue Interpretation von Livius als Autor gerecht zu werden. Es handelt sich um eine Skizze zu einem Lektüreprojekt, in dem die Auseinandersetzung der Römer mit dem Etruskerfürsten Porsenna thematisiert wird. Der Originaltext umfasst die Kapitel 9 bis 15 des zweiten Buches bei Livius, einbezogen werden aber auch die Parallelüberlieferung zum Liviustext bei Dionysius von Halikarnass und weitere Testimonien zur Cloelia-Episode. Die Analyse von Motiventwicklungslinien innerhalb der sieben Kapitel des Originaltextes und damit über die Grenzen der Einzelerzählungen hinaus soll eine vertiefende Interpretation im Sinne der fachspezifischen Wissenschaftspropädeutik ermöglichen und gleichzeitig der Missdeutung von Livius als reinem Exempla-Autor Vorschub leisten. Ausgehend vom Vergleich der Cloelia-Episode bei Livius und in der Parallelüberlieferung wird schließlich die Aussageabsicht des Autors zu erschließen sein.

Didaktische Begründung

Die Darstellung des Porsennakrieges eignet sich aus mehreren Gründen besonders gut als Textbasis für die formulierten Ziele. Zunächst ist die Behandlung der Rezeption der Cloelia-Episode anhand von Bearbeitungen von Boccaccio und Steinhöwel mit jeweils anderer Aussageabsicht gut möglich. Außerdem vermittelt die große Dichte an "livianischen Einzelepisoden" verbunden mit der Darstellung von Kämpfen und Friedensverhandlungen ein repräsentatives Bild der für Livius typischen Art der Geschichtsschreibung. Diese Wirkung wird durch die Lektüre eines geschlossenen Erzählzusammenhangs anstelle von thematisch ausgewählten, kürzeren Textpassagen noch verstärkt. Der abwechslungsreiche sprachliche Stil der Passage führt die Schüler zudem in die verschiedenen Formen livianischen Schreibens ein: Annalistische Darstellungsmittel finden sich hier ebenso wie Stilelemente der Einzelerzählung, angefangen von direkter und indirekter Rede über die Darstellung aus personaler Perspektive, Perspektivenwechsel, Zeitdehnung und Zeitraffung bis hin zu erlebnisnahem Erzählen und der Anlehnung der Gliederungsschemata an das Drama.

Auch der Vergleich zur Parallelüberlieferung ist problemlos möglich, da durch die Arbeit von Tränkle, 1965, die Quellenlage für den behandelten Textabschnitt gesichert ist. Dionysius von Halikarnass kann als ein Zeitgenosse von Livius angesehen werden. Beide fußen auf jüngeren Annalisten als Quellen, wobei - auch aufgrund einer veränderten Interessenlage und Aussageabsicht - Livius sich weiter von den Quellen entfernt als Dionysius. Selbst wenn man unterstellt, dass die Änderungen, die sich bei Livius gegenüber der jüngeren annalistischen Tradition nachweisen lassen, nicht von ihm selbst, sondern von einer Zwischenquelle stammen, hat er sich doch - trotz Kenntnis der Parallelüberlieferung – ausdrücklich für diese von ihm weitertradierte Version entschieden, wodurch die Analyse der Autorintention methodisch gesichert ist. Die Passage insgesamt ist fachwissenschaftlich durch den genannten Beitrag von Tränkle, 1965, und die Ausführungen von Lefèvre, 1983, zu Elementen der Einzelerzählung und zur sprachlichen Gestaltung gut erschlossen.


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In einer viel beachteten Arbeit von 1995 hat Monika Dodell aufgezeigt, welche Möglichkeiten die Analyse des Einsatzes von Leitmotivtechnik in Bezug auf das Motiv der libertas in den ersten Kapiteln des zweiten Buches bietet. Diese Betrachtungsweise lässt sich in den Kapiteln 9 bis 15 sogar noch intensivieren, da hier ständig für das livianische Werk typische Werte wie fides, pietas, consilium, fortuna usw. anzitiert werden. Auch Rückbezüge zu den Aussagen des Autors im Proöm sind an zahlreichen Stellen möglich.

Der in der vorliegenden Projektskizze propagierte Vergleich des lateinischen Originals mit den Quellen ist ein für das Fach typisches Verfahren und kann daher im Sinne der wissenschaftspropädeutischen Aufgaben eines Leistungskurses jederzeit gerechtfertigt werden, zumal man dem Kollegiaten die Arbeit mit den Quellentexten durch gezielte Leitfragen, Gruppen- und Partnerarbeit sowie den Einsatz von strukturierenden Arbeitshilfen wie Tabellen usw. erheblich erleichtern kann.

Didaktische Konzeption

Die Erfahrung von zwei Leistungskursen in vier Jahren zeigt, dass das vorgestellte Projekt trotz eines zum Teil nicht zu unterschätzenden Anspruchsniveaus von den Schülern nicht nur gut bewältigt werden kann, sondern für sie auch einen echten Wissenszugewinn in Bezug auf Livius als einen möglichen Autor für das Abitur bedeutet. Voraussetzung ist dabei freilich ein didaktisch reflektierter und auf die Vorkenntnisse der Schüler abgestimmter Einsatz des vorliegenden Materials. Um dem Schüler die historische Einbettung des Porsennakrieges zu ermöglichen, sollte zunächst kurz seine Vorgeschichte aufgearbeitet werden. Dies geschieht am besten anhand von Schülerreferaten oder der Lektüre der entsprechenden Periochae zu Buch I und II, 1 - 8 mit folgenden Schwerpunkten:
1) Vertreibung der Tarquinier;
2) Auseinandersetzung der Konsuln Brutus und Collatinus;
3) Aufstand junger Adeliger gegen die Republik und deren Bestrafung;
4) Leitmotiv der libertas;

Anschließend sollte der Livius-Text unter Berücksichtigung der entsprechenden Parallelüberlieferung erarbeitet werden. Die Unterstreichungen und der Fettdruck in der vorliegenden Fassung dienen der Steigerung der Übersichtlichkeit im Vorfeld der Interpretation des Textes. Bei der an die Schüler ausgegebenen Textfassung wird man diese graphischen Hilfen wohl tilgen. Auf eine Kommentierung des Textes wurde im Sinne der konkreten Abiturvorbereitung bewusst verzichtet. Der Kollegiat soll lernen, den Text allein mit den im Lexikon auffindbaren Hilfen zu erschließen.


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 Dies ist erfahrungsgemäß am Anfang recht mühsam, doch gewöhnen sich die Schüler relativ schnell an diese Situation und bestätigen nach dem Abitur auch ausdrücklich, dass gerade die Lektüre von anspruchsvolleren Prosatexten zu Cicero, Seneca und Livius ohne Kommentierung sie am besten auf die Übersetzung in der Abiturprüfung vorbereitet hat. Beim Vergleich der Darstellung des Porsennakrieges bei Dionysios von Halikarnass und bei Livius sowie der Gegenüberstellung der Einzelerzählungen sollte mit strukturierenden Lernhilfen gearbeitet werden, indem man die linke Spalte im Sinne einer Leitfrage nutzt. Besondere Bedeutung kommt hierbei der Spalte bzw. Zeile zu, in die die Leitmotive eingetragen werden. Für die sprachlich-stilistische Analyse bietet sich an, jeweils repräsentative Abschnitte mit annalistischem Stil bzw. mit für die Einzelerzählung typischen Gestaltungsmitteln bereits im Rahmen der Textarbeit zu besprechen und die Ergebnisse ad hoc in geeigneter Weise zu sichern. Vor allem der Vergleich der Cloelia-Episode bei Livius mit weiteren Testimonien zur Cloelia-Sage und eine Einbettung der Interpretation dieses Textabschnittes in die Gesamtdeutung der Darstellung des Porsennakrieges soll schließlich zeigen, dass man Livius nicht nur auf der Grundlage der Erkenntnisse zu den einzelnen Episoden interpretieren darf, sondern das Umfeld der Einzelepisoden stets berücksichtigen muss. Die Auseinandersetzung mit den Rezeptionsdokumenten der Cloelia-Erzählung bei Boccaccio und Steinhöwel sollen den Kollegiaten schließlich vor Augen führen, dass Interpretationen stets auch vom soziokulturellen Umfeld des Interpreten beeinflusst sind.

Die hier präsentierte Zusammenstellung von Materialien soll zunächst in die Thematik einführen und enthält die Texte und Ergebniszusammenfassungen, die auch der Schüler am Ende der Unterrichtssequenz zur Verfügung hat. In der nächsten Ausgabe von Pegasus werden Einzelinterpretationen zu den Texten und Übersichten die Zusammenschau der Ergebnisse näher beleuchten und vertiefen.

Die Auseinandersetzung mit Porsenna, Livius II, 9-15

Gründe für die Beteiligung Porsennas am Krieg gegen die Römer:

Kap. 9: (1) Inde P. Valerius iterum, T. Lucretius consules facti. Iam Tarquinii ad Lartem Porsennam, Clusinum regem, perfugerant. Ibi miscendo consilium precesque nunc orabant, ne se, oriundos ex Etruscis, eiusdem sanguinis nominisque, egentes exulare pateretur, (2) nunc monebant etiam, ne orientem morem pellendi reges inultum sineret. Satis libertatem ipsam habere dulcedinis. (3) Nisi, quanta vi civitates eam expetant, tanta regna reges defendant, aequari summa infimis; nihil excelsum, nihil, quod supra cetera emineat, in civitatibus fore; adesse finem regnis, rei inter deos hominesque pulcherrimae. (4) Porsenna cum regem esse Romae, tum Etruscae gentis regem amplum Tuscis ratus Romam infesto exercitu venit.


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Die Reaktion der Römer:

(5) Non umquam alias ante tantus terror senatum invasit; adeo valida res tum Clusina erat magnumque Porsennae nomen. Nec hostes modo timebant, sed suosmet ipsi cives, ne Romana plebs, metu perculsa, receptis in urbem regibus vel cum servitute pacem acciperet. (6) Multa igitur blandimenta plebi per id tempus ab senatu data. Annonae in primis habita cura, et ad frumentum comparandum missi alii in Volscos, alii Cumas. Salis quoque vendendi arbitrium, quia impenso pretio venibat, in publicum omne sumptum, ademptum privatis; portoriisque et tributo plebes liberata, ut divites conferrent, qui oneri ferendo essent: pauperes satis stipendii pendere, si liberos educent. (7) Itaque haec indulgentia patrum asperis postmodum rebus in obsidione ac fame adeo concordem civitatem tenuit, ut regium nomen non summi magis quam infimi horrerent (8) nec quisquam unus malis artibus postea tam popularis esset, quam tum bene imperando universus senatus fuit.

Die Horatius-Cocles-Episode:

Kap. 10: (1) Cum hostes adessent, pro se quisque in urbem ex agris demigrant, urbem ipsam saepiunt praesidiis. Alia muris, alia Tiberi obiecto videbantur tuta: (2) pons sublicius iter paene hostibus dedit, ni unus vir fuisset, Horatius Cocles; id munimentum illo die fortuna urbis Romanae habuit. (3) Qui positus forte in statione pontis, cum captum repentino impetu Ianiculum atque inde citatos decurrere hostes vidisset trepidamque turbam suorum arma ordinesque relinquere, reprehensans singulos, obsistens obtestansque deum et hominum fidem testabatur nequiquam deserto praesidio eos fugere; (4) si transitum pontem a tergo reliquissent, iam plus hostium in Palatio Capitolioque quam in Ianiculo fore. Itaque monere, praedicere, ut pontem ferro, igni, quacumque vi possint, interrumpant: se impetum hostium, quantum corpore uno posset obsisti, excepturum. (5) Vadit inde in primum aditum pontis, insignisque inter conspecta cedentium pugnae terga obversis comminus ad ineundum proelium armis ipso miraculo audaciae obstupefecit hostis. (6) Duos tamen cum eo pudor tenuit, Sp. Larcium ac T. Herminium, ambos claros genere factisque. (7) Cum his primam periculi procellam et, quod tumultuosissimum pugnae erat, parumper sustinuit; deinde eos quoque ipsos exigua parte pontis relicta revocantibus, qui rescindebant, cedere in tutum coegit.

(8) Circumferens inde truces minaciter oculos ad proceres Etruscorum nunc singulos provocare, nunc increpare omnes: servitia regum superborum, suae libertatis immemores alienam oppugnatum venire. (9) Cunctati aliquamdiu sunt, dum alius alium, ut proelium incipiant, circumspectant. Pudor deinde commovit aciem, et clamore sublato undique in unum hostem tela coniciunt. (10) Quae cum in obiecto cuncta scuto haesissent, neque ille minus obstinatus ingenti pontem obtineret gradu, iam impetu conabantur detrudere virum, cum simul fragor rupti pontis, simul clamor Romanorum alacritate perfecti operis sublatus, pavore subito impetum sustinuit. (11) Tum Cocles "Tiberine pater" inquit, "te sancte precor, haec arma et hunc militem propitio flumine accipias." Ita sic armatus in Tiberim desiluit multisque superincidentibus telis incolumis ad suos tranavit, rem ausus plus famae habituram ad posteros quam fidei.


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(12) Grata erga tantam virtutem civitas fuit: statua in comitio posita; agri quantum uno die circumaravit, datum. (13) Privata quoque inter publicos honores studia eminebant; nam in magna inopia pro domesticis copiis unusquisque ei aliquid, fraudans se ipse victu suo, contulit.

Die Belagerung Roms durch Porsenna:

Kap. 11: (1) Porsenna primo conatu repulsus, consiliis ab oppugnanda urbe ad obsidendam versis, praesidio in Ianiculo locato ipse in plano ripisque Tiberis castra posuit navibus undique accitis (2) et ad custodiam, ne quid Romam frumenti subvehi sineret, et ut praedatum milites trans flumen per occasiones aliis atque aliis locis traiceret; (3) brevique adeo infestum omnem Romanum agrum reddidit, ut non cetera solum ex agris, sed pecus quoque omne in urbem compelleretur, neque quisquam extra portas propellere auderet.

Die Reaktion der Römer:

(4) Hoc tantum licentiae Etruscis non metu magis quam consilio concessum. Namque Valerius consul, intentus in occasionem multos simul et effusos improviso adoriundi, in parvis rebus neglegens ultor, gravem se ad maiora vindicem servabat. (5) Itaque ut eliceret praedatores, edicit suis, postero die frequentes porta Esquilina, quae aversissima ab hoste erat, expellerent pecus, scituros id hostes ratus, quod in obsidione et fame servitia infida transfugerent. (6) Et sciere perfugae indicio, multoque plures, ut in spem universae praedae, flumen traiciunt. (7) P. Valerius inde T. Herminium cum modicis copiis ad secundum lapidem Gabina via occultum considere iubet, Sp. Larcium cum expedita iuventute ad portam Collinam stare, donec hostis praetereat, inde se obicere, ne sit ad flumen reditus. (8) Consulum alter T. Lucretius porta Naevia cum aliquot manipulis militum egressus, ipse Valerius Caelio monte cohortes delectas educit, hique primi apparuere hosti. (9) Herminius ubi tumultum sensit, concurrit ex insidiis versisque in Lucretium Etruscis terga caedit; dextra laevaque, hinc a porta Collina, illinc ab Naevia, redditus clamor; (10) ita caesi in medio praedatores neque ad pugnam viribus pares et ad fugam saeptis omnibus viis. Finisque ille tam effuse vagandi Etruscis fuit.

Die Mucius-Scaevola-Episode:

Kap. 12: (1) Obsidio erat nihilo minus et frumenti cum summa caritate inopia, sedendoque expugnaturum se urbem spem Porsenna habebat, (2) cum C. Mucius, adulescens nobilis, cui indignum videbatur populum Romanum servientem, cum sub regibus esset, nullo bello nec ab hostibus ullis obsessum esse, liberum eundem populum ab iisdem Etruscis obsideri, quorum saepe exercitus fuderit-; (3) itaque magno audacique aliquo facinore eam indignitatem vindicandam ratus, primo sua sponte penetrare in hostium castra constituit;


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(4) Dein metuens, ne, si consulum iniussu et ignaris omnibus iret, forte deprehensus a custodibus Romanis retraheretur ut transfuga, fortuna tum urbis crimen adfirmante, senatum adit. (5) "Transire Tiberim" inquit, "patres, et intrare, si possim, castra hostium volo, non praedo nec populationum in vicem ultor; maius, si di iuvant, in animo est facinus." Approbant patres. Abdito intra vestem ferro proficiscitur. (6) Ubi eo venit, in confertissima turba prope regium tribunal constitit. (7) Ibi cum stipendium militibus forte daretur et scriba cum rege sedens pari fere ornatu multa ageret eum<que> milites vulgo adirent, timens sciscitari, uter Porsenna esset, ne ignorando regem semet ipse aperiret, quis esset, quo temere traxit fortuna facinus, scribam pro rege obtruncat.

(8) Vadentem inde, qua per trepidam turbam cruento mucrone sibi ipse fecerat viam, cum concursu ad clamorem facto comprehensum regii satellites retraxissent, ante tribunal regis destitutus, tum quoque inter tantas fortunae minas metuendus magis quam metuens (9) "Romanus sum" inquit "civis; C. Mucium vocant. Hostis hostem occidere volui, nec ad mortem minus animi est, quam fuit ad caedem: et facere et pati fortia Romanum est. (10) Nec unus in te ego hos animos gessi; longus post me ordo est idem petentium decus. Proinde in hoc discrimen, si iuvat, accingere, ut in singulas horas capite dimices tuo, ferrum hostemque in vestibulo habeas regiae. (11) Hoc tibi iuventus Romana indicimus bellum. Nullam aciem, nullum proelium timueris; uni tibi et cum singulis res erit." (12) Cum rex simul ira infensus periculoque conterritus circumdari ignes minitabundus iuberet, nisi expromeret propere, quas insidiarum sibi minas per ambages iaceret, (13) "En tibi" inquit, "ut sentias, quam vile corpus sit iis, qui magnam gloriam vident!"; dextramque accenso ad sacrificium foculo inicit. Quam cum velut alienato ab sensu torreret animo, prope attonitus miraculo rex cum ab sede sua prosiluisset amoverique ab altaribus iuvenem iussisset, (14) "Tu vero abi" inquit "in te magis quam in me hostilia ausus. Iuberem macte virtute esse, si pro mea patria ista virtus staret; nunc iure belli liberum te, intactum inviolatumque hinc dimitto." (15) Tunc Mucius quasi remunerans meritum "Quando quidem" inquit "est apud te virtuti honos, ut beneficio tuleris a me, quod minis nequisti: trecenti coniuravimus principes iuventutis Romanae, ut in te hac via grassaremur. (16) Mea prima sors fuit; ceteri, utcumque ceciderit primi<s>, quoad te opportunum fortuna dederit, suo quisque tempore aderunt."

Porsennas Verhandlungen mit den Römern:

Kap. 13: (1) Mucium dimissum, cui postea Scaevolae a clade dextrae manus cognomen inditum, legati a Porsenna Romam secuti sunt; (2) adeo moverat eum et primi periculi casus, <a> quo nihil se praeter errorem insidiatoris texisset, et subeunda dimicatio totiens, quot coniurati superessent, ut pacis condiciones ultro ferret Romanis.


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Die Reaktion der Römer:

(3) Iactatum in condicionibus nequiquam de Tarquiniis in regnum restituendis, magis quia id negare ipse nequiverat Tarquiniis, quam quod negatum iri sibi ab Romanis ignoraret. (4) De agro Veientibus restituendo impetratum, expressaque necessitas obsides dandi Romanis, si Ianiculo praesidium deduci vellent. His condicionibus composita pace exercitum ab Ianiculo deduxit Porsenna et agro Romano excessit. (5) Patres C. Mucio virtutis causa trans Tiberim agrum dono dedere, quae postea sunt Mucia prata appellata.

Die Cloelia-Episode:

(6) Ergo ita honorata virtute feminae quoque ad publica decora excitatae, et Cloelia virgo, una ex obsidibus, cum castra Etruscorum forte haud procul ripa Tiberis locata essent, frustrata custodes, dux agminis virginum inter tela hostium Tiberim tranavit sospitesque omnes Romam ad propinquos restituit.

(7) Quod ubi regi nuntiatum est, primo incensus ira oratores Romam misit ad Cloeliam obsidem deposcendam: alias haud magni facere. (8) Deinde in admirationem versus supra Coclites Muciosque dicere id facinus esse et prae se ferre, quemadmodum, si non dedatur obses, pro rupto foedus se habiturum, sic deditam <intactam> inviolatamque ad suos remissurum. (9) Utrimque constitit fides: et Romani pignus pacis ex foedere restituerunt, et apud regem Etruscum non tuta solum, sed honorata etiam virtus fuit, laudatamque virginem parte obsidum se donare dixit; ipsa, quos vellet, legeret. (10) Productis omnibus elegisse impubes dicitur, quod et virginitati decorum et consensu obsidum ipsorum probabile erat eam aetatem potissimum liberari ab hoste, quae maxime opportuna iniuriae esset.

(11) Pace redintegrata Romani novam in femina virtutem novo genere honoris, statua equestri, donavere: in summa Sacra via fuit posita virgo insidens equo.

Porsennas Hilfe für die Römer in Not:

Kap. 14: (1) Huic tam pacatae profectioni ab urbe regis Etrusci abhorrens mos traditus ab antiquis usque ad nostram aetatem inter cetera sollemnia manet bona Porsennae regis vendendi. (2) Cuius originem moris necesse est aut inter bellum natam esse neque omissam in pace aut a mitiore crevisse principio, quam hic prae se ferat titulus bona hostiliter vendendi. (3) Proximum vero est ex iis, quae traduntur, Porsennam discedentem ab Ianiculo castra opulenta convecto ex propinquis ac fertilibus Etruriae arvis commeatu Romanis dono dedisse, inopi tum urbe ab longinqua obsidione; (4) ea deinde, ne populo immisso diriperentur hostiliter, venisse bonaque Porsennae appellata, gratiam muneris magis significante titulo quam auctionem fortunae regiae, quae ne in potestate quidem populi Romani esset.


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Roms Milde gegenüber ehemaligen Feinden:

(5) Omisso Romano bello Porsenna, ne frustra in ea loca exercitus adductus videretur, cum parte copiarum filium Arruntem Ariciam oppugnatum mittit. (6) Primo Aricinos res necopinata perculerat; arcessita deinde auxilia et a Latinis populis et a Cumis tantum spei fecere, ut acie decernere auderent. Proelio inito adeo concitato impetu se intulerant Etrusci, ut funderent ipso incursu Aricinos; (7) Cumanae cohortes arte adversus vim usae declinavere paululum effuseque praelatos hostes conversis signis ab tergo adortae sunt. Ita in medio prope iam victores caesi Etrusci. (8) Pars perexigua, duce amisso, quia nullum propius perfugium erat, Romam inermes et fortuna et specie supplicum delati sunt. (9) Ibi benigne excepti divisique in hospitia. Curatis vulneribus alii profecti domos, nuntii hospitalium beneficiorum: multos Romae hospitum urbisque caritas tenuit. His locus ad habitandum datus, quem deinde Tuscum vicum appellarunt.

Der Friedensschluss mit Porsenna:

Kap. 15: (1) P. Lucretius inde et P. Valerius Publicola consules facti. Eo anno postremum legati a Porsenna de reducendo in regnum Tarquinio venerunt. Quibus cum responsum esset missurum ad regem senatum legatos, missi confestim honoratissimus quisque e patribus: (2) non quin breviter reddi responsum potuerit non recipi reges, ideo potius delectos patrum ad eum missos, quam legatis eius Romae daretur responsum, sed ut in perpetuum mentio eius rei finiretur, neu in tantis mutuis beneficiis in vicem animi sollicitarentur, cum ille peteret, quod contra libertatem populi Romani esset, Romani, nisi in perniciem suam faciles esse vellent, negarent, cui nihil negatum vellent. (3) Non in regno populum Romanum, sed in libertate esse. Ita induxisse in animum, hostibus potius quam regibus portas patefacere; ea esse vota omnium, ut, qui libertati erit in illa urbe finis, idem urbi sit. (4) Proinde si salvam esse vellet Romam, ut patiatur liberam esse orare. (5) Rex verecundia victus "Quando id certum atque obstinatum est" inquit, "neque ego obtundam saepius eadem nequiquam agendo nec Tarquinios spe auxilii, quod nullum in me est, frustrabor. Alium hinc, seu bello opus est seu quiete, exilio quaerant locum, ne quid meam vobiscum pacem distineat." (6) Dictis facta amiciora adiecit: obsidum quod reliquum erat, reddidit, agrum Veientem foedere ad Ianiculum icto ademptum restituit. (7) Tarquinius spe omni reditus incisa exulatum ad generum Mamilium Octavium Tusculum abiit. Ita Romanis pax fida cum Porsenna fuit.

 

Testimonien zur Cloelia-Episode

Val. Max., Facta et dicta memorabilia 3,2,2 (entstanden zwischen 31 und 37 n. Chr.):

Immemorem me propositi mei Cloelia facit, paene eadem enim tempestate, certe adversus eundem hostem et in eodem Tiberi inclutum ausa facinus: inter ceteras enim virgines obses Porsennae data +hostium+ nocturno tempore custodiam egressa equum conscendit celerique traiectu fluminis non solum obsidio se, sed etiam metu patriam solvit, viris puella lumen virtutis praeferendo.


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Plin. Nat. hist., 34, 28f. (Lebensdaten: 23-79 n. Chr.):

(28) Pedestres (sc. statuae) sine dubio Romae fuere in auctoritate longo tempore; et equestrium tamen origo perquam vetus est, cum feminis etiam honore communicato Cloeliae statua equestri, ceu parum esset toga eam cingi, cum Lucretiae ac Bruto, qui expulerant reges, propter quos Cloelia inter obsides fuerat, non decernerentur. (29) Hanc primam cum Coclitis publice dicatam crediderim — Atto enim ac Sibyllae Tarquinium, ac reges sibi ipsos posuisse verisimile est —, nisi Cloeliae quoque Piso (sc. L. Calpurnius Piso) traderet ab iis positam, qui una opsides fuissent, redditis a Porsina in honorem eius. E diverso Annius Fetialis equestrem, quae fuerit contra Iovis Statoris aedem in vestibulo Superbi domus, Valeriae fuisse, Publicolae consulis filiae, eamque solam refugisse Tiberimque transnatavisse ceteris opsidibus, qui Porsinae mittebantur, interemptis Tarquinii insidiis.

Anmerkungen:

L. Calpurnius Piso Frugi: annalistischer Geschichtsschreiber, 2. Jh. v. Chr., cons. 133, cens. 120, moralisierender Geschichtsschreiber, Quellenautor für Livius und Dionys von Halikarnass;

Annius Fetialis: römischer Historiker, wahrscheinlich aus dem 1. Jh. n. Chr.;

 

Florus, Epitomae de Tito Livio bellorum omnium annorum 1, IV (= Bellum Etruscum cum rege Porsenna) (= al. 1, X) (2. Jh. n. Chr.):

(...) Tum illa tria Romani nominis prodigia atque miracula, Horatius, Mucius, Cloelia, qui nisi in annalibus forent, hodie fabulae viderentur. Quippe Horatius Cocles, postquam hostes undique instantes solus submovere non poterat, ponte rescisso transnatat Tiberim nec arma dimittit. Mucius Scaevola regem per insidias in castris ipsius adgreditur, sed ubi frustrato circa purpuratum eius ictu tenetur, ardentibus focis inicit manum terroremque geminat dolo. "En, ut scias" inquit, "quem virum effugeris; idem trecenti iuravimus"; cum interim - inmane dictu - hic interritus, ille trepidaret, tamquam manus regis arderet. Sic quidem viri; sed ne qui sexus a laude cessaret, ecce et virginum virtus: una ex opsidibus regi datis elapsa custodiam, Cloelia, per patrium flumen equitabat. Et rex quidem tot tantisque virtutum territus monstris valere liberosque esse iussit. Tarquinii tamen tam diu dimicaverunt, donec Arruntem filium regis manu sua Brutus occidit superque ipsum mutuo volnere exspiravit, plane quasi adulterum ad inferos usque sequeretur.

Giovanni Boccaccio, De claris mulieribus, erschienen 1362
(hg. Vittorio Zaccaria, Mailand 21970, S. 212- 214):

LII) De Cloelia romana virgine.

Cloelia insignis virgo romana, a quibus parentibus originem traxerit, aut posteris non reliquere priores, aut vetustate abolitum est; sed eam ex claris


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 natam satis arbitrari potest, cum generositas testetur animi et quia pacis obses inter alios nobiles Romanorum, Porsenne Etruscorum regi, tempore belli Tarquinii Superbi, data sit. Cuius ut laudandam audaciam verbis amplioribus explicem, advertendum est quoniam, pulso Tarquinio Superbo ob scelus enorme in Lucretiam patratum, nec succederent temptanti reditum fraudes, in bellum patens ventum est. In quod cum venisset Porsenna rex clusinus, precibus Tarquinii accitus et, probitate Oratii Coclitis pontem Sublicium defendentis, Etrusci amoverentur a transitu et, Mutii Scevole audacia atque commento territus, venisset in concordiam Romanorum et ad servandam suscepisset obsides plures, factum est, ut cum aliis virginibus pluribus micteretur Cloelia. Cui cum forsan videretur minus de republica apud exterum regem tot detineri virgines, in audaciam virilem virgineum pectus armavit et, deceptis custodibus, equum, quem forte non ante conscenderat, pascentem secus Tiberim, nocte, cum multas eduxisset in ripam, conscendit, nec exterrita profunditate fluminis aut aquarum vertiginibus sospites in adversam partem omnes eduxit suisque restituit. Quod a Porsenna mane compertum conquestus est; frequentique senatu iussum est, ut transfugarum dux regi restitueretur poscenti, adiecto ut inviolata suis in tempore redderetur a rege. Rex autem virginis miratus virtutem et delectatus audacia, non solum ad suos illi concessit reditum, sed potestatem fecit, ut quos vellet ex obsidibus reliquis posset educere. Que ex omnibus solos sumpsit impuberes; quod et honestati virginee commendabile visum est et urbi fuit acceptissimum; eo quod eam potissime etatem liberasset, que aptior videretur iniurie. Quam ob causam a gratis civibus inusitati honoris genere decorata est eique concessa equestris statua fuit, que, in summo vie Sacre apposita, diu permansit intacta.

Giovanni Boccaccio, De claris mulieribus, übersetzt von Heinrich Steinhöwel 1473 (hg. Karl Drescher, Tübingen 1895, S. 183- 185):

Von Cloelia

Cloelia was zu den zyten, als Tarquinius, der hochfertig kaiser von Rom, ward uszgetriben. Wann umb das grosz übel synes sunes Sexti, das er an der edeln Lucrecia begangen het, erhuben sich zwischen den Römern und im grosse krieg, und kam von syner gebet wegen Tarquinio ze hilff Porsenna, der künig Elusinus Etruscorum, doch ward im die überfart geweret von der frumkait Oracy Cloetis, daz er über die bruken Sublicij nit kommen mocht, und wurden von dannen getriben durch die kekhait Mucij Sevole, darumb sich Porsenna mit den Roemern richten liesz, daz die Roemer zu bestaetigung des frides im zegysel seczten vil der edlen junkfrowen von Rome. Under denen ward im och Cloelia geseczet. Darnach fueget es sich in ainer zyt, daz Cloelia hoch betrachtet, daz ainem sollichen comon und gemainem nucz nit erlich wäre, so schwaere pfand, so vil junkfrowen ainem fremden künig zeseczen, und beweget ir junkfroelich gemuet in manhait ufferhebend. Und gedacht by nacht von den huetern mit ettlichen ierer gespilen zekomen zu dem Tiber an den enden, das sie aller minst besorgten, allda fand sie ain pfaerd


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 grassend uff der waide, uff das sasz sie und fueret aine nach der andern über das ungestüm grusenlich wasser on alles misselingen und bracht iede wider ieren fründen. Als aber morgens frue Porsenna desz gewaret, liesz er das den Roemern clagen und begeret an sie alle die widerumb zesenden, die also von im entrunnen waeren. Da wurden sie zerat, daz die saecherin, die desz ain anfang und volbringery was, im solte widerumb geantwurt werden, doch mit dem geding, daz sie in ainer zyt wider umb gelassen würden. Als aber der künig Porsenna die junkfrowen an sach, het er grosz verwondern von ierer tugend und hochgefallen von irer dürstlikait. Und verwilget ir nit allain widerumb zu ieren fründen zegan, sunder och, daz sie alle widerumb mit ir furte, die sie woelte von denen gyselen, die beliben waren. Da nam sie alle mit ir, die nit manbar waren, darumb daz kain unrecht an inen begangen werden moechte, umb das (dankberkait ze erzoegen) ward sie mit ungewonlicher er den frowen gewirdiget, und ir ze eren ain bild uff die hoehin desz hailigen wegs geseczet, zu oewiger gedaechtnusz, die man doch allain umb ritterliche taetten und triumph den überwindern gewonlich seczet.

Vergleich der Darstellung des Porsennakrieges bei Dionysius von Halikarnass und bei Livius

Porsennas Beteiligung am Krieg gegen die Römer:

 

Dionysius

Livius

Leitmotive bei Livius

Grund für die Beteiligung Porsennas am Krieg gegen die Römer

V, 21: Hochmut gegenüber den Römern; gekränkte Eitelkeit, weil er seine den Tarquiniern gegenüber gemachten Versprechungen (Aussöhnung mit den Römern, Wiedererlangung ihres Besitzes) nicht halten kann; Machtstreben;

9, 1-4: Bitten der Tarquinier, die Verwandtenhilfe erwarten (eiusdem sanguinis nominisque); Schüren von Angst aufgrund möglicher Ausweitung des Aufstandes auf etruskisches Gebiet; politische Erwägungen (Etruscae gentis regem amplum Tuscis)

dulcedo libertatis Þ adesse finem regnis

militärische Reaktionen der Römer

V, 22, 1f.: Verstärkung der Besatzungen vor allem am Ianiculum;

kurze Erwähnung in 10,1;

 

innenpolitische Reaktion der Römer

V, 22, 1f.: soziale Maßnahmen: Befreiung der Armen von Steuern und Militärabgaben

9, 5-8: soziale Maßnahmen: Sicherung der Getreideversorgung; Senkung des Getreide- und Salzpreises; Befreiung der Plebs von Steuern und Zöllen;

libertas; concors civitas als Garant für die erfolgreiche Abwehr der Monarchie; consilium: außenpolitischer Druck bewirkt Zugeständnisse gegenüber der Plebs (9, 5);

taktische Erläuterungen in Bezug auf beide Kriegsgegner

V, 22, 3-5: ausführliche Darstellung; Erwähnung von Sp. Larcius und T. Herminius als Kommandierende des rechten Flügels;

---

 

anfängliche Erfolge der Römer im Kampf

V, 23, 1-2: Verwundung zweier Befehlshaber führt zu Entmutigung bei den Römern;

---

 

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Die Horatius-Cocles-Episode:

 

Dionysius

Livius

Leitmotive bei Livius

Einführung der Helden der Episode und deren Darstellung

V, 23, 2: Sp. Larcius und T. Herminius als ältere Kämpfer, Horatius Cocles als jüngerer, aber kriegserfahrener Mann (Erwähnung des Verlusts seines Auges im Kampf); Angabe der vornehmen Abstammung des Horatius; Anspielung auf den Kampf der Horatier und der Curiatier (I, 24-26);

10, 1-7: Horatius Cocles als alleiniger Held; Verzicht auf die Erwähnung des Alters, der Herkunft und der Erklärung seines Namens Þ Typisierung des Horatius mit Betonung des Selbstopfergedankens anstelle einer Aristie;

fortuna urbis Romanae: Möglichkeit der Einflussnahme durch virtus; deum et hominum fides: Gegenpol zu fortuna; pudor/decus: Erwähnung der vornehmen Abstammung von Sp. Larcius und T. Herminius; consilium/pietas erga patriam: Minimierung der Verluste durch Selbstopfer (10, 4);

Begründung für den Rückzug von Herminius und Larcius

V, 24, 1: Nutzlosigkeit weiteren Widerstandes führt zu freiwilligem Rückzug;

10, 7: Horatius zwingt die beiden Mitstreiter zum Rückzug, um diesen zu decken und ihre Sicherheit zu garantieren (cedere in tutum coegit);

virtus; consilium: Minimierung der Verluste durch Selbstopfer (10, 7) ;

Darstellung des Kampfes des Horatius

V, 24, 2: ausführliche Darstellung der äußeren Handlung im Sinne einer Schlachtenaristie;

10, 8-10: Horatius beschimpft seine Kriegsgegner und betont die libertas als Grund für den Kampf der Römer;

libertas; pietas erga patriam

Gebet an pater Tiberinus

---

10, 11: Selbstweihegedanke (vgl. Curtius-Episode und Decius-Episoden)

pietas erga deos; fides;

Darstellung des Tibersprungs und der Rettung

V, 24, 3: zahlreiche Wunden;

10, 11: incolumis;

virtus hat positiven Einfluss auf fortuna;

Ehrung des Horatius

V, 25: Heldenverehrung; Bronzestatue, Land, Speisung;

10, 12-13: fama; statua in comitio posita; ager; privata inter publicos honores eminebant: in magna inopia unusquisque ei aliquid contulit;

honos; concordia;

 

Die Belagerung Roms durch Porsenna:

 

Dionysius

Livius

Leitmotive bei Livius

Grund für die Beutezüge der Etrusker

V, 26: systematische Aushungerung des Kriegsgegners;

11: praedationes als unehrenhafte Kriegsführung dargestellt;

consilium: consul intentus in occasionem;


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Die Mucius-Scaevola-Episode:

 

Dionysius

Livius

Leitmotive bei Livius

Grund für das Handeln des Mucius

V, 27, 1: Wissen um die Ausweglosigkeit der Lage; Ruhmsucht;

12, 1-3: indignatio: Belagerung und Unfreiheit Roms trotz der Vertreibung der Könige;

indignatio; consilium; libertas; pietas in patriam;

Grund für die Rede vor dem Senat

V, 27, 2-4: Ruhmsucht: lange Rede; genaue Ankündigung des Vorhabens;

12, 4-7: Angst, als Überläufer zu gelten und so sein Ziel nicht erreichen zu können; Streben nach Billigung durch den Senat; Beteuerung der Ehrenhaftigkeit seines Vorhabens (non praedo), jedoch ohne den Senat in seine Pläne einzuweihen; Beschränkung auf wenige Worte;

pietas in deos; pudor;

Darstellung der Rede vor Porsenna

V. 29: Versuch der gegenseitigen Einschüchterung;

12, 8-16: gegenseitige Achtung der Kriegsgegner;

decus; virtus; aequitas;

weiteres Schicksal des Mucius

V, 30f.: Inhaftierung des Mucius bis zum Friedensschluss;

12, 14: sofortige Freilassung durch Porsenna;

 

Anstoß für Verhandlungen mit den Römern

V, 30: Argumentation von Porsennas Sohn;

13, 2: Erlebnis mit Mucius;

 

 

Porsennas Verhandlungen mit den Römern:

 

Dionysius

Livius

Leitmotive bei Livius

Voraussetzungen für die Verhandlungen

V, 31: militärische Niederlagen Porsennas und Unmut seiner Truppen;

13, 2: Verhandlungsbereitschaft durch die Tat des Mucius bewirkt;

libertas; pietas in patriam;

Die Cloelia-Episode:

 

Dionysius

Livius

Leitmotive bei Livius

Schilderung des Ablaufes der Flucht

V, 33: ausführlichere Darstellung: genaue Erklärung der Umstände (Badeszene!); Betonung der weiblichen List;

13, 6: knappe Darstellung: Betonung der Gefahr: inter tela hostium; Übernahme militärischen Vokabulars: dux agminis;

virtus;

Begründung für das Handeln Cloelias

---

13, 6: honorata virtus; publica decora;

decus;

Hauptgrund für den Friedensvertrag Porsennas mit Rom

V, 34: Hinterhältigkeit des Tarquinius;

13, 7-10: Vertragserfüllung durch die Römer;

fides; aequitas;

Motiv der Wahl der freizulassenden Geiseln

---

Auswahl bedingt durch decus und consilium; Zustimmung der übrigen Geiseln;

decus, consilium; concordia; pietas in patriam;


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Das Ende des Krieges:

 

Dionysius

Livius

Leitmotive bei Livius

Art der Geschenke

Geschenke von materiellem Wert;

gegenseitige Hilfe ehemaliger Gegner;

 

 

Vergleich der Einzelerzählungen

 

Horatius Cocles

Mucius Scaevola

Cloelia

Porsennas Taktik

geplanter Sturmangriff;

Belagerung und Beutezüge;

Suche nach einer diplomatischen Lösung;

Reaktion der Römer

"innenpolitische" Veränderungen: Zugeständnisse an die Plebejer

"außenpolitische" Maßnahmen: Verhinderung der praedationes;

"diplomatische" Maßnahmen: keine Wiedereinsetzung der Tarquinier, Rückgabe von fremdem Besitz, Geiseln;

Leitmotiv bei der Charakterisierung der Römer

concors civitas

consilium

aequitas / decus

gesellschaftliche Stellung/Alter des Protagonisten

ohne Spezifikation (vgl. § 13!)

nobilis; iuventus Romana

virgo

Leitmotive in der Einzelerzählung

libertas; virtus; fides; pietas in patriam; pietas erga deos; pudor;

libertas; indignatio; pietas in patriam; pietas erga deos; pudor; virtus; decus; aequitas;

libertas; decus; aequitas; fides; pietas in patriam; concordia; virtus;

Ergebnis der Handlung für den Protagonisten

fama; honos: statua usw.

incolumis (Abweichung von den Quellen!)

ß

virtus hat Einfluss auf fortuna (vgl. Sallust!)

fama; honos: Mucia prata, Namensgebung usw.

liber, intactus inviolatusque

ß

virtus hat Einfluss auf fortuna (vgl. Sallust!)

honos: statua equestris usw.

<intacta> inviolataque

ß

virtus hat Einfluss auf fortuna (vgl. Sallust!)

Auswirkungen für Rom

exemplum virtutis: vgl. Verhalten von Herminius und Larcius in 11, 5!

Þ Bereitschaft zum Kampf

Einschüchterung des Gegners; erste diplomatische Kontakte (vgl. Wortschatz 12, 14f.)

Þ pax composita

Vertragstreue der Römer als Beweis für aequitas (vgl. Wortschatz 13, 7-10)

Þ Kombination aus concordia, virtus und aequitas garantiert libertas Þ pax fida


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Das Ende des Krieges (Kap. 14-15)

Hilfestellung Porsennas für die an Hunger leidenden Römer

 

Hilfestellung der Römer für die im Krieg geschlagenen Etrusker

                                                         ß                                 ß

in tantis mutuis beneficiis

ß

obsidum quod relictum erat reddidit

ß

pax fida cum Porsenna

 

Die Cloelia-Episode bei Livius und in der Parallelüberlieferung

Livius:

  • knappe Darstellung der Aristie lediglich in der Einleitung der dreiteiligen Episode;
  • Reaktionen Porsennas und Bemühungen der Römer um aequitas als Kern;
  • völliger Verzicht auf inhaltliche Details der Aristie und den aitiologischen Hintergrund (Überquerung des Tiber auf einem Pferd!);

Parallelüberlieferung:

  • Betonung des aitiologischen Zusammenhangs;
  • inhaltliche Veränderungen aufgrund jeweils anderer Zielsetzung der einzelnen Autoren:

Valerius Maximus: Beschränkung auf die Darstellung der Aristie im Sinne der Exempla-Literatur;

Plinius d. Ä.: Beschränkung auf Fakten und deren Kommentierung sowie auf den Hinweis auf inhaltlich abweichende Parallelüberlieferung; kritische Auseinandersetzung mit der historischen Authentizität der Sage;

Florus: Epitomierung des livianischen Werkes führt zu inhaltlicher Verfälschung: Ursache und Wirkung werden vertauscht. Florus beschränkt sich auf laus als Motiv für Cloelias Handeln, Livius betont das Element der publica decora.


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Die Cloelia-Episode bei Boccaccio und Steinhöwel

Boccaccios De claris mulieribus erschien zunächst 1361, erweitert dann 1362, und enthält 104 chronologisch geordnete Biographien von Eva bis zu Königin Johanna von Neapel. Besonders bekannt sind die Darstellungen der Päpstin Giovanna und die der Lucretia (48. Kapitel). Das wahrscheinlich als Gegenstück zu seinem Werk De casibus virorum illustrium konzipierte Buch sollte wohl ursprünglich 100 Darstellungen von Frauen enthalten, die mit Männergestalten vergleichbar sind. Gewidmet ist das Werk der Gräfin Andrea Acciaiuoli von Altavilla, der Schwester von Boccaccios Gönner Niccolò Acciaiuoli, der am neapolitanischen Hof viel Einfluss hatte und Boccaccio dort einführte. Während misogyne Züge in De claris mulieribus sonst unverkennbar sind - positive Frauengestalten werden als besondere Ausnahme dargestellt -, wirkt die Schilderung der Cloelia durchgängig positiv. Möglicherweise handelt es sich um eine Figur, die an strukturell entsprechender Position (52. Kapitel), als Gegenbild zu Lucretia konzipiert ist, die entsprechend der Auffassung der Zeit zwar als Opfer einer Vergewaltigung bedauert wird, deren Schönheit aber diese Untat letztlich provoziert hat, wodurch sie sich unschuldig schuldig gemacht hat.

Boccaccio kannte Livius gut und hat ihn möglicherweise ins Italienische übersetzt.

Heinrich Steinhöwel übertrug den Boccaccio-Text 1473 ins Deutsche. Er betont, entsprechend seinem Zielpublikum, das Handlungselement in der Darstellung stärker als Boccaccio.

Gemeinsamkeiten mit dem Liviustext bei Boccaccio und Steinhöwel:

  • Zusammengehörigkeit der drei Einzelepisoden (Horatius Cocles, Mucius Scaevola, Cloelia);

  • Beibehaltung des Motivs der Rückkehr Cloelias zu Porsenna, ihrer Ehrung durch ihn und der überlegten Geiselwahl;

Aber:

  • Übernahme des Pferdemotivs aus der Parallelüberlieferung zu Livius (Aition!)


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Veränderungen Boccaccios gegenüber dem Liviustext:

  • Übernahme des Motivs der indignatio als Motivation für Cloelias Flucht aus der Scaevola-Handlung;

  • auffällige Betonung der adeligen Abstammung Cloelias;

                                          

Cloelia als Inbegriff der Verbindung von adeliger Abstammung, Tüchtigkeit und politischem Weitblick

                                                                     ß

                     Deutung Cloelias als Präfiguration der Adressatin möglich

Veränderungen Steinhöwels gegenüber Livius bzw. Boccaccio:

  • Verzicht auf die Klärung der Frage nach der Abstammung Cloelias;

  • Charakter der Aristie verstärkt durch wiederholtes Durchqueren des Tiber: fueret aine nach der andern (Z. 23);

                                                       

                      Cloelia als weibliche Repräsentantin idealisierter Rittertugenden (ritterliche taetten)

 

Bibliographie

Primärtexte

Titi Livi ab urbe condita. Tomus I, Libri I – V, rec. Robertus Maxwell Ogilvie, Oxford 1974.

Titus Livius, Ab urbe condita, Buch I-III hg. und übers. von Hans Jürgen Hiller, München 1987 (Artemis, Sammlung Tusculum).


Pegasus 3/2002, 49

Gängige Schulausgaben

Erb, Josef / Hopp, Joachim, T. Livius. Ab urbe condita. Auswahl aus der 1. Dekade mit Auszügen aus den übrigen Teilen des Werks. Eingeleitet von Niklas Holzberg, Bamberg 1995 (bvb, Testimonia).

Fink, Gerhard / Hensel, Andreas, Titus Livius. Ab urbe condita, Göttingen 1998 (Vandenhoeck & Ruprecht, Exempla 17).

Heydenreich, Reinhard / Utz, Clemens / Flurl, Wolfgang, Römische Gesellschaft im Wandel, Bamberg 21997 (C.C. Buchners, ratio Bd. 34).

Textausgaben und Übersetzungen zu Dionys von Halikarnass:

Dionysius Halicarnaseus, Antiquitates Romanorum ed. C. Jacoby, Leipzig 1885-1925 (Ndr. 1967-1985).

Dionysius of Halicarnassus, Roman Antiquities, Volume III, Books V-VI ed. Earnest Cary, Cambridge (Mass.)/London 1940 (Loeb) (mit englischer Übersetzung).

Dionysius Halicarnassensis, Werke, übers. Gottfried J. Schaller und Adolph Heinrich Christian, Stuttgart 1827-1849.

Sekundärliteratur

Zur behandelten Thematik:

Dodell, Monika, Die Idee der Freiheit bei Livius. Eine Unterrichtseinheit mit Livius 2,1 und 2,3-5 sowie Parallel- und Rezeptionstexten, in: Gruber, Joachim (Hg.), Liviusinterpretationen (Auxilia 38), Bamberg 1995, 49-71.

Lefèvre, Eckard, Argumentation und Struktur der moralischen Geschichtsschreibung der Römer am Beispiel von Livius' Darstellung des Beginns des römischen Freistaats (2,1-2,15), in: Lefèvre, Eckard / Olshausen, Eckart (Hgg.): Livius - Werk und Rezeption (Festschrift für E. Burck zum 80. Geburtstag am 30.11.1981), München 1983, 31-57.

Tränkle, Hermann, Der Anfang des römischen Freistaats in der Darstellung des Livius, Hermes 93, 1965, 311-337.

Weiterführende Literatur:

Albrecht, Michael v., Meister römischer Prosa von Cato bis Apuleius, Heidelberg 21983, 110-126.

Albrecht, Michael v., s.v. Livius, in: Id., Geschichte der römischen Literatur, Bd. 1, München 21994, 659-686.


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Barié, Paul, Mythisierte Geschichte im Dienst einer politischen Idee. Grundkurs Historiographie am Beispiel Livius, AU 19, 1976, H. 2, 35-42.

Barié, Paul, Menenius Agrippa erzählt eine politische Fabel. Beispiel für Ideologiekritik im altsprachlichen Unterricht, AU 13, 1970, H. 4, 50-77.

Berschin, Walter, Livius und Eugippius. Ein Vergleich zweier Schilderungen des Alpenübergangs, AU 31, 1988, H. 4, 37-46.

Burck, Erich (Hg.), Wege zu Livius, Darmstadt 1967 31987 (= WdF 132).

Burck, Erich, Das Geschichtswerk des Titus Livius, Heidelberg 1992 (= Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften, Neue Folge, 2. Reihe, Bd. 87).

Burck, Erich, Die Erzählkunst des T. Livius, Berlin/Zürich 21964.

Damon, Cynthia E., From source to sermo: narrative technique in Livy 34.54-4-8, AJPh 118, 1997, 251-266.

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Klinz, Albert, Zur Frage des Übersetzens und Interpretierens, AU 2, 1956, H. 8, 33-42.

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Meusel, Horst, Die römische Auffassung der Geschichtsschreibung - Ausgewählte Stellen aus der 1. Dekade des Livius (Lernziele, Operationalisierung, Lernkontrollen), in: Römisch, Egon, Lernziel und Lektüre. Unterrichtsprojekte im Fach Latein, Stuttgart 1974 (AU 27, Beiheft), 67-146 (vor allem zu Menenius Agrippa, Porsenna, Horatius Cocles, Mucius Scaevola, M. Manlius und dem Galliereinfall und Manlius Torquatus sowie mit einem Vergleichstext von Nietzsche).

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Schindler, Peter, Livius. Praefatio zum Gesamtwerk, in: Id., Der Lehrer der alten Sprachen, Stuttgart 1950, 181-201.

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Tränkle, Hermann, Livius und Polybius, Gymnasium 79, 1972, 13-31.

 

Anhang: Parallelüberlieferung bei Dionysius von Halikarnass

Dionysius von Halikarnass, Fünftes Bändchen, übersetzt von Adolph Heinrich Christian, Stuttgart 1838, S. 564-584 (Orthographie und Interpunktion sind dem modernen Sprachgebrauch angepasst, der Sprachstand wurde vorsichtig aktualisiert)

V 21: Als Publius Valerius mit dem Beinamen Publicola zum dritten Mal zu derselben Würde erwählt war und mit ihm Marcus Horatius zum zweiten Mal, erklärte der König von Clusium in Etrurien, mit Namen Lar und mit dem Beinamen Porsenna, den Römern den Krieg. Er hatte, als die Tarquinier zu ihm ihre Zuflucht nahmen, ihnen versprochen, entweder ihre Aussöhnung mit den Mitbürgern zu bewirken unter der Bedingung der Rückkehr und Wiedererhebung auf den Thron oder ihre Güter, die sie verloren hatten, sich herausgeben zu lassen und ihnen wieder zuzustellen. Nachdem er also im verflossenen Jahre Gesandte nach Rom geschickt hatte, die seine mit Drohungen vermischten Forderungen überbrachten, aber weder Aussöhnung und Rückkehr für die Tarquinier erlangt hatte, weil der Senat die gegen sie erfolgten Verwünschungen und Eidschwüre vorschützte, noch ihnen die Güter wiederbeschafft hatte, weil diejenigen, die sie verteilt und verlost hatten, dieselben nicht zurückgeben wollten, so behauptete er, ein eingebildeter und durch seinen Reichtum und die Größe seiner Herrschaft und sein Geld verrückter Mensch, von den Römern übermütig behandelt zu werden und Ungebühr zu erfahren, weil er keine von seinen beiden Forderungen durchsetzte. Er meinte nun, eine gute Veranlassung zu haben, der Herrschaft der Römer ein Ende zu machen, was er schon früher beabsichtigte, und erklärte ihnen, wie schon gesagt, den Krieg. Mit ihm unternahm den Krieg, um seinen guten Willen ganz zu zeigen, der Schwiegersohn des Tarquinius, Octavius Mamilius, der von Tusculum herkam. Er brachte die Cameriner und Antemnaten, die zum latinischen Stamm gehörten, alle mit, da sie bereits offen von den Römern abgefallen waren, von den anderen Stammesgenossen aber, die nicht Willens waren, aus unnötigen Gründen sich mit der Stadt Rom in einen Krieg einzulassen, da sie mit ihnen verbündet war und große Macht besaß, viele Freiwillige, die er durch seinen Privateinfluss dazu gebracht hatte.


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V 22: Als die römischen Konsuln dies erfuhren, befahlen sie zuerst den Landleuten, ihr auf dem flachen Lande befindliches Eigentum, ihre Viehherden und ihre Sklaven auf die nahen Berge zu bringen, wo sie an den von Natur festen Plätzen Bollwerke erbauten, die den dahin Geflohenen Schutz zu gewähren vermochten. Dann sorgten sie für die Sicherheit des so genannten Janiculums (es ist dies ein hoher Berg, nahe Rom, jenseits des Tiberflusses) durch stärkere Befestigungen und Wachen, da sie den größten Wert darauf legten, dass es nicht den Feinden zu einem bequemen Ausgangspunkt für Angriffe auf die Stadt diene, und brachten das Kriegsgerät dort unter. Die inneren Angelegenheiten richteten sie auf eine volkstümlichere Weise ein und trafen viele gegenüber den Armen menschenfreundliche Anordnungen, damit sie nicht, durch die Aussicht auf eigenen Vorteil bewogen, das Gemeinwesen preiszugeben, zu den Despoten überträten. Sie beschlossen nämlich, dass sie frei sein sollen von allen öffentlichen Abgaben, die sie, solange die Stadt von Königen beherrscht wurde, leisteten, und erließen ihnen die Steuer für den Unterhalt für das Heer und den Krieg, indem sie es als einen großen Gewinn für das Gemeinwesen betrachteten, wenn sie nur mit ihren Leibern für das Vaterland zu kämpfen bereit seien. Mit der schon seit langer Zeit geübten und gerüsteten Kriegsmacht bezogen sie nun auf der vor der Stadt liegenden Ebene ein Lager.

Als aber König Porsenna mit seinem Heere heranzog, nahm er im ersten Anlauf das Janiculum, da die zu seiner Bewachung bestellte Mannschaft in Schrecken geriet, und legte eine etruskische Besatzung dorthin. Er rückte nun gegen die Stadt, in der Meinung, auch sie ohne Mühe zu erobern. Als er aber nahe an der Brücke war und die Römer vor dem Fluss aufgestellt sah, rüstete er sich zur Schlacht, in der Hoffnung, sie mit seiner Übermacht zu verjagen, und führte voll Verachtung seine Kriegsmacht gegen sie. Den Oberbefehl auf dem linken Flügel hatten die Söhne des Tarquinius, Titus und Sextus. Sie führten die römischen Flüchtlinge und den Kern der Jugend aus der Stadt Gabii und eine nicht kleine Schar von Fremden und Söldnern. Auf dem rechten Flügel, wo die von den Römern abgefallenen Latiner ihre Stellung hatten, befehligte Mamilius, der Schwiegersohn des Tarquinius. König Porsenna hatte sich im Mitteltreffen aufgestellt. Bei den Römern standen auf dem rechten Flügel Spurius Lartius und Titus Herminius den Tarquiniern gegenüber, auf dem linken Marcus Valerius, ein Bruder von Publicola, dem einen der beiden Konsuln, und Titus Lucretius, der im vorigen Jahr Konsul gewesen war. Sie hatten mit Mamilius und den Latinern zu kämpfen. In der Mitte zwischen den Flügeln standen die beiden Konsuln.

V 23: Als es zum Angriff kam, fochten beide Teile tapfer und behaupteten lange Zeit ihre Stellung, da die Römer durch Erfahrung und Ausdauer die Latiner und Etrusker übertrafen, an Zahl dagegen die Etrusker und Latiner den Römern weit überlegen waren. Nachdem aber viele auf beiden Seiten gefallen waren, befiel die Römer Furcht, zuerst die, welche auf dem linken Flügel standen, da sie sahen, dass ihre Anführer, Valerius und Lucretius, verwundet aus der Schlacht weggetragen wurden. Dann ergriff auch die, welche auf dem rechten Flügel aufgestellt waren, während sie


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 schon über die von den Tarquiniern befehligte Kriegsmacht siegten, dasselbe Gefühl, da sie die Flucht der Ihrigen wahrnahmen. Indem nun alle in die Stadt flohen und sich in großer Zahl über eine einzige Brücke drängten, erfolgte ein gewaltiger Andrang der Feinde auf sie, und wenig fehlte wieder, dass die Stadt im Sturm genommen worden wäre, da sie unbefestigt war auf der Seite längs des Flusses, wenn zugleich mit den Fliehenden die Verfolgenden hineindrangen. Was aber den Andrang der Feinde aufhielt und das ganze Heer rettete, das waren drei Männer, von den Älteren Spurius Lartius und Titus Herminius, welche den rechten Flügel befehligten, und von den Jüngeren Publius Horatius, der aufgrund seiner Verstümmelung am Gesichte Cocles – einäugig – genannt wurde, weil er in einer Schlacht um das eine Auge gekommen war, von Gestalt außerordentlich schön und durch innere Vorzüge ausgezeichnet. Er war ein Bruderssohn von Marcus Horatius, dem einen der beiden Konsuln, und leitete sein edles Geschlecht von einem der Drillinge ab, von Marcus Horatius, der die albanischen Drillinge besiegte, als die beiden Staaten, wegen der Oberherrschaft in einen Krieg verwickelt, übereinkamen, nicht mit ihrer ganzen Kriegsmacht den Kampf zu entscheiden, sondern durch drei Männer von beiden Seiten, wie ich in einem früheren Buche erzählt habe. Diese allein also stellten sich vor der Brücke auf, wehrten den Feinden den Übergang lange Zeit und blieben auf der nämlichen Stelle stehen, obgleich von vielen auf sie mit allerlei Geschossen geworfen und im Handgemenge mit den Schwertern eingehauen wurde, bis das ganze Heer über den Fluss gegangen war.

V 24: Als sie nun glaubten, die Ihrigen seien in Sicherheit, zogen sich zwei von ihnen, Herminius und Lartius, da ihre Schutzwaffen durch die immerwährende Stöße schon ganz verdorben waren, langsam zurück. Horatius allein, obgleich ihn von der Stadt her die Konsuln und die anderen Bürger zurückriefen und es ihnen über alles ging, dass ein solcher Mann dem Vaterland und seinen Eltern erhalten werde, ließ sich nicht bewegen, sondern blieb, wo er zuerst gestanden war, nachdem er dem Herminius und seinem Begleiter aufgetragen hatte, den Konsuln in seinem Namen zu sagen, man solle die Brücke von der Stadt aus in Eile abbrechen - es gab in jenen Zeiten nur eine, von Holz gebaut, ohne Eisen, bloß aus Brettern zusammengefügt, die die Römer bis heute ebenso beibehalten haben -, und den beiden aufgetragen hatte, wenn der größte Teil der Brücke abgetragen und der Rest nur noch klein sei, solle man es ihm durch gewisse Zeichen oder mit lauter Stimme anzeigen. Für das Übrige, sagte er, wolle er sorgen. Nachdem er den beiden diese Aufträge gegeben hatte, stellte er sich auf die Brücke selbst und trieb, indem er die auf ihn Eindringenden teils mit dem Schwert schlug, teils mit dem Schild zurückstieß, alle, die auf die Brücke kamen, zurück. Denn schon wagten es die Verfolgenden nicht mehr, mit ihm als mit einem Rasenden und den Tod Suchenden handgemein zu werden. Zugleich war es nicht einmal leicht, sich ihm zu nähern, da er zur Linken und zur Rechten durch den Fluss eine Schutzwehr hatte, von vorne aber durch einen Haufen Waffen und Toter. Aber weiter weg in großer Zahl stehend warfen sie nach ihm mit Lanzen und Wurfspießen und faustgroßen Steinen, und die, welche dies nicht zur Hand hatten, mit den Schwertern und Schilden der Toten. Er aber wehrte sich, indem er ihre eigenen Waffen gegen sie gebrauchte, und musste, wie sich denken lässt, da er in eine dichte Menge warf, immer einen sicher treffen. Schon war er voller Pfeile und hatte eine Menge Wunden an verschiedenen Teilen des Körpers, besonders aber einen Lanzenstich, der von vorne durch den einen Hinterbacken über dem Kopf des Schenkelknochens hindurch ging, ihm große Schmerzen verursachte und ihn beim Gehen hinderte. Als er nun von hinten rufen hörte, der größte Teil der Brücke sei abgetragen, da sprang er mit den Waffen in den Fluss, schwamm mit viel Mühe durch den Strom - denn an den Unterlagen der Bretter brach sich die Strömung, wurde dadurch reißend und bewirkte viele Wirbel - und rettete sich so ans Land ohne etwas von seinen Waffen im Schwimmen verloren zu haben.


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V 25: Diese Tat erwarb ihm unsterblichen Ruhm. Sogleich nämlich bekränzten ihn die Römer und trugen ihn in die Stadt, indem sie ihn priesen wie einen Heroen, und die ganze Bevölkerung strömte herbei aufgrund des Verlangens, solange er noch lebe, seinen letzten Anblick zu schauen, denn es schien, er werde an seinen Wunden bald sterben. Und nachdem er dem Tod entgangen war, stellte das Volk ein ehernes Standbild von ihm in Waffenrüstung am Hauptplatz des Marktes auf und schenkte ihm so viel Land von den Staatsgütern, wie er in einem Tage mit einem Joch Ochsen umpflügen könnte. Außer diesen öffentlichen Belohungen gaben ihm, als der schreckliche Mangel an Lebensmitteln allgemein herrschte, alle Männer und Frauen Nahrung für einen Tag, im Ganzen über dreimal hunderttausend Menschen.

Horatius also wurde durch diese Heldentat, die er damals vollbrachte, einer der gefeiertsten Römer, aber unbrauchbar für den übrigen Staatsdienst wegen seines hinkenden Ganges. Und wegen dieses Umstandes erlangte er weder das Konsulat, noch sonst eine Anführerstelle im Heer. Wie er durch die bewundernswürdige Tat, welche er im damaligen Kampf vor den Augen der Römer vollbrachte, so sehr als irgendeiner von den durch ihre Tapferkeit berühmt gewordenen Männern gelobt zu werden verdient, so außer ihm noch Gaius Mucius, mit dem Beinamen Cordus, ein Mann von edlem Geschlecht, der ebenfalls ein großes Unternehmen wagte, worüber ich gleich nachher sprechen werde, wenn ich zuerst erzählt habe, in welchen Nöten die Stadt sich damals befand.

V 26: Nach jener Schlacht nämlich lagerte sich der etruskische König auf dem nahen Berg, von dem er die römische Besatzung vertrieben hatte, und war jetzt Herr des ganzen Gebietes jenseits des Tiberflusses. Die Söhne des Tarquinius aber und sein Schwiegersohn Mamilius setzten auf Flößen und Kähnen ihre Kriegsmacht auf die andere Seite des Flusses über, wo es nach Rom geht, und schlugen an einem festen Platz ihr Lager auf. Von hier aus verheerten sie das Land der Römer, zerstörten die Höfe und überfielen das aus den Bollwerken auf die Weide ziehende Vieh. Da nun das flache Land ganz in den Händen der Feinde war und bis auf spärliche Ausnahmen weder vom Land Lebensmittel in die Stadt gebracht noch auf dem Fluss eingeführt wurden, entstand schnell Mangel an dem zum Leben Erforderlichen bei den vielen Tausenden, die die vorhandenen nicht großen Vorräte aufzehrten. Da verließen täglich die Sklaven in großer Zahl ihre Herren und liefen über, und von der Masse des Volkes fielen die Elendsten zu den Despoten ab. Als die Konsuln dies sahen, beschlossen sie, die Latiner, die noch die Verwandtschaft in Ehren hielten und der alten Freundschaft treu zu bleiben schienen, zu bitten, sie möchten ihnen eilig Hilfstruppen senden, und nach Cumae in Kampanien und nach den Städten in der pometinischen Ebene Gesandte zu schicken mit dem Ansinnen, ihnen die Getreideausfuhr zu gestatten. Die Latiner nun schlugen die Unterstützung ab, weil es nicht recht wäre, wenn sie den Tarquinius oder die Römer bekriegten, da sie mit beiden gleicherweise eidliche Freundschaftsverträge geschlossen hätten. Aus der pometinischen Ebene aber brachten Lartius und Herminius, die wegen der Getreidezufuhr ausgeschickten Gesandten, viele Kähne, mit allerlei Nahrungsmitteln befrachtet, vom Meer her stromaufwärts in einer mondlosen Nacht in die Stadt, ohne dass die Feinde es merkten. Als aber auch diese Lebensmittel schnell aufgezehrt waren und derselbe Mangel bei den Menschen herrschte, schickte der Etrusker, der von den Überläufern erfahren hatte, dass die Einwohner Hungersnot leiden, einen Herold an sie und verlangte, sie sollen den Tarquinius aufnehmen, wenn sie vom Krieg und der Hungersnot befreit sein wollen.


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V 27: Die Römer aber willigten nicht in sein Verlangen ein, sondern waren entschlossen, alles Ungemach über sich ergehen zu lassen. Da erkannte Mucius, dass eines von beiden ihr Schicksal sein werde, entweder, durch den Mangel an Lebensmitteln gezwungen, nicht mehr lange Zeit bei ihrem Entschluss zu bleiben, oder, ihrem Vorsatz getreu, auf die elendste Art umzukommen. Er bat also die Konsuln, den Senat für ihn zu versammeln, weil er ihm etwas Wichtiges und Dringendes zu eröffnen habe, und als dieser versammelt war, sprach er also: "Väter, im Begriffe, ein Unternehmen zu wagen, wodurch die Stadt von dem gegenwärtigen Leiden befreit werden wird, habe ich zwar in Bezug auf die Ausführung das beste Vertrauen und glaube, leicht damit zustande kommen zu können, für mein Leben aber habe ich keine große Hoffnung oder vielmehr, wenn ich die Wahrheit sagen soll, gar keine, dass ich es nach der Ausführung davontragen werde. Da ich mich nun in eine so große Gefahr begeben will, halte ich es nicht für Recht, dass allen unbekannt bleibt, wie ich mich zu etwas Großem entschlossen habe, falls es mir passiert, dass mein Versuch missglückt, sondern es wäre gerecht, dass ich für edle Taten großes Lob erlange, wodurch mir statt eines sterblichen Leids unsterblicher Ruhm zuteil werden wird. Dem Volke nun zu sagen, was ich zu tun im Sinne habe, wäre nicht sicher. Es könnte einer es den Feinden verraten, um für sich Vorteile zu erhalten, da es wie ein heiliges Geheimnis Verschwiegenheit erfordert. Euch aber, denen ich vertraue, dass ihr es gewissenhaft bewahren werdet, verrate ich es zuerst und allein, und von euch werden es die übrigen Bürger zur gehörigen Zeit erfahren. Mein Unternehmen ist folgendes: Ich will in der Gestalt eines Überläufers zum Lager der Etrusker gehen. Finde ich nun keinen Glauben und sterbe von ihren Händen, so werdet ihr übrigen nur um einen Bürger weniger sein, gelingt es mir aber, in das Lager hinein zu kommen, so verspreche ich euch, den König der Feinde zu töten. Und wenn Porsenna tot ist, so werdet ihr vom Krieg erlöst sein. Ich aber, wenn mich, was immer die Gottheit beschließt, trifft, werde euch zu Mitwissern und Zeugen dessen vor dem Volk haben und gehe so das gute Geschick des Vaterlandes zum Wegweiser nehmend."

V 28: Von den Senatoren belobt und mit günstigen Vorzeichen für seine Handlung ging er über den Fluss, und angelangt bei dem etruskischen Lager, kam er hinein, indem er die, die an den Toren die Wache hatten, täuschte, als wäre er einer von ihren Stammesgenossen, dadurch dass er keine Waffe sehen ließ und in etruskischer Sprache redete, die er noch als Kind von einer etruskischen Amme gelernt hatte. Als er aber auf den Markt und zum Feldherrenzelt kam, sah er einen durch Körpergröße und Stärke ausgezeichneten Mann in einem Purpurkleid auf dem Feldherrnstuhl sitzen und um ihn viele Bewaffnete herumstehen. Er täuschte sich aber in seiner Meinung, indem er diesen Mann für Porsenna hielt, da er den etruskischen König nie gesehen hatte. Denn es war der Schreiber des Königs, der auf dem Stuhl saß und die Kriegsleute durchzählte und ihnen Anweisungen auf den Sold gab. Zu diesem Schreiber also ging er durch die herumstehende Menge, trat, weil er unbewaffnet schien, von niemand gehindert zu dem Stuhl, zog sein kurzes Schwert, das er unter dem Mantel verborgen hielt, und hieb den Mann auf den Kopf. Da der Schreiber auf einen Hieb tot war, wurde er sogleich von den um den Stuhl Stehenden ergriffen und zum König geführt, der schon die Ermordung seines Schreibers erfahren hatte. Als dieser ihn sah, sprach er: "O du verruchtester unter allen Menschen, Strafe wirst du bald leiden, wie du sie verdienst. Sage, wer du bist und woher du kommst und auf welche Hilfe du vertrautest, da du diese Tat unternahmst, und ob du bloß die Absicht hattest meinen Schreiber zu töten oder auch mich, und welche Genossen deines Anschlags du hast. Verhehle aber in keiner Beziehung die Wahrheit, damit du nicht durch Folterqualen zu reden gezwungen werdest."


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V 29: Weder durch Veränderung der Farbe noch durch Niedergeschlagenheit im Gesicht verriet Mucius Furcht, noch ging sonst etwas in ihm vor, wie es gewöhnlich bei denen ist, denen der Tod bevorsteht. Er sagte zu ihm: "Ich bin ein Römer, und zwar keiner von gemeiner Abkunft, und kam in der Absicht, mein Vaterland vom Krieg zu befreien, in euer Lager, als wäre ich ein Übeltäter, um dich zu töten, mir durchaus bewusst, dass mir sowohl beim Gelingen als auch beim Fehlschlagen meiner Hoffnung der Tod gewiss ist, aber entschlossen, der Stadt, der ich das Dasein danke, mein Leben zu opfern und statt des sterblichen Leibs unsterblichen Ruhm zu hinterlassen. Ich täuschte mich aber in meiner Hoffnung: Statt deiner habe ich deinen Schreiber, den ich gar nicht zu töten brauchte, getötet, irregeführt durch den Purpur, den Stuhl und die anderen Kennzeichen der Gewalt. Den Tod also, den ich selbst über mich verhängte, als ich mich anschickte, zu der Tat zu schreiten, versuche ich nicht durch Bitten abzuwenden. Wenn du mir aber die Folterqualen und die anderen Misshandlungen erlässt und mir dieses Versprechen bei den Göttern gibst, so verspreche ich, dir etwas Wichtiges, das sich auf dein Heil bezieht, zu verraten." Dies sagte er, weil er im Sinn hatte, den König zu überlisten, und dieser, weil er die Besinnung verloren hatte und zugleich von vielen Seiten Gefahren ahnte, die nicht wirklich drohten, gab ihm sein Wort. Hierauf sagte Mucius, der eine ganz neue Art zu täuschen ersonnen hatte, wobei die Entdeckung im Gebiet des Unerkennbaren lag, zu ihm: "König, wir, dreihundert Römer von gleichem Alter, alle aus patrizischem Geschlecht, haben uns versammelt und beschlossen, dich zu töten, und uns gegenseitig unser Wort gegeben. Bei der Beratschlagung über die Art, diesen Anschlag auszuführen, kamen wir überein, weder alle zugleich ans Werk zu gehen, sondern einzeln, noch einander zu sagen, wann und wo und wie und mit welchen Hilfsmitteln ein jeder dich angreifen werde, damit es uns leichter sei verborgen zu bleiben. Nachdem wir diesen Plan entworfen hatten, losten wir, und mich traf das Los, zuerst den Versuch zu machen. Da du nun vorher weißt, dass viele Brave das gleiche Verlangen nach Ruhm tragen werden, von denen vermutlich auch einer ein günstigeres Geschick haben wird als ich, so überlege, was dir gegen alle hinreichenden Schutz gewähren kann."

V 30: Als dies der König hörte, befahl er seinen Trabanten, ihn wegzuführen, zu binden und sorgfältig zu bewachen. Er berief seine getreuesten Freunde, ließ seinen Sohn Aruns neben sich sitzen, und überlegte mit ihnen, was er tun könnte, um ihren Nachstellungen vorzubeugen. Die anderen nun gaben alle einfältige Sicherheitsmaßregeln an, und keiner schien zu wissen, was Not tue. Sein Sohn aber sprach zuletzt eine Meinung aus, die verständiger war, als es sein Alter erwarten ließ. Er riet ihm, nicht daran zu denken, welche Vorsichtsmaßregeln er anwenden könnte, damit ihm nichts Schlimmes widerfahre, sondern was er tun könnte, damit er keiner Vorsichtsmaßregel bedürfe. Als die anderen seinen Einfall bewunderten und wissen wollten, wie dies geschehen könne, sagte er: "Wenn du die Männer dir zu Freunden statt Feinden machst und dein eigenes Leben teurer achtest als die Rückkehr der mit den Tarquiniern des Landes Verwiesenen." Der König sagte, er gebe zwar den besten Rat, aber der Umstand verdiene Erwägung, wie auf anständige Weise die Aussöhnung mit ihnen zustande kommen könne. Eine große Schande, sagte er, sei es, wenn er, nachdem er sie in einer Schlacht überwunden und in ihre Mauern eingeschlossen habe, abziehen würde, ohne etwas von dem, was er den Tarquiniern versprochen habe, erreicht zu haben, als wäre er überwunden von den Besiegten und flöhe vor denen, die nicht einmal mehr aus den Toren zu gehen wagen. Nur eine einzige ehrenvolle Beilegung der Feindseligkeiten, deutete er an, werde es geben, nämlich wenn von den Feinden einige zu ihm kämen, um sich mit ihm wegen der Herstellung der Freundschaft zu besprechen.


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V 31: So sprach er damals zu seinem Sohne und den Anwesenden. Wenige Tage nachher aber wurde er genötigt, zuerst Versöhnungsvorschläge zu machen, und zwar aus folgendem Grund: Da seine Soldaten überall im Land die Lebensmittel, die zur Stadt gebracht wurden, wegnahmen und dies immerfort taten, legten ihnen die römischen Konsuln an einem passenden Ort einen Hinterhalt, töteten viele und nahmen noch mehr gefangen, als umkamen. Darüber aufgebracht rotteten sich die Etrusker zusammen und besprachen sich, legten dem König und den anderen Anführern die Verlängerung des Krieges zur Last und sehnten sich, nach Hause zurückzukehren. Er glaubte also, die Aussöhnung werde allen erwünscht erscheinen, und schickte daher die vertrautesten von seinen nächsten Freunden als Gesandte ab. Einige nun sagen, auch Mucius sei zugleich mit diesen zurückgeschickt worden, andere erzählen, er sei als Geisel im Lager in Haft behalten worden, bis die Aussöhnung zustande kommen würde, und dies mag vielleicht richtiger sein. Die Aufträge, die der König den Gesandten gab, waren folgende: Von der Rückkehr der Tarquinier sollten sie nichts erwähnen, aber die Rückgabe ihrer Güter verlangen, zuerst aller, die der älteste Tarquinius hinterlassen und sie selbst auf rechtmäßige Weise erworben und besessen hätten, wenn aber dies nicht gelänge, wenigstens so viel wie möglich an Wert ihrer Ländereien, Häuser, Herden und der Früchte, die sie von ihren Feldern eingesammelt hatten, sei es nun, dass es ihnen angemessen scheine, dass die, die sie besitzen und den Genuss davon haben, beisteuern, oder dass sie es aus dem Staatsschatze bezahlen. So viel sollten sie für diese fordern, für ihn aber, wenn er die Feindseligkeiten aufhebe, die so genannten Siebenlande – dieses Land gehörte von alters her den Etruskern, die Römer aber hatten es im Kriege erobert und den Besitzern entrissen – und damit die Römer dauerhafte Freundschaft mit den Etruskern hielten, sollten sie Kinder aus den vornehmsten Häusern als Geiseln für die Stadt von ihnen fordern.

V 32: Als die Gesandten nach Rom gekommen waren, beschloss der Senat, überredet von Publicola, dem einen der beiden Konsuln, alles zu bewilligen, was der Etrusker verlangte, in der Meinung, das Volk und die ärmere Klasse sei durch den Mangel an Lebensmitteln erschöpft und werde die Beendigung des Krieges gern sehen, unter welchen Bedingungen sie auch geschehe. Das Volk aber bestätigte zwar die anderen Punkte des Senatsgutachtens, die Rückgabe der Güter aber nahm es nicht an, sondern beschloss im Gegenteil weder aus öffentlichen noch aus Privatmitteln den Tarquiniern irgendetwas zu ersetzen und Gesandte deswegen an den König Porsenna zu schicken, welche für billig erklären sollten, dass er die Geiseln und das Land erhalte, wegen der Güter aber selbst Richter sei zwischen Tarquinius und den Römern, und wenn er beide gehört habe, entscheide, was ihm gerecht scheine, weder durch Gunst noch durch Hass geleitet. Hierauf gingen die Etrusker und überbrachten diese Antwort dem König, und mit ihnen die vom Volke bestimmten Gesandten, die zwanzig junge Leute aus den ersten Häusern brachten, die Geiseln für das Vaterland sein sollten. Die Konsuln hatten zuerst ihre Kinder hergegeben, Marcus Horatius seinen Sohn und Publius Valerius seine schon heiratsfähige Tochter. Als diese in das Lager kamen, freute sich der König und lobte die Römer sehr, schloss einen Waffenstillstand mit ihnen auf eine bestimmte Zahl von Tagen und übernahm es, die richterliche Entscheidung zu fällen. Die Tarquinier aber ärgerten sich, dass sie ihre so großen Hoffnungen vereitelt sahen, die sie auf den König bauten, indem sie meinten, sie werden von ihm wieder auf den Thron gesetzt werden, mussten sich aber doch mit dem gegenwärtigen Stand der Sache zufrieden geben und annehmen, was man ihnen bot. Als zur festgesetzten Zeit aus der Stadt die für den Rechtsstreit bestimmten Wortführer und die Ältesten des Senates angekommen waren, setzte sich der König auf seinen Stuhl mit seinen Freunden, ließ seinen Sohn das Richteramt mitübernehmen und gab ihnen das Wort.


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V 33: Noch während der Verhandlung kam einer mit der Nachricht von der Flucht der als Geiseln gelieferten Jungfrauen. Sie hatten nämlich ihre Wächter gebeten, ihnen zu gestatten, dass sie zum Fluss gehen und sich baden, und nachdem sie die Erlaubnis erhalten hatten, hatten sie den Männern gesagt, sie sollen sich ein wenig entfernt von dem Fluss halten, bis sie sich gebadet und die Kleider wieder angezogen hätten, damit sie sie nicht nackt sähen. Als die Männer auch dies taten, schwammen sie, aufgefordert von Cloelia, die selbst den Anfang machte, über den Fluss und kamen so in die Stadt. Da fing Tarquinius an, mit vielen Worten den Römern Meineid und Treulosigkeit vorzuwerfen und den König zu ermahnen ihnen kein Gehör zu schenken, da er von betrügerischen Menschen hintergangen worden sei. Als aber der Konsul sich verteidigte und sagte, die Tat sei bloß von den Jungfrauen ausgegangen, ohne Geheiß ihrer Väter, und erklärte, er werde den Beweis dafür bald liefern, dass von ihnen, den Vätern, nichts in böswilliger Absicht geschehen sei, ließ sich der König überreden und gestattete ihm, zu gehen und die Jungfrauen herzubringen, wie er versprach. Valerius also ging, um die Jungfrauen zu holen. Tarquinius aber und sein Schwiegersohn, entwarfen, ohne sich um das Recht zu kümmern, den Plan zu einer Freveltat. Sie schickten heimlich eine Abteilung Reiter auf die Straße, um die geholten Jungfrauen zu rauben und den Konsul und die anderen zum Lager gehenden Römer aufzugreifen, in der Absicht, diese Personen als Unterpfand zu behalten für die Güter, die die Römer dem Tarquinius genommen hatten, und die Beendigung des Rechtsstreits nicht mehr abzuwarten. Aber die Gottheit ließ ihnen den Anschlag nicht nach Wunsch gelingen. Während nämlich aus dem latinischen Lager die auszogen, die die Zurückkehrenden überfallen sollten, kam bereits der römische Konsul mit den Mädchen, und als er schon gerade an den Toren des etruskischen Lagers war, wurde er von den aus dem anderen Lager gegen ihn Ausgeschickten überfallen. Da es hier zum Handgemenge zwischen ihnen kam, bemerkten es die Etrusker sogleich, und in Eile kam der Sohn des Königs mit einer Reiterschar ihnen zu Hilfe und die von den Fußsoldaten, die vor dem Lager Wache hielten, liefen zusammen.

V 34: Darüber aufgebracht berief Porsenna die Etrusker zu einer Versammlung und erklärte: Während ihm die Römer aufgetragen haben, die richterliche Entscheidung über die Beschuldigungen zu fällen, die ihnen von Tarquinius gemacht wurden, haben die mit Recht von ihnen Vertriebenen noch vor Beendigung des Rechtsstreites gewagt, sich während des Waffenstillstandes an den geheiligten Personen von Gesandten und Geiseln zu vergreifen. Daher sprachen die Etrusker die Römer von den gegen sie erhobenen Vorwürfen frei, hoben die Gastfreundschaft mit den Tarquiniern und Mamilius auf und befahlen ihnen, noch am selben Tag das Lager zu verlassen.

Die Tarquinier also, die anfangs voll guter Hoffnung gewesen waren, dass sie entweder die Herrschaft über die Stadt wiedererhalten würden, da die Etrusker ihnen helfen, oder ihre Güter zurückbekommen würden, sahen sich wegen ihres Frevels gegen die Gesandten und die Geiseln in beidem getäuscht und zogen mit Beschämung und Erbitterung aus dem Lager ab. Der etruskische König aber ließ die römischen Geiseln an seinen Stuhl führen und gab sie dem Konsul zurück, indem er sagte, mehr als alle Geiseln gelte ihm die Treue der Stadt. Die eine Jungfrau aber, von der die anderen veranlasst worden waren, über den Fluss zu schwimmen, lobte er wegen ihres für ihr Geschlecht und ihr Alter außerordentlichen Hochsinns und pries die Stadt glücklich, dass sie nicht bloß wackere Männer erziehe, sondern auch Jungfrauen, die den Männern gleichen, und beschenkte das Mädchen mit einem Streitross, das mit einem prächtigen Kopfschmuck geziert war. Nach der Versammlung schloss er ein Friedens- und Freundschaftsbündnis mit den Gesandten der Römer, bewirtete sie und gab ihnen als Geschenk, dass sie der Satdt bringen sollten, alle Kriegsgefangenen ohne Lösegeld, und das waren viele. Und den Platz, auf dem er sein Lager aufgeschlagen hatte und den er nicht wie ein Lager in fremdem Land für kurze Zeit, sondern wie eine Stadt für Privat- und öffentliche Zwecke geeignet eingerichtet hatte, ließ er, obgleich es bei den Etruskern nicht Sitte war, wenn sie mit dem Lager aus Feindesland aufbrachen, ihre Einrichtungen stehen zu lassen, sondern sie zu verbrennen, nicht niederbrennen, sondern so bleiben, womit er der Stadt, in Geld berechnet, kein kleines Geschenk machte. Dies zeigte der Verkauf, den nach dem Abzug des Königs die Quästoren vornahmen.


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Dieses Ende also nahm der Krieg, in den die Römer mit den Etruskern und dem König von Clusium, Lar Porsenna, verwickelt wurden, nachdem er die Stadt in große Gefahren gebracht hatte.

V 35: Der römische Senat versammelte sich nach dem Abzug der Etrusker und beschloss, dem Porsenna einen elfenbeinernen Stuhl und Szepter, eine goldene Krone und ein Triumphgewand zu schicken, das zum königlichen Schmuck gehörte, dem Mucius aber, der sich entschlossen hatte, für das Vaterland zu sterben, weil er die Hauptursache der Beendigung des Krieges gewesen zu sein schien, Land zu schenken von dem Staatsgut jenseits des Tiberflusses, auf dieselbe Weise wie dem Horatius, der früher die Brücke verteidigt hatte, so viel er an einem Tag mit dem Pflug umfahren könnte. Dieser Platz wird bis zu unseren Zeiten die Mucischen Wiesen genannt. Dies billigten sie den Männern zu, der Jungfrau Cloelia aber die Errichtung eines ehernen Standbildes, das die Väter der Jungfrauen auf der heiligen Straße, die auf den Markt führt, aufstellten. Dieses fand ich nicht mehr vor. Man sagte, es sei bei einem Brand in den benachbarten Häusern zugrunde gegangen. (...)

V 36: Die im vierten Jahr regierenden Konsuln, Spurius Lartius und Titus Herminius, blieben ihre ganze Amtszeit ohne Krieg. Unter diesen Konsuln starb Aruns, der Sohn des etruskischen Königs Porsenna, während er die Stadt Aricia schon im zweiten Jahre belagerte. Sogleich nämlich nach dem Abschluss des Bündnisses mit den Römern erhielt er die Hälfte des Heeres von seinem Vater und zog gegen die Ariciner, um sich ein eigenes Reich zu gründen. Beinahe hätte er die Stadt genommen, als den Aricinern Hilfe aus Antium, Tusculum und dem kampanischen Cumae geschickt wurde. Obgleich er nun mit einer kleineren Kriegsmacht gegen eine größere stritt, schlug er die anderen und trieb sie bis zur Stadt zurück, von den Cumanern aber, die Aristodemus mit dem Beinamen Malacus anführte, wurde er besiegt und fiel, und das etruskische Heer hielt nach seinem Fall nicht mehr stand und ergriff die Flucht. Viele von ihnen kamen bei der Verfolgung durch die Cumaner um, andere, eine noch größere Zahl, in dem Land zerstreut, nahmen ihre Zuflucht auf das nicht weit entfernte römische Gebiet, nachdem sie die Waffen verloren hatten und wegen ihrer Wunden nicht im Stande waren, weiterzugehen. Diese schafften die Römer vom Lande in die Stadt auf Frachtwagen, Korbwagen und Lasttieren, einige schon halb tot, brachten sie in ihre Häuser und sorgten für ihre Genesung durch Speise, Heilmittel und alle anderen Freundschaftsdienste, die ein herzliches Mitleid beweisen. Daher hatten viele von ihnen, durch tiefe Wohltaten bewogen, kein Verlangen mehr, nach Hause zurückzukehren, sondern wünschten bei ihren Wohltätern zu bleiben. Der Senat wies ihnen einen Platz in der Stadt an, wo sie Häuser bauen sollten, das zwischen dem palatinischen und kapitolinischen Hügel ungefähr vier Stadien sich erstreckende Tal, das bis jetzt von den Römern in ihrer Sprache die Tuskische Straße genannt wird, die vom Markt zur großen Rennbahn führt.