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Johanna Salsa und Stefanie Manseck

Das Paris-Urteil. Ein Beispiel für die Umsetzung von "Antiker Mythos in Text und Bild" im Lateinunterricht

 

I. Einleitung

II. Ausführliche Übersicht der Themen, Texte, Gemälde und ihre mögliche Einordnung in den Rahmenplan

III. Konzeption

IV. Der didaktische Ansatz

V. Vergleich von Text und Bild

1. Der veranschaulichende Vergleich

2. Der darstellerische Vergleich

3. Der rezeptionsgeschichtliche Vergleich

VI. Der Museumsbesuch

VII. Das Parisurteil- ein Beispiel aus dem Unterrichtsmaterial

VIII. Didaktisch-methodische Hinweise zum Bildeinsatz

IX. Ausblick

X. Literatur zu Text und Bild

 


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I. Einleitung

"Text und Bild. Antikenrezeption auf Werken der Gemäldegalerie Berlin"1 ist ein Projekt von acht engagierten Lateinlehrerinnen und Lateinlehrern, die unter der Leitung von Dr. Roland Granobs einen Beitrag zum fächerübergreifenden Unterricht leisten möchten. Die Zusammenarbeit bezieht sich hier primär auf den Kunstunterricht, aber auch die Verwendung in den Fächern Religion, Deutsch und Philosophie ist denkbar, da das Projekt Texte antiker Autoren und ausgestellte Werke der Gemäldegalerie2 verbindet, die Themen der antiken Mythologie und Historie behandeln. Die gedruckte, für den Unterrichtseinsatz bestimmte Publikation von "Text und Bild" wurde erst durch die großzügige Förderung der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, und der Zusammenarbeit mit Frau Dr. Otto von den Besucherdiensten der Staatlichen Museen möglich. Die Autorinnen dieses Artikels möchten im Folgenden auf die Verwendung von "Text und Bild" speziell im Lateinunterricht eingehen. Nach einer ausführlichen Übersicht der Themen, Texte, Gemälde und ihrer möglichen Einordnung in den Rahmenplan, der Vorstellung des Konzepts, des didaktischen Ansatzes und der Darlegung des für das Projekt wichtigen Text-Bild-Vergleiches wenden wir uns dem eigentlichen Museumsbesuch zu und erläutern am Beispiel des Parisurteils die konkrete Verwendung der Informationsblätter.

 

II. Ausführliche Übersicht der Themen, Texte, Gemälde und ihre mögliche Einordnung in den Rahmenplan

Die Auswahl beschränkt sich auf 16 Themen von kulturhistorischer bzw. rezeptionsgeschichtlicher Relevanz, deren textliche sowie malerische Umsetzung einen inhaltlich ergiebigen Vergleich zulässt. Insgesamt sollte auch aus Gründen der Benutzbarkeit ein Umfang von insgesamt 100 Seiten nicht überschritten werden. Das thematisch ergiebigste Textreservoir bilden die "Metamorphosen" des Ovid, weitere Texte finden sich aber auch bei Autoren wie Livius, Cicero oder Vergil; Hygins Kurzfassungen von Sagen können als Übergangslektüre oder als Ergänzung zu den "Metamorphosen" behandelt werden. Das in den Texten gewonnene Hintergrundwissen wird bei der für die Schüler (sicherlich oft ersten) Begegnung mit Malern wie Corregio, Rubens, Rembrandt, Poussin usw. eingebracht und angewendet. Die Einordnung in den Berliner Rahmenplan geschieht hier nur für die gymnasiale Oberstufe. Für die Klassenstufen 5-10 ist das Material ebenfalls einsetzbar, gegebenenfalls können (vereinfachte) Originaltexte oder Lektionstexte aus Unterrichtswerken herangezogen werden. Die nachfolgende Tabelle umfasst alle in "Text und Bild" behandelten Themen, Texte und Gemälde.


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Thema

Text

Gemälde (Maler, Titel)

Einordnung in den Rahmenplan

1

Aeneas

Vergil, Aeneis I 254-266

Ovid, met. XIV 581-608

Candid: Aeneas wird von Venus in den Olymp aufgenommen

l1/L1-2.01 Vergil

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l2/L2-4.03 Vergil

l2/L2-4.08 Roma aeterna

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

2

Deukalion und Pyrrha

Ovid, met. I 367-415

Castiglione: Deukalion und Pyrrha

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

3

Diogenes u. Alexander

Cicero, Tusc. V 92

Valerius Maximus IV 3,e4

Assereto: Alexander und Diogenes

l1/L1 bis l3/L3-3 Cicero

Philosophie

4

Europa

Ovid, met. II 833-875

Jordaens: Die Entführung der Europa

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

5

Latona

Ovid, met. VI 313-381

Bril: Landschaft mit Latona und den lykischen Bauern

Swanevelt: Italienische Landschaft mit Staffage aus der Latona-Erzählung

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

6

Leda

Hygin, fab.

Anon., Cygnus et Leda

Correggio: Leda mit dem Schwan

 

7

Lucretia

Livius I 57,7-59,2

Ovid, fast. II 736-836

Cranach d. Ä.: Lucretia

l1/L1-2.08 Die Frau in der Antike

l2/L2-2.09 Die Frau in der Antike

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

8

Mars und Venus

Ovid, ars II 561-594

Ovid, met. IV 171-189

Di Cosimo: Venus, Mars und Amor

Bordone: Mars und Venus, von Vulkan überrascht

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

9

Merkur und Argus

Ovid, met.I 622-746

Hygin, fab. (Io)

Nicolas Poussin: Landschaft mit Iuno und dem getöteten Argus

Pierfrancesco Mola: Merkur und Argus

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

10

Paris

 

Hygin, fab. (Paridis iudicium)

Balen d. Ä.: Das Urteil des Paris

Carlone: Der Aufbruch der Göttinnen Juno, Venus und Minerva, geleitet von Merkur, zum Parisurteil

 

11

Perseus und Andromeda

Ovid, met. IV 668-705; 735-739

Cesari: Perseus befreit Andromeda

Rubens: Perseus befreit Andromeda

Rubens: Andromeda

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis


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12

Proserpina

Cicero, Verr. IV 106 f.

Hygin, fab (Proserpina)

Ovid, met. V 385-425

Rembrandt: Raub der Proserpina

l1/L1 bis l3/L3-3 Cicero

l2-F 2.1 Ovid

l2-P/F 2.4 Cicero, eine Rede

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

13

Pyramus und Thisbe

Ovid, met. IV 55-166

Baldung: Pyramus und Thisbe

Braemer: Die Auffindung von Pyramus und Thisbe

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

14

Scipio

Livius XXVI 50

Restout: Die Großmut des Scipio

Flemael: Die Großmut des Scipio

l1-F 1.2 bzw. l1/L1-1.1 oder 1.2 Livius

L2-P 2.2 bzw. l2/L2-1.1 oder 1.2 Livius

15

Venus und Amor

Lateinischer Lehrspruch auf dem Bild

Cranach d. Ä.: Venus und Amor als Honigdieb

 

16

Vertumnus und Pomona

Ovid, met. XIV 622-683; 765-771

Melzi: Vertumnus und Pomona

Netscher: Vertumnus und Pomona

l2-F 2.1 Ovid

L2-P 1 Ovid

l3/L3-4.4 Der Dichter und sein Verständnis

Anmerkung: F = Fundamentalbereich (11. Kl.) P = Profilbereich (11. Kl.)

l = Grund-/Basiskurs L= Leistungskurs

 

 

III. Konzeption

Zu jedem antiken Thema bzw. Stoff existieren unabhängig voneinander einsetzbare Einheiten z. B. Paris. So lässt sich für jede Schülergruppe individuell ein Programm erstellen. Die einzelnen Einheiten sind unterschiedlichen Umfangs, jedoch alle nach demselben Schema aufgebaut.

1.  Der lateinische Text (oder mehrere Texte) - im Falle des Parisurteils der Hygintext aus den Fabulae - kann im Unterricht als Kopie verteilt werden. Er ist schülerfreundlich mit viel Zeilenabstand für Notizen und mit Vokabelangaben ad lineam versehen, wobei der "Grundwortschatz nach Sachgruppen" des Klett Verlags (Stuttgart 1990) vorausgesetzt wird. Bei den Verben wird der Perfektstamm bzw. das Partizip Perfekt Passiv nur dann angegeben, wenn es für die Übersetzung nötig ist. Um ältere Schüler nicht zu unterfordern oder individuellen Intentionen des Lehrers vorzugreifen, beschränken sich die Angaben zur Konstruktion sowie die Sacherläuterungen auf ein Minimum. Auf interpretatorische Hinweise wurde aus den genannten Gründen ganz verzichtet.

2. Die Führungsblätter können den Schülern ebenfalls als Kopie zur Verfügung gestellt werden, sie erhalten in der Regel eine kurze Information zum Maler, eine Reproduktion des Gemäldes und Fragen zur Rezeption bzw. Interpretation.

3.  Die Lehrerblätter beinhalten eine deutsche Übersetzung, Hinweise zu Lösungen der Aufgaben, Quellen- und Literaturangaben sowie zuweilen didaktisch-methodische Hinweise.

 

IV. Der didaktische Ansatz

In der didaktischen Literatur zum LU gibt es zwei gegensätzliche Positionen zum Verhältnis von Archäologie und Kunstgeschichte auf der einen Seite und dem Lateinunterricht (LU) auf der anderen.


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Die eher textbezogene Position widerspiegelt folgende Äußerung von Hans-Joachim Glücklich: "Archäologie und Kunstgeschichte sind also nicht primär als Motivationsförderer, sondern im Sinne der textpragmatischen und der interpretatorischen Arbeit einzusetzen. Sie haben dabei im Lateinunterricht eine dienende Funktion: das Bild verdeutlicht das geschriebene Wort, nicht der Text das Bild." (Glücklich [1993], 171 f.) Da der Lateinunterricht nach Glücklichs Ansicht Textunterricht ist, werden dem LU die Archäologie und Kunstgeschichte und ihre Werke untergeordnet. Für den Einsatz archäologischer und kunsthistorischer Gegenstände ergeben sich verschiedene Möglichkeiten:

*  Erhellung der Situation des ursprünglichen Lesers

*  Erhellung der Darbietungsform des Textes

*  Verdeutlichung der im Text erwähnten Realien

*  Parallelisierung oder Kontrastierung anderer - nicht textgebundener - Rezeptionen eines antiken Geschehens oder künstlerischen        Motivs (z. B. aus dem Mythos)

Zusätzlich zu diesen textbezogenen sieht Glücklich weitere Funktionen, "die die Eigenart des Lateinunterrichts und der Textarbeit beleuchten können oder Randerscheinungen betreffen, denen Bedeutung und Sinn nicht abgesprochen werden sollen" (Glücklich [1993], 173):

*  Kontrastierung der Arbeitsweise der Archäologie und der Kunstgeschichte mit der philologischen Textarbeit

*  Einführung in Nachbarwissenschaften der Alten Sprachen

*  Entspannung und Genuss

*  Vorbereitung einer Exkursion

Glücklich spricht von Randerscheinungen, aber gerade diese Randerscheinungen gewinnen im heutigen LU immer mehr an Bedeutung. Das delectare - auch im Sinne des Ästhetisch-Schönen - und das prodesse stellen unserer Ansicht nach gleichermaßen legitime Ziele des LU dar.

Im Gegensatz zu Glücklich weist Gerda Schwarz entschieden darauf hin, dass ein Kunstwerk autonom ist und für sich selbst steht. So dürfe beispielsweise ein Gemälde nicht instrumentalisiert und allein in den Dienst eines lateinischen Textes gestellt werden. Seine Kunsthaftigkeit müsse wahrgenommen und thematisiert werden. Im LU würden Schüler jedoch vielfach dazu verleitet, ein Bildwerk nicht als eigenständig und eigenen Gesetzen gehorchend wahrzunehmen, sondern in Abhängigkeit vom Text zu interpretieren und "die Bildkunst gleichsam als monumentale Philologie zu verstehen". (SCHWARZ, 63) Vielmehr verlangten nach Schwarz‘ Ansicht die Gegenstände von Archäologie und Kunstgeschichte nach spezifischen Interpretationsansätzen.3

In "Antiker Mythos in Text und Bild" wurde der Versuch unternommen, diese gegensätzlichen Positionen miteinander zu vereinen. Das Bild und der Text stellen selbstständige Kunstwerke dar, die sich gegenseitig "befruchten" können. Die entscheidende Rolle kommt hierbei den Führungsblättern und den darin geäußerten Fragen zu:

*  Welchen Teil der Handlung hat der Maler für seine Darstellung ausgewählt?

*  Welche Gründe könnten ihn dazu veranlasst haben?

*  Wie hat er die Handlung dargestellt? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der bildlichen Darstellung und der         Textaussage lassen sich erkennen?

Hierbei ist die genaue Beobachtung des Textes und des Bildes und der Vergleich zwischen diesen entscheidend.


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V. Vergleich von Text und Bild

Der Vergleich wird lerntheoretisch nicht nur als elementare Methode, sondern als Grundvoraussetzung des Erkenntnisgewinns begründet. Neuer Stoff wird nämlich erst in Bezug zu schon bekanntem Wissen erlernbar (LOHMANN, 60). Durch Abgrenzung und Übereinstimmung gliedert der Vergleich die neuen Informationen in den bereits gefestigten Wissensbestand ein. So ist das Vergleichen eine Schlüsselkompetenz und zugleich ein didaktisches Postulat4. Darüber hinaus fördert der Vergleich auch die Lernerautonomie. Die Schüler selbst sind die Akteure des Lernens, sie entdecken Gemeinsamkeiten und Unterschiede der zu vergleichenden Gegenstände und werden auf den Problemgehalt aufmerksam. (LOHMANN, 40 - 43). Der Lehrer schafft zwar die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, indem er die Vergleichsgegenstände auswählt und als Informant und Moderator die Lernschritte organisiert, beim eigentlichen Lernakt steht er jedoch abseits.5

Der Vergleich von Text und Bild kann im Rahmen dieses Materials zu einem Erkenntnisgewinn auf drei Ebenen führen:

1.  Die inhaltliche Veranschaulichung des zugrundeliegenden Themas (beispielsweise eines Mythos)

2.  Verdeutlichung der Verschiedenartigkeit der beiden Künste Literatur und Malerei und der damit verbundenen unterschiedlichen  Ausdrucksmöglichkeiten und Darstellungstechniken

3.  Die Darlegung der rezeptionsgeschichtlichen Relevanz antiker Stoffe

So visualisiert das Bild Aussageaspekte des Mythos, durch den Vergleich werden Text- und Bildinhalte erschlossen. Gemeinsamkeiten führen dabei zur Veranschaulichung des Mythos, Unterschiede zur inhaltlichen Vertiefung in Rückgriff auf die Textgrundlage. Gleichzeitig werden so die Nachwirkungen der Mythen in der europäischen Geschichte und Gegenwart aufgezeigt. Das Bild selbst ist Rezeptionsdokument des Mythos, der Vergleich dient als Mittel zur Wahrnehmung von Unterschieden zwischen Mythos und Rezeptionsdokument, als Interpretationsanlass und als Verstehensgrundlage des Wesens von Rezeption. Grundlage und Voraussetzung für einen angemessenen und tragfähigen Vergleich von Text und Bild in Bezug auf den Inhalt ist die Betrachtung der unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten der beiden Medien. Dabei ist das Bild Repräsentant der Malerei und der Text Stellvertreter der Literatur. Der Vergleich verdeutlicht die Verschiedenheit der Darstellungsarten.

Es kommen also auch drei verschiedene Vergleichsansätze zum Tragen. Der veranschaulichende Vergleich fokussiert die inhaltlichen Gemeinsamkeiten von Text und Bild und folgt der Fragestellung, was durch Text und Bild dargestellt wird. Bei dem anschließenden rezeptionsgeschichtlichen sowie darstellerischen Vergleich richtet sich das Augenmerk auf die Unterschiede und Abweichungen der textlichen und bildlichen Darstellung. Es wird untersucht, wie das inhaltliche Thema in Text und Bild dargestellt wird und warum es so dargestellt wird. Dabei werden im darstellerischen Vergleich die gestalterischen Mittel und Ausdrucksmöglichkeiten von Text und Bild untersucht, im rezeptionsgeschichtlichen die bewusste Änderung von Aussageaspekten oder der Gesamtaussage. So wird sowohl den unterschiedlichen Darstellungsformen der zugrundeliegenden Medien Rechnung getragen als auch ihrer historisch-individuellen Besonderheit als kontextuell eingebettete Dokumente.


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1. Der veranschaulichende Vergleich

Im Vorfeld der Lektüre dient der Bildeinsatz zur inhaltlichen Vorentlastung des Textes und zum Aufbau eines Erwartungshorizonts mit Hilfe von Leitfragen. Das Bild als offenes Kunstwerk im Sinne von Umberto Eco hat dabei Aufforderungscharakter. Es macht im Vorfeld der Lektüre neugierig auf den lateinischen Text und motiviert zur weiteren Auseinandersetzung.6 Der lateinische Text wird als Träger wichtiger und interessanter Informationen aufgewertet.

Während der Lektüre kann so eine natürliche Lesehaltung durch Hypothesenbildung und -überprüfung mit Unterstützung des Bildes aufgebaut werden. Es findet ein impliziter Text-Bild-Vergleich statt als natürlicher Prozess der Dateneingliederung und -verarbeitung im Gehirn. Das Missverhältnis von sprachlichem und inhaltlichem Textverstehen aufgrund des hohen Dekodierungsaufwands im Lateinischen wird entschärft durch die bildhafte Vergegenwärtigung des Textinhaltes. Das Bild wirkt im Gegensatz zu der oft praktizierten schriftlichen und mündlichen Belehrung direkt und kann weitere innere Bilder und Vorstellungen initiieren.

Nach der Lektüre ist das Bild Vergleichsgegenstand des expliziten und somit bewussten Text-Bild-Vergleichs. Durch den Fokus auf inhaltliche Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten werden die mythischen Inhalte von Text und Bild in wechselseitiger Erschließung anschaulich. Der Vergleich hat dabei den Charakter eines zu lösenden Rätsels, motiviert und erhöht die Lerneraktivität.

Während des gesamten Lernprozesses wird durch den Bildeinsatz der dominierende visuelle Lerntyp berücksichtigt (FREITAG, 10; PIECHA, 49), die Zahl der Wahrnehmungskanäle vermehrt, die Assoziationsmöglichkeiten erhöht, die Vernetzung und Speicherung der neuen Informationen im Gehirn verbessert und dadurch letztendlich die Gedächtnisleistung und der Lerneffekt erheblich gesteigert (CLASEN 5; PIECHA 49; GUDJONS, 10). Darüber hinaus haben Bilder eine ästhetische Wirkung und sprechen die Gefühle des Betrachters an. Es kommt zu einer Emotionalisierung, die ein affektives Gegengewicht zur kognitiven Seite des Lateinunterrichts bildet7 und die Informationen im Gehirn noch tiefer verankern kann (VESTER, 189). Trotz unterschiedlicher Sprachkompetenzen gestattet das Bild allen Schülern am Text-Bild-Vergleich teilzunehmen, da Schwächen auf der Übersetzungsebene durch sorgfältige Bildbeobachtung wettgemacht werden können (FREITAG, 13 ff.). Bei Schülern, die sich selbst wenig zutrauen und dem Fach gegenüber negativ eingestellt sind, können sich auf diesem Wege Erfolgserlebnisse einstellen und Lernblockaden verringern (SCHERLING /SCHUCKALL, 10 f.).


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2. Der darstellerische Vergleich

Autor und Künstler beschreiten bei der Darstellung ein- und desselben Stoffes auf Grund der gestalterischen Möglichkeiten, die durch ihr Medium (Text oder Bild) bedingt sind, unterschiedliche Wege. Auf der Ebene der Zeichen setzen sich Texte aus Buchstaben und Bilder aus Formen und Farben zusammen. Aufgrund des unterschiedlichen Ausdrucksmaterials und der damit zusammenhängenden Dekodierungsvorgänge sind die prinzipiellen Ausdrucksmöglichkeiten von Bild und Text verschieden. Der größte Unterschied von textlicher und bildlicher Darstellung besteht darin, dass Literatur zeitlich Aufeinanderfolgendes darstellt, also Handlung, während Malerei Gleichzeitiges erfasst, also eine Momentaufnahme, einen Augenblick. Das Problem von Bildern, sukzessive Ereignisse (Handlung) widerzugeben, bedingt den Zwang, den fruchtbaren Augenblick (Argumentation nach Lessing, vgl. PIECHA, 111) aus einem Text herauszulösen, also den Moment des Mythos, der die Handlung und die Aussage nach Meinung des Künstlers auf den Punkt bringt. Im Gegenzug kann und muss dieser Moment jedoch in allen Einzelheiten dargestellt werden - dies macht eine vertiefende Betrachtung möglich. Der Bildeinsatz hat beim Vergleich mit dem Text einerseits eine selektierende Komponente, indem er den für die Mitteilungsintention des Malers interessanten fruchtbaren Augenblick der Erzählung als Kristallisationspunkt der Aussage darstellt, andererseits aber auch eine supplementierende Komponente, indem er genau diesen Moment in einer für textliche Darstellung unerreichbaren Detailfülle darstellt. Bei seinem schöpferischen Akt hat der Künstler also "gezwungenermaßen" die Freiheit, Angaben eines ihm als Inspirationsquelle dienenden Textes unberücksichtigt zu lassen und andererseits den dargestellten Augenblick mit zusätzlichen Informationen auszuschmücken. Durch die jahrhundertelange Tradition der Malerei sind allerdings folgende Strategien zur Darstellung von sukzessiven Handlungsabläufen entwickelt worden:

monoszenisches Bild

pluriszenisches Bild

Bilderfolge

Verschmelzung von Elementen verschiedener Phasen in einem Bild8

die simultane Darstellung aufeinanderfolgender Phasen

zwei oder mehr aufeinanderfolgende Bilder zu einem Thema

Das prinzipiell unterschiedliche Ausdrucksmaterial von Text und Bild und ihre damit verbundenen divergierenden Ausdrucksmöglichkeiten sollten explizit angesprochen und behandelt werden. Nur so kann ein angemessener unterrichtlicher Umgang mit Kunst stattfinden, bei dem die Werke nicht allzu naiv betrachtet und interpretiert und schon gar nicht allein in den Dienst eines lateinischen Textes gestellt werden (zur Veranschaulichung, als Interpretationshilfe etc.). Es bietet sich an, die Schüler schon zu Beginn der Unterrichtsreihe Literatur und Malerei anhand eines konkreten Beispiels miteinander vergleichen und sich ihrer unterschiedlichen Mittel, Möglichkeiten und Grenzen bei der Gestaltung und Vermittlung eines Inhaltes bewusst werden zu lassen (PIECHA, 142). Dabei können folgende darstellerische Unterschiede erarbeitet werden:

 

Text

Bild

Buchstaben

Farben und Formen

Aufeinanderfolgende Informationen

(sukzessive Darstellung)

Zeitgleiche Informationen

(simultane Darstellung)

Handlung

Momentaufnahme

Benennt konkrete Personen und Ereignisse

Inhaltliche Konkretisierung schwierig

 


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Ausgehend von dieser grundlegenden Bestandsaufnahme können die Theorie des fruchtbaren Augenblicks und weitere Strategien der Malerei zur Handlungsdarstellung und inhaltlichen Konkretisierung erarbeitet werden. Im weiteren Verlauf der Reihe lassen sich diese Kenntnisse erweitern, sodass den Schüler folgende Ausdrucksmöglichkeiten der Malerei bekannt sind, auf die sie gegebenenfalls auch bei einer eigenen künstlerischen Betätigung9 zurückgreifen können.

Der fruchtbare Augenblick · Pluriszenische, monoszenische Darstellung und Bilderfolge · Dargestellte Bewegung · Blickrichtungen der dargestellten Personen · Kennzeichen und Attribute der Götter · Symbolik und Bedeutung der Farben · Bildperspektive (Vorder-, Mittel- und Hintergrund können zeitliche Abfolge oder inhaltliche Gewichtung darstellen) · Farb- und Helligkeitskontraste sowie Umrisslinien zur Gliederung oder Gewichtung.

3. Der rezeptionsgeschichtliche Vergleich

Die meisten Rezeptionen entstanden als künstlerische Auseinandersetzung mit einem Stoff, bei der der Künstler gewisse inhaltliche Aspekte neu gewichtet und verändert, um die eigenen Mitteilungsintentionen einzubringen. Bei seinem schöpferischen Akt individualisiert und spezifiziert er durch Unterschiede (z. B. Blickwinkel und Details) die Aussage des zugrundeliegenden Themas. Der rezeptionsgeschichtliche Vergleich verdeutlicht somit nicht nur das Fortleben eines antiken literarischen Stoffes (PIECHA, 19), sondern auch seinen stetigen Wandel. So können die Schüler erfahren, dass beispielsweise Mythen immer wieder aktualisiert wurden, dass Künstler von Traditionen beeinflusst wurden und dass sie verschiedene Schwerpunkte in ihrer Darstellung setzen oder sogar den Stoff ganz grundsätzlich neu interpretieren. Die Schüler erkennen, dass schon allein die Wahl des fruchtbaren Augenblicks ein subjektiver Akt ist, bei dem persönliche Interessen und Wertungen des Künstlers einfließen. So ist die Rezeption eines Textes in Form eines Bildes immer eigenständig. Durch einen genauen Text-Bild-Vergleich können die Schüler weiterhin untersuchen, wie stark und aus welchem Grund der Künstler von der mythischen Vorlage abweicht. Je mehr sich seine Umsetzung und inhaltliche Aussage von der lateinischen Originalfassung entfernen, desto eigenständiger ist seine Rezeption. Die Rezeption kann sich sogar so weit vom Originalstoff entfernen, dass das mythologische Motiv nunmehr als Vorwand für eine bestimmte Form der malerischen Darstellung fungiert. Da bis in das 19. Jahrhundert hinein die unangefochtene Meinung herrschte, "dass die Malerei nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine moralische, belehrende Funktion habe" (PIECHA, 99), konnten sich bestimmte Formen der bildenden Kunst, wie beispielsweise Landschafts- oder Aktmalerei, nur unter dem Deckmäntelchen der antiken Mythologie herausbilden. Der Rezeptionsstoff wurde somit für legitimatorische Zwecke instrumentalisiert. Diese verselbständigte Rezeption10 ist die Radikalisierung der eigenständigen Rezeption. Bei der Suche nach den jeweiligen Gründen werden neben der persönlichen Interpretation des Künstlers auch die historisch bedingte Weltsicht und künstlerische Traditionen angeschnitten. Um den Schülern die Möglichkeit zu geben, lehrerunabhängig Lösungen zu finden, werden den Schülern in schriftlicher Form jeweils Zusatzinformationen zu Künstler, Werk und historischem Kontext bereitgestellt.11


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VI. Der Museumsbesuch

Da eine sinnvolle Lektüre lateinischer Texte ohne detaillierte Kenntnis ihrer situativen Bedingungen nicht möglich ist, müssen zu den textinternen Informationen möglichst viele textunabhängige Quellen herangezogen werden. Die Monumente römischer Kunst, Architektur und Zivilisation, die an ihren originalen Orten erhalten sind, wären hierbei ideal, lassen sich vielfach nur bei Studienfahrten realisieren. Man kann aber auch die Museen als Informationsort und Lernort nutzen. Eine Zusammenfassung der Internet-Museumsadressen findet man unter http://www.phil.uni-erlangen.de/~p2latein/kirke/staettende.html

Im Rahmen des LU wurden bisher Museen der römischen Regionalarchäologie didaktisch präsentiert. Hierbei sind insbesondere das Rheinische Landesmuseum in Bonn und der Archäologische Park in Xanten hervorzuheben. Zahlreiche Museen bzw. museumspädagogische Dienste haben spezielle Unterrichtsprogramme entwickelt, die - im Gegensatz zu herkömmlichen Führungen als Gesamtklasse - mit Hilfe von Arbeitsbögen und Gruppen die Eigentätigkeit der Schüler und entdeckendes Lernen zu wecken versuchen. Die Arbeitsbögen umfassen Aufgabenarten wie Materialbeschreibung, Schilderung des persönlichen Eindrucks, Vergleiche, Zuordnungsaufgaben, Auswahlantworten, Ratespiele, Zeichnungen und Ergänzungen von Skizzen u. a. m.

Obwohl bereits 1981 FRINGS/KEULEN/NICKEL bemerkten, dass der LU als ein dem archäologischen Museum affines Fach nicht nur unter dem Aspekt römischer Regionalarchäologie die Angebote kulturhistorischer Museen aufgreifen und auf diese Weise den Schülern Selbsterfahrung in der Begegnung mit Gestalt gewordener Vergangenheit planvoll ermöglichen solle (FRINGS, 199), so verwundert es, dass bisher - die archäologischen Museen seien hierbei ausgenommen - unseres Wissens keine umfassenden Veröffentlichungen den Museumsbesuch im LU thematisieren. (Ein entsprechendes Heft des Altsprachlichen Unterrichts ist wohl in Vorbereitung.) Diese Lücke versucht das vorliegende Projekt zu schließen. Obwohl der Ansatz, den Besuch einer Gemäldegalerie unter dem Thema "Mythos" in den LU einzubinden, relativ neu ist, werden bei der Organisation und Methodik die Unterrichtsprogramme der museumspädagogischen Dienste übertragen. Damit der Museumsbesuch für alle Beteiligten problemlos und ergebnisreich verläuft, sollten seitens des Lehrers folgende Hinweise beachtet werden:

Vor dem Museumsbesuch

Vorbereitung des Lehrers: Es ist ratsam, sich die Gemälde allein und in Ruhe anzusehen, die Örtlichkeiten zu erkunden und sicher zu stellen, dass das Gemälde auch ausgestellt ist. Sollte dies aus Zeitgründen nicht möglich sein, kann auch die Erarbeitung der Führungsbögen genügen. Die Führungsblätter müssen vor dem Besuch kopiert werden, sollten den Schülern erst unmittelbar vor dem Museumsbesuch ausgegeben werden, um deren Vorhandensein während des Besuchs und Chancengleichheit bei der Bearbeitung zu sichern. In "Text und Bild" befindet sich ebenfalls ein Übersichtsplan, da die Galerie recht weitläufig ist. Dieser Plan liegt gewöhnlich auch in der Rotunde am Eingang der Galerie aus und sollte ebenfalls erst unmittelbar vor dem Besuch an die Schüler verteilt werden.


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Vorbereitung der Schüler: "Text und Bild" beinhaltet ein Informationsblatt "Zu Besuch in der Gemäldegalerie Berlin", das in Kopie an die Schüler verteilt werden kann und kurze Informationen zur Berliner Gemäldegalerie und wichtigste Verhaltensmaßregeln enthält. Die Textblätter sollen die Schüler ins Museum mitbringen, da sie bei der Bearbeitung der Führungsblätter benötigt werden.

Arbeit im Museum

Festlegung des Pensums: Für die Bearbeitung der Führungsbögen eines Gemäldes lassen sich als Richtwert 15 Minuten ansetzen. Die Zeitdauer variiert natürlich nach Alter und Anzahl der Schüler. Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass die intensive Betrachtung einiger Werke einem Schnelldurchgang vorzuziehen ist. Die Stoffe sollten nach Möglichkeit alle, gegebenenfalls punktuell vor dem Besuch erarbeitet sein, da eine Erarbeitung vor Ort die Schüler in der Regel überfordert. Zur Not kann den Schülern die Übersetzung des ihnen unbekannten Textes kopiert werden.

Aufteilung in Gruppen: Eine Gruppengröße von 2 bis 4 Schülern erscheint sinnvoll. Die Schüler können dann die Führungsbögen zu verschiedenen Themen in beliebiger Reihenfolge bearbeiten. Als methodische Variante können die Gruppen nur 1 bis 2 Gemälde behandeln und als Spezialisten den anderen Gruppen in einer Art Museumsführung vorstellen. Ein Vorteil ist hierbei die sofortige Ergebnissicherung, es erfordert jedoch eine gute Konzentrationsfähigkeit der Schüler in einer eher rezeptiven Phase.

Treffpunkt festlegen: Nach der Erarbeitungsphase sollte den Schülern Möglichkeit zur eigenen Erkundung gegeben werden. So lässt sich etwa nach einer Stunde ein Treffpunkt festlegen, etwa die Rotunde oder die Säulenhalle, bei dem man auf die "Digitale Galerie" hinweisen kann.

Verständnishilfe: Die wichtigsten Götter mit ihren Attributen und Eigenschaften sind in einem Götterverzeichnis zusammengefasst, wenn dies für das Verständnis des Stoffes wie beispielsweise beim Urteil des Paris von Belang ist. Es kann den Schülern vor dem Museumsbesuch oder währenddessen zur Verfügung gestellt werden, wenn dies die Kenntnisse der Schüler erfordern.

Nach dem Museumsbesuch

Eine Würdigung der Arbeitsergebnisse der Schüler ist als Ergebnissicherung unerlässlich. Sie sollte möglichst umgehend erfolgen, am besten noch im Museum, ansonsten in der folgenden Unterrichtsstunde. Ebenfalls wünschenswert ist eine Lernerfolgskontrolle, beispielsweise in der anschließenden Klassenarbeit bzw. Klausur.

 

VII. Das Parisurteil- ein Beispiel aus dem Unterrichtmaterial

Ein Beispiel  finden Sie hier: 


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VIII. Didaktisch-methodische Hinweise zum Bildeinsatz

Am Beispiel des Parisurteils lassen sich die verschiedenen didaktischen Orte des Bildeinsatzes darstellen. Neben der "klassischen" Vorgehensweise zuerst Übersetzung, dann Auseinandersetzung mit einer künstlerischen Rezeption ist auch folgender Weg gangbar: Das Bild kann zu Beginn des Unterrichtsthemas in Form einer OH-Folie eingesetzt werden. Hier dient der Bildeinsatz zur inhaltlichen Vorentlastung des Textes, macht auf den lateinischen Text neugierig, bindet emotional an und motiviert zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema. Wenn der Mythos in Grundzügen bereits bekannt ist, bietet sich im Falle des Parisurteils eher das Carloni-Bild an, da die entscheidende Szene noch nicht vorweggenommen wird. Die Schüler können viele Vermutungen anstellen und sich detaillierter mit den Einzelheiten des Bildes auseinandersetzen. Bei der anschließende Lektüre fungiert der lateinische Text als Träger interessanter und wichtiger Informationen. Der so oft formulierten Forderung nach der Analyse des Mitteilungsgehalts eines lateinischen Textes wird Rechnung getragen. Eine authentische Kommunikationssituation zwischen dem antiken Text und dem modernen Leser entsteht. Darüberhinaus wird durch den Bildeinsatz im Vorfeld der Lektüre ein Erwartungshorizont aufgebaut. So wird dem Schüler eine natürliche Lesehaltung ermöglicht, die sich als interaktiver und konstruktiver Prozess charakterisieren lässt, der im Spannungsfeld von Hypothesenbildung und -überprüfung stattfindet (WESTHOFF, 52)

Im Anschluss an die Lektüre erfolgt der Rückgriff auf die malerische Rezeption. Als erste Phase sollte ein direkter, expliziter Text-Bild-Vergleich durchgeführt werden. Beispiel für diesen Arbeitsauftrag könnte sein: "Welche im Text erwähnten Einzelheiten kannst du im Gemälde erkennen?" Da beim Paris-Urteil zwei verschiedene Bilder der Gemäldegalerie als Rezeptionsdokumente zur Verfügung stehen, können danach die verschiedenen Bildszenen, präsentiert auf OH-Folie, an richtiger Stelle im Textverlauf eingeordnet werden. Hierbei kann dem Schüler anhand der kontrastiven Darstellung die Theorie des fruchtbaren Moments nahe gebracht werden. Der Museumsbesuch vertieft die Eindrücke und zeigt mit Hilfe der Führungsbögen weitere Elemente der malerischen Umsetzung des Themas wie z. B. Attribute zur Kennzeichnung der Götter (Aufgabe 1 und 5), die Bildkomposition (Aufgabe 2), der Verweis auf die Nachwirkung des Parisurteils (Aufgabe 4, monoszenisches Bild) und die Rolle der Blickrichtung der dargestellten Personen (Aufgabe 6).

Darüber hinaus können im weiteren Verlauf oder in Nachbereitung des Museumsbesuches auch rezeptionshistorische Vergleichsmomente angeschnitten werden. So taucht womöglich bei der Behandlung des Carloni-Bildes die Frage nach der geflügelten Gestalt mit der Sense im mittleren Bildvordergrund auf. Dieser läst sich zwar eindeutig als Gott der Unterwelt (Mors, Thanatos) identifizieren, allerdings sind seine Attribute (Sense und Flügel) zum Teil gänzlich unrömisch. Den Schülern wird klar, dass sich bei der Darstellung des Todes anscheinend zeitgenössische barocke Vorstellungen "eingeschlichen" haben. Bei Oberstufenschülern kann diese Beobachtung noch vertieft werden und auf das Vanitas-Motiv hingewiesen werden (Vergänglichkeit, hier im krassen Gegensatz zu dem anderen Thema, der Schönheit). Auch der Aspekt der Instrumentalisierung eines mythischen Themas zur Legitimierung von Aktmalerei kann in Bezug auf das Balen-Bild zur Diskussion gestellt werden. Hierbei wird bereits deutlich, dass die Arbeitsblätter keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können bzw. die umfassende Behandlung des Themas in Literatur und Kunst den Rahmen des Arbeitsmaterials sprengen würde.


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IX. Ausblick

Obwohl der Fachlehrer zwar Kenntnis über die für den Unterricht relevanten Texte, der Kunstwissenschaftler Kenntnis über das Bildmaterial besitzt, können beide in Kooperation die Kenntnis ihrer Werke vertiefen. Dazu hofft das Projekt "Text und Bild" einen Beitrag zu leisten. Während bereits zahlreiche Schüler der Georg-Forster-Oberschule (Berlin-Lichtenberg), der Humboldt-Oberschule (Berlin-Tegel), der Heinrich-Schliemann-Oberschule (Berlin-Prenzlauer Berg) und der Alexander-von-Humboldt-Oberschule (Berlin-Köpenick) während der Erprobungsphase wichtige Hinweise gegeben haben, hoffen das Autorenteam des Projekts und dieses Artikels auf Anregungen und Rückmeldungen. Bei Fragen und Hinweisen zum dem Abschnitt Vergleich von Text und Bild wenden Sie sich an stephanie.manseck@berlin.de, bei Fragen und Hinweisen zu den übrigen Abschnitten an j.salsa@web.de .

 

X. Literatur zu Text und Bild

Clasen, A.: Wege zur Anschaulichkeit. Ein Beitrag zur Praxis der Textarbeit, in: AU 1+2/1990, 4-19.

Disselkmap, Ch.: Das Bild als Hilfe beim Dekodieren, in: AU 1+2/1990, 51-55.

Freitag, C.: Altsprachlicher Unterricht und Moderne Kunst. Lektüreprojekte, Bamberg 1994 (Auxilia 35).

Freitag, C.: Bild und Textverständnis - am Beispiel von Barry Mosers Zyklus "Darkness Visible" zu Vergils "Aeneis", in: AU 3/1997, 69-79.

Frings, U./Keulen, H./Nickel, R.: Lexikon zum Lateinunterricht, s. v. Museumspädagogik, Würzburg 1981, 198-201.

Glücklich, H.-J.: Anschauung. Veranschaulichung. Visualisierung, in: AU 1+2/1990, 30-43.

Glücklich, H.-J.: Lateinunterricht. Didaktik und Methodik, 2. erg. Aufl. Göttingen 1993.

Grau, P.: Texte lesen mit Bildern. Rezeptionsdokumente in den neuen Schulausgaben, in: Maier, F.: Latein auf neuen Wegen. Alternative Formen des Unterrichts, Bamberg 1999 (Auxilia 48).

Gudjons, H.: Ein Bild ist besser als 1000 Worte. Mit den Augen lernen, in: Pädagogik 10/1994, 6-10.

Holzberg, N. u. a. : Ut poesis pictura, Bd. 1+2, Bamberg 1993 (Auxilia 32/33).

Lohmann, D.: Dialektisches Lernen. Die Rolle des Vergleichs im Lernprozess. Stuttgart 1973.

Nickel, R.: Vergleichendes Interpretieren, in: AU 4+5/1993, 37-53.

Niemann, K.-H.: Archäologische Bilddokumente als Impulse zum Textverständnis, in: Anregung 34/1988. 370-382.

Piecha, R.: Visualisierung im Lateinunterricht. Realienkunde und Rezeptionsdokumente in Lehrbuch- und Lektürephase. Frankfurt am Main 1994 (Diss.).

Rabl, J.: Aeneas, Alexander, Andromeda ... Wo findet man sie in der Neuen Nationalgalerie? in: Latein und Griechisch in Berlin 1/1999, 10-32.

Scherling, T./Schuckal, H.-F.: Mit Bildern lernen. Handbuch für den Fremdsprachenunterricht, Berlin 1992.

Schwarz, G.: Text und Bild. Unterrichtsbegleitende Illustrationen aus der antiken Kunst, in: Ianus 11/1990, 63-85.

Steinhilber, J.: Medienhandbuch zum Lateinunterricht, Bamberg 1982 (Auxilia 6).

Steinhilber, J.: Medien und Motivation, in: Gymnasium 91 (1984), 151-154.

Vester, F.: Denken, Lernen, Vergessen München 1996.

Vorläufiger Rahmenplan für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule. Gymnasium Klasse 7-10 (1. und 2. Fremdsprache). Klasse 9 und 10 (3. Fremdsprache). Fach Latein. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport. Berlin 1990.

Vorläufiger Rahmenplan für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule. Gymnasium Gymnasiale Oberstufe. Fach Latein. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport. Berlin 1994.

Weidenmann, B.: Informative Bilder. Was sie können, wie man sie didaktisch nutzen und wie man sie nicht verwenden sollte, in: AU 1+2/1990, 44-50.


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Anmerkungen

1: Text und Bild. Antikenrezeption auf Werken der Gemäldegalerie Berlin unter Beratung von Sigrid Otto, hrsg. von Roland Granobs. Mit Beiträgen von Birgit Drechsler-Fiebelkorn, Renate Eilers, Roland Granobs, Stefanie Manseck, Dagmar Neblung, Jürgen Reinsbach, Johanna Salsa, Lola Witt, Berlin 2001 (erscheint voraussichtlich im Oktober 2001)

2: http://www.smb.spk-berlin.de/gg/i.html

3: Der Kunstgeschichte stehen hierbei eine Fülle an Interpretationsansätzen zur Verfügung: formale und stilistische, inhaltliche (ikonographische und ikonologische), funktionsgeschichtliche, soziologische, rezeptionsgeschichtliche und rezeptionsästhetische, feministische, semiotische, dekonstruktive, kunstpsychologische. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wollte man alle Interpretationswege darlegen oder vergleichen. Wir möchten nur eine Leseempfehlung aussprechen: PANOFSKY, E.: Ikonographie und Ikonologie, in: Ikonographie und Ikonologie. Theorien, Entwicklung, Probleme. Hrsg. v. E. KAEMMERLING. Köln 1979, 185-206.

4: "Wissensstoff ist ohne den funktionalen Bezug und die Einbettung in ein dialektisches Verhältnis wertlos. Darum ist die Erschließung von Möglichkeiten für ein besonders gründliches Vergleichen im Unterricht unerlässlich." (NICKEL, 37)

5: "Die Selbständigkeit des Erkenntnisaktes, die damit verbundene Weckung des Problembewusstseins und eines spontanen Interesses, ferner die Schulung des Methodenbewusstseins [...] all dies zielt letztlich auf das Prinzip der Autodidaxie und lässt die Person des Unterrichtenden bewusst in den Hintergrund treten. Der Lehrer lehrt gegen sich selbst" (LOHMANN, 41 f.)

6: Motivation ist die Grundvoraussetzung für "effektives Lernen" (STEINHILBER [1991], 151). Sie schafft erst die Bereitschaft des Lernenden, sich mit neuem Stoff überhaupt zu beschäftigen, und macht den Lerner empfänglich für seine Aufnahme und Speicherung (VESTER, 134 ff.).

7: Auch Renate Piecha weist darauf hin, "dass Kunstwerke im Gegensatz zu informativen Bildern eine ästhetische Funktion haben, die gerade daraufhin abzielt, die affektive Seite der Schüler anzusprechen, was der so häufig im Lateinunterricht beklagten "emotionalen Austrocknung" entgegenwirkt. (PIECHA; 142; FREITAG 11)

8: Dieses Vorgehen wird auch Kontamination oder komplettierende Darstellungsweise genannt, da die prägnante, fruchtbare Grundszene durch vorausgehende oder nachfolgende Handlungselemente ergänzt wird. (VARGA [1990], 361)

9: Beispielsweise bei Reihenabschluss in Form einer individuellen Schülerrezeption eines behandelten Themas nach Wahl.

10: Bei der Bewertung der Eigenständigkeit bzw. der Verselbständigung der Rezeption ist die Frage, ob immer lateinische Texte die Quelle des Künstlers waren, heikel. Es lässt sich nämlich nicht immer nachweisen, ob ein bildender Künstler für seine Fassung eines antiken Stoffes sich direkt mit einem bestimmten Text auseinandergesetzt hat. Oftmals wurden andere Quellen benutzt, etwa Handbücher zu mythologischen Themen oder andere Werke der bildenden Kunst zum Thema. Trotzdem ist es m. E. zulässig, auch in diesen Fällen den Begriff "Rezeptionsdokument" beizubehalten. Einerseits können die vom Künstler verwendeten Quellen oftmals nicht mehr eruiert werden, andererseits bleibt der Sachverhalt im eigentlichen Sinne unverändert: Das Kunstwerk dokumentiert die Rezeption des mythischen Stoffes. (PIECHA, 19).

11: Für Peter GRAU (134) ist diese Verfahrensweise eine generelle Pflicht bei der Verwendung von Kunstwerken im Lateinunterricht: "So genügt es nicht, dass ein Bild nur mit einer knappen Erklärung (Titel, Künstler, Aufbewahrungsort) versehen wird. [...] In einem kurzen Informationsblock zu den einzelnen Bildern müssen die wichtigsten Fakten in einer Lehrern wie Schülern verständlichen Formulierung zusammengefasst werden."

 

Autorinnen:

Stefanie Manseck, stephanie.manseck@berlin.de

Johanna Salsa, Lepsiusstraße 63, 12163 Berlin, j.salsa@web.de