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Pegasus 3/ 2001, 13

Stephan Brenner

Laudes Italiae – ein Lektüreprojekt

 

I. Zielsetzung

II. Zeitaufwand und Lesbarkeit

III. Gründe für die vorgenommene Textauswahl

1. Vergil

2. Namatian

3. Petrarca

IV. Erreichbarkeit übergeordneter Lernziele

V. Erläuterung des methodischen Vorgehens

VI. Aufbau und praktische Durchführung des Unterrichtsprojekts

VII. Zusammenfassung

VIII. Bibliographie

 

I. Zielsetzung

Im Folgenden soll ein Unterrichtsprojekt entworfen werden, das die sog. laudes Italiae zum Thema hat. Die berühmteste Stelle ist wohl Vergils Georgica II 136-176. Aber nicht nur Vergil, auch viele andere Schriftsteller beschrieben ihre Heimat Italien bzw. bestimmte Heimatstädte1. In diesem Projekt stehen neben Vergil Rutilius Namatianus, ein hoher Reichsbeamter aus dem 4./5. Jh. n. Chr. und der Humanist Petrarca. Ganz bewusst beschränkt sich dieses Projekt auf drei Texte, die jeweils das Land Italien als ganzes zum Thema haben und nicht einzelne Städte; denn dafür liegt ein anregendes Unterrichtsmodell von F. MAIER2 vor. Die Stadt Rom selbst wird bei der Besprechung von Texten Catulls, Martials, Ovids u. a. immer wieder einmal ins Blickfeld kommen3. Ferner wird beabsichtigt, das Hauptgewicht nicht darauf zu legen, eine möglichst umfassende Beschreibung aller Vorzüge Italiens zu erhalten - was die Schüler auch langweilen würde, wenn sie Texte wie Mosaiksteine verwenden müssten, um ein möglichst buntes und vollständiges Bild von Italien zu bekommen -, sondern zu fragen, welche Aussageintention der jeweilige Dichter neben der allgemeinen Lobpreisung Italiens noch hatte, oder besser gesagt: Gibt es hinter der bloßen Lobpreisung eine zweite Ebene, auf der der Dichter seinen Lesern etwas anderes mitteilen wollte? Denn erst auf dieser zweiten Ebene ist eine existenzielle Auseinandersetzung mit Werten, Hoffnungen u. a. affektiven Komponenten möglich.

II. Zeitaufwand und Lesbarkeit

Will man die Idee eines den üblichen Rahmen der Schulautoren sprengenden Projekts im jeweiligen Lehrplan verankern, muss man m. E. zuerst die Schwierigkeit der Texte einzuschätzen versuchen, um somit eine gewisse Jahrgangsstufe festlegen zu können, in der die Schüler die vorgelegten Texte überhaupt bewältigen. Da es sich hier um mittelschwere hexametrische bzw. in elegischen Distichen verfasste Texte handelt, ist eine vorangegangene Ovid- oder Phaedrus-Lektüre von Vorteil, damit die Eigenarten lateinischer Poesie (Versmaß, Wortstellung, Dichterwortschatz etc.) den Zugang zu diesen Texten nicht unnötig erschweren. Gerade ein Vergleich zwischen verschiedenen Texten kann pädagogisch nur dann fruchtbar sein, wenn der Schüler die Inhalte noch präsent hat. Eine zu lange Beschäftigung mit der einzelnen Textperikope darf also nicht stattfinden. 8 Stunden sind aber für dieses Projekt auf jeden Fall zu veranschlagen, die sich je nach Ponderierung folgendermaßen verteilen können: 3 Stunden für die Georgica-Stelle, 2 Stunden für


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Namatian und 1 Stunde für Petrarca. In den beiden letzten Stunden findet sich Zeit für eine Lernzielkontrolle in Form eines Extemporales, die Abschlussinterpretation und die Besprechung einiger Rezeptionsdokumente.

Der früheste Zeitpunkt, der überhaupt denkbar ist, ist für L1 die 10. Jahrgangsstufe, für L2 das Ende der 11. Klasse. Die sprachlichen Hürden empfehlen jedoch auch bei L1 eher eine Durchführung in der 11. Klasse. Petrarcas Versbrief kann nebenbei dem öfters in Jahrgangsstufe 11 behandelten Themenkomplex Briefliteratur eine weitere Facette verleihen. Die Georgica-Stelle dürfte nach einer Aeneis-Lektüre (so z. B. in Bayern in der 11. Klasse) ohne größere Probleme zu bewältigen sein. Ein weiterer Vorteil wäre dadurch gegeben, dass sich die Einführung in den Dichter Vergil erübrigen würde (Zeitgewinn!) und die Schüler auch von einem der beiden anderen vergilischen Werke einen Eindruck bekämen.

Mit dieser Festsetzung hinter einer Aeneis-Lektüre wären wir auch an das Ende des Schuljahres gekommen, an dem gerade ein Thema wie Italien und seine Vorzüge seinen Platz hat. Viele Schüler reisen in ihren Ferien in die Länder des Mittelmeerraums, wo sie außer Strand, Meer und Sonne auch noch andere Eindrücke sammeln sollten. Eine gewisse Lenkung in diese Richtung kann ‚zwischen den Zeilen‘ dieses Projekts sehr wohl durchgeführt werden. Damit wird ein wichtiger Beitrag zu einer allgemeinen Kulturfähigkeit geleistet. Von F. MAIER4 wird diese Kulturfähigkeit sogar als "Kerninhalt des pädagogischen Programms der Zukunft" herausgestellt. Solchen Überlegungen trägt auch die Betonung der Freizeiterziehung in den Lehrplänen verschiedener Bundesländer Rechnung.

III. Gründe für die vorgenommene Textauswahl

1. Vergil

Auf den ersten Blick erscheinen Vergils Georgica kaum für die Schullektüre geeignet. Vergil versuchte sich in einer von den Alexandrinern (Nikander, Arat) entwickelten Art des Lehrgedichts, die nicht einen bestimmten Gegenstand möglichst klar vermitteln, sondern einen möglichst spröden Stoff durch die Kunst der Darstellung anziehend ausgestalten will. Bei Vergil kommt aber eine weitere Komponente, nämlich die eingangs schon erwähnte zweite Ebene hinzu: Er will nämlich anhand der Beschreibungen der Landwirtschaft ein bestimmtes Weltbild vermitteln. Deshalb bezeichnet B. EFFE5 die Georgica auch als "transparenten Typ" des Lehrgedichts. Vergil spricht zwar von der Härte des Daseins, der alles Lebendige unterworfen ist, er versucht aber auch als Tröster aufzutreten. Seine Hoffnungen auf Octavian - in Ekloge 4 noch ganz unbestimmt - konkretisieren sich in den Georgica, die das Bauerntum als Lebensquell des römischen Volkes schildern, wo noch ein Rest des Goldenen Zeitalters zu finden und zu bewahren sei.

Gerade diese Aufgabe fällt eben Octavian zu, der nach Jahren schrecklichster Bürgerkriege wieder für Ruhe und Frieden in Italien sorgen soll. Unsere Stelle strahlt einen Optimismus aus, der angesichts der zerstörten Städte und verwüsteten Länder schon beachtenswert ist6. Die Frage, ob es sich bei Vergil um übertriebenen Optimismus handelt, kann nur ein Blick auf die gesamten Georgica beantworten. An einigen Stellen, besonders aber an der norischen Viehseuche (III 474-566), lässt sich ein Pessimismus feststellen, der diesen optimistischen Zeilen konträr gegenübersteht. Bereits eine wenige Verse umfassende Auswahl (in deutscher Übersetzung) vermittelt den Schülern einen Eindruck von dieser das ganze Tierreich umfassenden Seuche. Vergil als übertriebenen Optimisten anzusehen, der allein durch Octavians Anwesenheit die Wiedergeburt des Goldenen Zeitalters realisiert sieht, wäre also völlig verfehlt. Wieder einmal erweist


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sich, dass sog. ‚Häppchenlektüre‘ nur dann der Gefahr der Verfälschung entgeht, wenn sie das Gesamtwerk nicht ganz außer Acht lässt. Gerade diese zweite Ebene (transparenter Typ) macht m. E. auch die Georgica zu einer in der Schule lesenswerten Lektüre, natürlich insbesondere Passagen, wo diese Ebene deutlich hervorleuchtet, wie eben in den laudes Italiae.

Schließlich könnte durch dieses Projekt auch die Aeneis-Interpretation eine sinnvolle Ergänzung erhalten. Die Schüler erfahren, wie Vergil in frühen Jahren (die Georgica sind 29 v. Chr. erschienen) zu Octavian stand7. Eine Anknüpfung kann sogar durch den Aeneis-Text selbst geleistet werden. In Aeneis I 530-34 spricht Ilioneus, der Dido um Schutz und Aufnahme bittet, von Italien als dem verheißenen Land:

Est locus, Hesperiam Grai cognomine dicunt,

Terra antiqua, potens armis atque ubere glaebae,

Oenotri coluere viri, nunc fama minores

Italiam dixisse ducis de nomine gentem:

Hic cursus fuit.

2. Namatian

Im Lateinunterricht werden hauptsächlich Werke der Goldenen und Silbernen Latinität gelesen, dass aber auch in den Werken der späteren Zeit manche Perle zu finden ist, wird heute nicht mehr bestritten. Gerade die Epoche der Spätantike gerät in allen Bereichen der Altertumswissenschaft immer mehr ins Blickfeld. Die Fachdidaktik sollte von den dort gewonnenen Erkenntnissen unbedingt Gebrauch machen. Im Falle des Namatian verdanken wir E. DOBLHOFER eine hervorragende Textausgabe mit Einleitung und deutscher Übersetzung (Heidelberg 1972) und einen Kommentar (Heidelberg 1977), die umfassende Informationen liefern. Eine gute Arbeitsgrundlage allein ist aber noch kein Grund für eine Aufnahme in den Lektürekanon der Schule. Vielmehr liefert uns das Werk des Namatian die nötigen Gründe.

Als ehemaliger Stadtpräfekt Roms aus hohem gallischen Adel reist Namatian im Jahre 417 n. Chr. in seine Heimat zurück, um sich um seine verwüsteten Güter zu kümmern. Im Jahre 410 hatten Alarich und seine Westgoten nicht nur Rom selbst eingenommen und geplündert, sondern die Jahre zuvor auch ganz Italien verheert. Kaiser Theodosius hatte sein Reich unter seinen minderjährigen Söhnen Honorius und Arcadius aufgeteilt, für die nach Theodosius' Tod (395) der allmächtige Minister Stilicho regierte. Bis zu dessen Entmachtung und Hinrichtung (408) konnte Alarich in Schach gehalten werden. Als ihm aber der gleichwertige Widersacher genommen war, war Rom verloren. Aber nicht nur Italien, auch Gallien hatte unter diesen Wirren am Ende des weströmischen Reiches zu leiden. 406 überschritten Vandalen, Quaden, Sueben, Alanen und Burgunder den Rhein und verwüsteten Gallien. Eine gewisse Phase der Restauration trat erst ab 418 wieder ein, als zwischen Honorius und den Westgoten eine Einigung erzielt wurde. Unter Wallia, dem neuen Führer der Westgoten, siedelten sie sich in Südwestgallien an8.

Namatian erlebte nicht nur diese Kämpfe hautnah mit und sah auf seiner Seereise (der Landweg war zu unsicher) deren schreckliche Folgen, sondern er lebte auch in einer Zeit, in der der letzte Kampf zwischen Heidentum und Christentum ausgefochten wurde. Auf der einen Seite stand Symmachus und sein Kreis, der einer durch die Philosophie beeinflussten, römischen religio mit einer ausgeprägten Romidee anhing, auf der anderen Seite die junge Heilsreligion des Christentums, dessen großer Vertreter Ambrosius, Bischof von Mailand, einen gewichtigen Einfluss auf den christlichen Kaiser


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 Theodosius ausübte. Vor diesem Hintergrund erhebt der heidnische Dichter Namatian seine Stimme. "Die Unruhe der Zeit ist, wenn auch besänftigt durch Reflexion, in das Gedicht eingegangen: Flüchtlingselend und Wohnungsnot, Unsicherheit des Verkehrs, Verfall der öffentlichen Einrichtungen. Dem Niedergang zum Trotz singt Rutilius ein ergreifendes Lied der ewigen Roma. Aber seine Melodie ist begleitet von dunklen Untertönen."9

Auch aus diesen wenigen Andeutungen wird m. E. deutlich, in welch entscheidender Phase des römischen Imperiums der Dichter Namatian lebte. Gerade deshalb, weil die Schüler zumeist Literatur aus der Zeit des Aufstiegs oder der Blütezeit Roms lesen, wird durch die Beschäftigung mit solchen Texten der Spätantike eine Lücke geschlossen. Das Bild, das sich die Schüler von Rom machen, gewinnt dadurch an Farbe und Ausgewogenheit. Nicht nur die siegreichen Legionen Caesars sollen dem Schüler im Gedächtnis bleiben, sondern auch das an politischer und wirtschaftlicher Depression leidende Rom in den Wirren der beginnenden Völkerwanderung. Namatian legt bei seiner Rühmung Italiens ein besonderes Gewicht auf die gute Verteidigungsfähigkeit gegen die Germanen, deren invidia Rom bedroht (V. 35 im weiter unten abgedruckten Gedichtabschnitt). In diesem zentralen Begriff der invidia subsumiert Namatian alle den Bestand des Weströmischen Reiches abträglichen Unternehmungen der germanischen Völker.

Vergleicht der Schüler den Vergil-Text mit dem des Namatian, erkennt er als Grundprinzip beider Dichter die Hoffnung. Vergil hofft auf eine segensreiche Wirkung Octavians, die das Goldene Zeitalter wenigstens in Ansätzen wiederbringen soll. Namatian hofft auf Italien, besonders auf seine geographischen Vorzüge zur Abwehr der Germanen, Vorzüge, die Italien der göttlichen Fürsorge (der stoischen providentia) verdankt. Da Namatian solch stoisches Gedankengut aufweist, ist dieser Text nebenbei auch gut als Hinführung bzw. Vorgriff auf die Texte der Kolleg- bzw. gymnasialen Oberstufe geeignet. Die Schüler lernen hier nämlich eine Art der (antiken) Gottesvorstellung kennen: Die Götter als aktive Teilhaber am Weltgeschehen im Gegensatz zu den in den Intermundien lebenden Göttern Epikurs.

Neben diesem kognitiven Lernziel sollte auch eine affektive Auseinandersetzung mit der Gottesvorstellung Namatians stattfinden. Wie ist ein solcher Gott zu bewerten, der ein Volk, nämlich die Römer, deutlich bevorzugt? Durch eine solche, die persönliche Stellungnahme der Schüler provozierende Interpretationsfrage wird folgende Gegenüberstellung erzielt: Auf den ersten Blick scheint ein solcher Gott ungerecht zu sein, der ein Volk so bevorzugt. Es handelt sich jedoch nicht um zwei gleiche Kontrahenten, sondern einerseits um das den Frieden gewährleistende römische Imperium und andererseits um die Terror und Gewalt verbreitenden germanischen Horden.

Vorteilhaft bei dem Versuch, solche Gedanken anhand einer Namatian-Textperikope zu entwickeln, ist seine Sprache. In Wortschatz, Stil und Versbau lehnt er sich eng an die Klassiker an. Wo spätlateinischer Sprachgebrauch vorliegt, lässt sich nicht selten zeigen, dass solche Wörter oder syntaktische Besonderheiten durch einen guten Autor klassischer Zeit gedeckt sind, sodass man nicht behaupten kann, "Rutilius habe damit unmittelbar aus dem sermo cotidianus geschöpft oder sei unbewußt in diesen verfallen".10

3. Petrarca

Petrarca schrieb in seinen epistolae metricae (entstanden zwischen 1331 und 1361) einen Hymnus11 auf Italien (1353 verfasst), in dem er v. a. im zweiten Teil seine Gefühle bei der Rückkehr aus Frankreich zum Ausdruck bringt. Petrarcas offene Schilderung seiner Innenwelt lässt die Schüler leicht begreifen, warum er als einer der bedeutendsten Lyriker


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 Europas bezeichnet wird, der sowohl inhaltlich als auch formal die gesamte Lyrik des 15. und 16. Jhs. (Petrarkismus) beeinflusste; aber auch im 19. und 20. Jh. ist seine Ausstrahlung noch wahrnehmbar.12

Seine Lobpreisung Italiens bietet eine weitere Ergänzung bzw. Kontrastierung zu Vergil und Namatian. In Petrarcas Verhältnis zu Italien spielen Politik und ähnliche Bereiche keine Rolle. Mit ganz persönlichen Anliegen nähert er sich nach Jahren, die er in der Nähe von Avignon verbracht hat (1337-49), wieder seinem Heimatland (1304 wurde er als Sohn eines florentinischen Notars in Arezzo geboren). Er will dort zur Ruhe kommen (V. 11 f.: diversorium dabis). Das milde Klima, das ihn schon an der Grenze empfängt, evoziert einen Gefühlsausbruch, der Petrarcas inniges Verhältnis zu Italien zum Ausdruck bringt. Eine Analyse der dort gebrauchten Adjektive kann dies dem Schüler deutlich zeigen. Der erste mehr allgemein gehaltene Teil bietet mit seinen Lobpreisungen Italiens - in einen kulturellen, geographischen, menschlichen und göttlichen Bereich aufteilbar - eine gute Anknüpfungsmöglichkeit an die beiden vorangegangenen Texte.

Durch die Hereinnahme eines Petrarca-Textes, dessen sprachliche Schwierigkeiten sich durch die Anlehnung an den Sprachgebrauch der klassischen Autoren in Grenzen halten, in dieses Unterrichtsprojekt, wird aber noch Weiteres geleistet: In den letzten Jahren wurden immer wieder Stimmen laut, die den Lateinunterrricht nicht "hinter Tacitus" abbrechen lassen und besonders die Epoche des Neulatein miteinbeziehen wollten. Die Schüler sollen nämlich erkennen, dass Latein nach dem Ende der Antike keineswegs eine tote Sprache gewesen ist, sondern eine Kontinuität des europäischen Denkens bis ins 18./19. Jh. mitbewirkte. Gerade seit dem ausgehenden 13. Jh. war man wieder an einer produktiven Auseinandersetzung mit der klassischen Literatur interessiert. Petrarca z. B. schrieb nicht nur Briefe in lateinischer Sprache, sondern sogar ein mit Africa betiteltes Epos und viele andere Werke, von denen wohl einige der Behandlung im Lateinunterricht wert wären13. Dafür plädiert auch K. H. ELLER14: "Dantes und Petrarcas lateinische Werke sollte man nicht verschmähen ... geben sie [doch] einen Einblick in die geistige Kraft und thematische Vielfalt, auch in die frappante Modernität des frühen Humanismus..."

IV. Erreichbarkeit übergeordneter Lernziele

Gerade in einer Zeit, die sich für ein geeintes Europa einsetzt, ist die Wichtigkeit dieser Texte nicht zu unterschätzen. Eine Diskussion über das Heimatgefühl und damit verbundene Gefühle, die sich im Negativen bis zu Fremdenhass steigern können, muss sich wohl an eine Behandlung dieser Texte anschließen. Im Zusammenhang damit kann auch ein Gespräch über den Wert, in fremde Länder zu reisen, stattfinden. Ein Ziel solcher Unterrichtsgespräche sollte immer das Verständnis für fremde Kulturen und Lebensweisen sein.

So zeigt sich in allen drei Texten ein ausgeprägtes Heimatgefühl, nämlich Hoffnung auf Frieden und Geborgenheit im eigenen Land. Der Abwehrgedanke bei Vergil (V. 172: avertis Indum) und Namatian (V. 35 f: invidia vallavit) könnte als Fremdenhass falsch verstanden werden. Der Lehrer muss hier deutlichst die nationale Pluralität im römischen Reich herausstellen (jedenfalls von Christi Geburt an, bes. seit der Constitutio Antoniana 212 n. Chr.) und den


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 Abwehrgedanken genau ausdeuten. Vergil richtet sich v. a. gegen den Feind aus dem Osten, gegen die Parther, Namatian gegen die aus dem Norden einfallenden Germanen; beides Völker, die das römische Reich zerstören wollten. Innerhalb des Imperiums aber lebten viele verschiedene Nationen, von Britannien bis zur Sahara, von Spanien bis nach Syrien meist in Frieden und Eintracht zusammen. Aus diesen Versen spricht also kein genereller Hass gegen fremde Völker, sondern eine deutliche Aversion gegen Kräfte, die das römische Imperium und damit die pax Romana bedrohen.

V. Erläuterung des methodischen Vorgehens

Bevor die einzelnen Texte mit Erläuterungen und Leitfragen, die dann zu den entsprechenden Tafelbildern führen, vorgestellt werden, seien noch einige Bemerkungen zur Methodik innerhalb dieses Unterrichtsprojekts erlaubt.

Wenn, wie meist der Fall, noch keine ausgedehnte Dichterlektüre stattgefunden hat, ist eine ausführliche Texterschließung unabdingbar, die v. a. auf die besonders freie Wortstellung in der Dichtersprache eingeht. Dagegen erscheint mir die metrische Analyse, besonders bei einer solchen thematischen Interimslektüre, als zweitrangig; damit soll gemeint sein, dass den Schülern das Versmaß so vorgestellt und an einigen Versen vorexerziert wird, dass sie schriftlich einfachere Verse metrisch analysieren können. Das richtige Vortragen der Verse durch Schüler ist in diesem Projekt kein vorrangiges Lernziel; das ausdrucksvolle und v. a. richtige Vortragen von Versen durch den Lehrer darf natürlich bei keiner Behandlung lateinischer Dichtung fehlen. Neben den noch geringen Fähigkeiten der Schüler auf diesem Gebiet ist diese Beschränkung auch durch die Tatsache bedingt, dass ein Vergleich nur dann pädagogisch fruchtbar ist, wenn die Schüler noch über die Kenntnis der Inhalte des vorausgegangenen Textes verfügen.

Bei Vergil eignen sich einige Stellen für kursorische Lektüre (oder Lehrerübersetzung):

V. 140-142: Argonautensage

V. 151-154: Fehlen von wilden und giftigen Tieren in Italien

V. 161-166: verschiedene Seen und Häfen.

Bei Namatian bietet sich für dieses Unterrichtsverfahren die genaue Schilderung des Apennin (V. 25-30) an.

Unabdingbar für die abschließende Gesamtinterpretation ist ein den Aufbau und die wichtigsten Aussagen des Textes heraushebendes Tafelbild, das die Schüler auch jede Stunde schriftlich fixieren sollten. Die Leitfragen sind zum Großteil so gestaltet, dass sie den Blick der Schüler auf die wesentlichen Aussagen und Eigenheiten der Texte lenken. Aus der Kombination der jeweiligen Antworten ergibt sich das Tafelbild. Auf die Auflistung allein dem Textverständnis dienender Fragen im engeren Sinne wird hier verzichtet.

VI. Aufbau und praktische Durchführung des Unterrichtsprojekts

1. Einstieg

Der Einstieg in dieses Projekt respektive in den ersten Text sollte möglichst affektiv gestaltet werden. Ein aktueller Text, der auf die Urlaubssehnsüchte der Menschen eingeht oder sich kritisch-ironisch mit den Auswüchsen der Tourismus-Branche auseinandersetzt, wird leicht zu finden sein. Auch die Auswertung verschiedener Werbebroschüren


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zu Italien oder seinen einzelnen Regionen kann einen anregenden Einstieg in dieses Projekt liefern. In starkem Kontrast dazu stehen die folgenden Italienbeschreibungen Vergils, Namatians und Petrarcas, die jeweils eine "zweite Ebene" aufweisen, was im Verlaufe des Projekts deutlich herausgearbeitet werden soll.

2. Arbeitsunterricht (Texte mit Erläuterungen und Leitfragen werden in Xerokopie an die Schüler verteilt)

a) Vergil, Georgica II 136-176

Text

Sed neque Medorum silvae, ditissima terra,           136

nec pulcher Ganges atque auro turbidus Hermus

laudibus Italiae certent, non Bactra neque Indi

totaque turiferis Panchaia pinguis harenis.

haec loca non tauri spirantes naribus ignem            140

invertere satis immanis dentibus hydri,

nec galeis densisque virum seges horruit hastis;

sed gravidae fruges et Bacchi Massicus umor

implevere; tenent oleae armentaque laeta.

hinc bellator equus campo sese arduus infert,         145

hinc albi, Clitumne, greges et maxima taurus

victima, saepe tuo perfusi flumine sacro,

Romanos ad templa deum duxere triumphos.

hic ver adsiduum atque alienis mensibus aestas:

bis gravidae pecudes, bis pomis utilis arbos.           150

at rabidae tigres absunt et saeva leonum

semina, nec miseros fallunt aconita legentis,

nec rapit immensos orbis per humum neque tanto

squameus in spiram tractu se colligit anguis.

adde tot egregias urbes operumque laborem,         155

tot congesta manu praeruptis oppida saxis

fluminaque antiquos subter labentia muros.

an mare quod supra memorem, quodque adluit infra?

anne lacus tantos? te, Lari maxime, teque,

fluctibus et fremitu adsurgens Benace marino?        160

an memorem portus Lucrinoque addita claustra

atque indignatum magnis stridoribus aequor,

Iulia qua ponto longe sonat unda refuso

Tyrrhenusque fretis immittitur aestus Avernis?

haec eadem argenti rivos aerisque metalla              165

ostendit venis atque auro plurima fluxit.

haec genus acre virum, Marsos pubemque Sabellam

adsuetumque malo Ligurem Volscosque verutos

extulit, haec Decios Marios magnosque Camillos,

Scipiadas duros bello et te, maxime Caesar,           170

qui nunc extremis Asiae iam victor in oris

imbellem avertis Romanis arcibus Indum.

salve, magna parens frugum, Saturnia tellus,


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magna virum: tibi res antiquae laudis et artem

ingredior sanctos ausus recludere fontis,                175

Ascraeumque cano Romana per oppida carmen.

Schülerkommentar

136 ditissima verkürzter Superlativ v. dives | 137 turbidus wirbelnd; Hermus Fluss in Lydien (heutige Türkei) | 138 Italiae Dativ des Vergleichs nach griechischem Vorbild; Bactra Baktrien, eine östl. Provinz des persischen Reiches | 139 Panchaia (das geheimnisvolle) Arabien | 141 satīs PPP v. serere; hydrus hier: Drache | 140-142 Hier wird auf eine Episode aus der Argonautensage angespielt: Jason musste auf seiner Suche nach dem goldenen Vlies mit feuerspeienden Stieren ein Feld pflügen und es dann mit Drachenzähnen besäen, aus denen sich wilde Krieger entwickelten (vgl. Met. VII 100 ff.) | 142 virum Gen. Pl. |143 Massicus Adj.; der Massicus mons ist ein Berg in Süditalien, der vortrefflichen Wein lieferte | 144 implevēre ergänze Italiam | 146 Clitumnus kleiner Fluss in Umbrien, dessen Ufer als hervorragende Weideplätze bekannt waren | 147 perfusi nachdem sie gebadet hatten | 152 semina hier: Nachkommenschaft, Brut; aconitum Eisenhut (ein giftiges Kraut); allg. Gift | 154 squameus schuppig; in spiram zur Rolle | 157 subter labentia unten umspülend | 158 adluere heranwogen; supra - infra gemeint sind das Adriatische und das Tyrrhenische Meer | 159 Larius Comersee | 160 Benacus Gardasee | 161-164 Der Lucrinersee in Kampanien wurde 37 v. Chr. durch Agrippa mit dem Avernersee verbunden und durch einen Kanal in Richtung Meer zum sog. Pontus Iulius ausgebaut, einem Flottenstützpunkt zwischen Baiae und Pozzuoli. | 161 claustra hier: Dämme | 165 haec eadem ergänze: terra | 167 f. italische Volksstämme | 168 verutus speerschwingend | 169 f. röm. Heldengestalten; die drei Decier opferten ihr Leben für Rom, Marius überwand Jugurtha und die Kimbern und Teutonen, Camillus die Gallier, die Scipionen zeichneten sich im Kampf gegen Karthago aus. | 170 Caesar gemeint ist Octavian | 173 Saturnus hat, von seinem Vater Jupiter verstoßen, in Latium Zuflucht gefunden. Dafür lässt er diesem Land seine Förderung zuteil werden. | 174 f. res ingredior Dinge in Angriff nehmen | 176 Ascraeum Vergil orientiert sich in seinen Georgica an den "Werken und Tagen" Hesiods (griech. Dichter des 7. Jh. v. Chr.) aus Askra.

Leitfragen

1. Wie charakterisiert Vergil die östlichen Länder?

2. Versuchen Sie die einzelnen Vorzüge Italiens nach gewissen Oberbegriffen zu ordnen!

3. Welchem ‚Produkt‘ Italiens wird der erste Rang zugewiesen; an welchen sprachlichen Mitteln lässt sich dies erkennen?

4. Welchen Ausdruck könnte man geradezu als Zusammenfassung der ganzen laus Italiae bezeichnen?

5. Nennen Sie Elemente sprachlicher und inhaltlicher Art, die nach Ihrer Meinung den hymnischen Stil dieser Passage bewirken.

 

Nach dem Einstieg wird in der ersten Stunde der erste Teil der Vergil-Perikope behandelt:

V. 136-139: (als Hausaufgabe vorbereitet) statarisch

V. 140-142: in Lehrerübersetzung

V. 143-150: statarisch

V. 151-154: kursorisch

Angeregt durch die Leitfragen 1 und 2 wird das Tafelbild 1 erarbeitet, das die von Vergil angestrebte Gegenüberstellung von Morgenland und Italien verdeutlichen soll. Auf die textgliedernde Funktion der kopulativen bzw. adversativen Konjunktionen nec, neque, non, at, sed sollte besonders hingewiesen werden.


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Tafelbild 1 (zu V. 136-154)

                                                                 Laudibus Italiae

Das Morgenland

neque/non certent

Italien

Reichtum, aber schreckliche Abnormitäten

 

günstiges Klima

Reichtum an Pflanzen und Tieren, die weniger gefährlich sind

 

In der zweiten Stunde wird die Georgica-Stelle weiter behandelt: Vergil beschreibt in V. 143-148 in aufsteigender Linie die landwirtschaftlichen Produkte, die Italien hervorbringt. Am Ende dieser Stufenleiter steht der Stier: maxima taurus victima. Nach der Wiederholung der Verse 145-150 und der Behandlung der vorbereiteten V. 155-160 werden die V. 161-166 in Lehrerübersetzung geboten, die V. 167-172 in kursorischer Lektüre.

Das am Schluss der Stunde erarbeitete Tafelbild 2 (V. 155-176) soll die deutlich auf Augustus zulaufende Klimax veranschaulichen.

Italia

magna parens rerum

 

magna parens rerum

Bes. Caesar Octavian, der Förderer und Beschützer Italiens

Römische Helden

Italische Stämme

Geographie

 

In der dritten Stunde werden V. 173-176 und die Leitfragen 3-5 (beides war als Hausaufgabe zu bearbeiten) behandelt. Um, wie erwähnt, nicht den Eindruck eines übertriebenen Optimismus in den Georgica bei den Schülern zu erzeugen, bilden einige Verspartien aus der norischen Viehseuche (in dt. Übers.) und deren kurze Interpretation den Schluss dieser Stunde.

b) Rutilius Claudius Namatianus, Carmen de reditu suo II 17-40:

Text

Italiam rerum dominam qui cingere visu      17

et totam pariter cernere mente velit,

inveniet quernae similem procedere frondi

artatam laterum conveniente sinu.                20


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Milia per longum decies centena teruntur

a Ligurum terris ad freta Sicaniae;

in latum variis damnosa amfractibus intrat

Tyrrheni rabies Hadriacique salis.

Qua tamen est iuncti maris angustissima tellus,     25

triginta et centum milia sola patet.

Diversas medius mons obliquatur in undas,

qua fert atque refert Phoebus uterque diem;

urget Dalmaticos Eoo vertice fluctus

caerulaque occiduis frangit Etrusca iugis.             30

Si factum certa mundum ratione fatemur

consiliumque dei machina tanta fuit,

excubiis Latiis praetexuit Appenninum

claustraque montanis vix adeunda viis.

Invidiam timuit natura parumque putavit               35

Arctois Alpes opposuisse minis,

sicut vallavit multis vitalia membris

nec semel inclusit quae pretiosa tulit.

Iam tum multiplici meruit munimine cingi

sollicitosque habuit Roma futura deos.                  40

Schülerkommentar

19 quernus Eichen- | 20 artare einengen; conveniente sinu poet. Sing.: durch die zusammentretenden Buchten; laterum Gen. zu sinu | 21 per longum der Länge nach; terere terminus technicus für (auf öffentlichen Straßen) einen Weg zurücklegen | 22 Sicania, ae Sizilien | 23 variis amfractibus in vielfältigen Buchten | 25 iuncti maris zwischen den vereinten, d. h. den beiden Meeren | 27 obliquatur hier: er fällt ab; steigt nieder | 28 Phoebus = Apollo | 29 urgere hier: zurückdrängen; Eous, a, um östlich | 30 occiduus westlich | 33 excubiae, arum der Wachtposten, der Außenposten | 34 claustra, orum hier: Bergriegel | 36 Arctous nördlich, aus dem Norden | 37 vallare Verb zu vallum; vitalia, ium die lebenswichtigen Teile des Körpers, die Organe | 38 tulit ergänze: natura | 39 munimen, inis Bollwerk, Schutzwehr | 40 sollicitus hier: sich um jem. in Liebe sorgend

Leitfragen

1. Ist der Vergleich Italien – Eichblatt zutreffend? Welche Sichtweise steckt dahinter?

2. Inwiefern ist das Meer in V. 23/4 eine damnosa rabies?

3. Vergleichen Sie Aufbau und Aussage von V. 27!

4. Welche geographischen Gegebenheiten schützen Italien vor germanischen Angriffen?

5. Wer ist für diesen natürlichen Schutz verantwortlich?

6. Welche Vorstellungen von den Göttern hat Namatian?

7. Nennen Sie das tertium comparationis des Vergleichs in V. 36 f.!

 

In der vierten Stunde werden mit den Schülern nach einem Kurzreferat über die politische Lage um 400 n. Chr. die vorbereiteten V. 17-24 des Namatian-Textes statarisch, die V. 25-30 kursorisch gelesen. Aus den Leitfragen 1-3 ergibt sich ein Tafelbild (Namatian 1), das vor allem die georaphischen Begriffe (bes. das Wortfeld Meer) auf einer Kartenskizze verortet. Durch eine bereits jetzt vorgenommene Eintragung der im Text noch nicht angesprochenen Alpen sollten die Schüler auf diese in den als Hausaufgabe gestellten V. 31-36 so wichtige geographische Gegebenheit aufmerksam gemacht werden.


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Ein Kurzreferat über den Apennin und eine Gegenüberstellung der Umrisse Italiens und eines Eichblatts zur Vergegenwärtigung der V. 19 f. bilden den Anfang der fünften Stunde. Nach der Wiederholung der V. 17-24 werden die V. 31-40 (V. 31-36 als Hausaufgabe vorbereitet) statarisch behandelt. Die Besprechung der Leitfragen 4-6 findet ihren Niederschlag im Tafelbild 20, das sich gut als Folie eignet, die etappenweise aufgedeckt wird.

Tafelbild 20

 

Als spezielle Hausaufgabe neben der Wiederholung von V. 31-40 und der Vorbereitung der V. 1-5 des Petrarca-Gedichts bietet sich die Bearbeitung der schon erwähnten Frage: "Sind diese Götter, die Rom so bevorzugen, gerecht?"

Die sechste Stunde nimmt folgenden Verlauf: Inhaltliche Wiederholung der Namatian-Verse 31-40, wobei die Ausdrücke für die dieser Welt übergeordneten Instanz (vgl. Tafelbild Namatian 2) nochmals lateinisch genannt werden und das tertium comparationis des Vergleichs herausgestellt wird. Es folgt die Besprechung der als Hausaufgabe gestellten Interpretationsfrage: "Sind diese Götter, die Rom so bevorzugen, gerecht?" Danach wird der Petrarca-Text besprochen, die Ergebnisse der Leitfragen 1-4 werden in einem Tafelbild festgehalten.

c) Francesco Petrarca, Ad Italiam (Epistulae Metricae III, 24)

Text

Salve, cara Deo tellus sanctissima, salve,      1

tellus tuta bonis, tellus metuenda superbis,

tellus nobilibus multum generosior oris,

fertilior cunctis, terra formosior omni,


Pegasus 3/2001, 24

 

cincta mari gemino, famoso splendida monte,        5

armorum legumque eadem veneranda sacrarum

Pieridum domus auroque opulenta virisque,

cuius ad eximios ars et natura favores

incubuere simul mundoque dedere magistram.

Ad te nunc cupide post tempora longa revertor      10

incola perpetuus: tu diversoria vitae

grata dabis fessae, tu quantam pallida tandem

membra tegant praestabis humum. Te laetus ab alto

Italiam video frondentis colle Gebennae.

Nubila post tergum remanent; ferit ora serenus        15

spiritus et blandis assurgens motibus aer

excipit. Agnosco patriam gaudensque saluto:

Salve, pulchra parens, terrarum gloria salve.

Schülerkommentar

3 generosus hier: reich an | 6 venerandus verehrungswürdig | 7 Pierides, um f die Musen, benannt nach ihrem Lieblingssitz, der Landschaft Pieria in Makedonien | 11 diversorium, i hier: Wohnstätte | 12 f. Ordne folgendermaßen: praestabis<tantam>humum: quantam ... tegant; pallidus bleich; praestare hier: zur Verfügung stellen, gewähren | 14 frondere belaubt sein; Gebenna der Mont Genevre, ein Berg an der französisch-italienischen Grenze, nördlich von Cannes. | 15 ferire (m. Akk.) hier: treffen auf | 17 excipere darauf folgen; sich anschließen

Leitfragen

1. Nenne Sie Gedanken Petrarcas, die Sie schon von Vergil und/oder Namatian her kennen!

2. Versuchen Sie eine Einteilung der Attribute vorzunehmen, die der tellus (terra) von Petrarca zugewiesen werden!

3. Auf welche(n) Bereich(e) des menschlichen Lebens verweist Petrarca?

4. Welche Leistungen erfüllen im Hinblick auf Gliederung und Sinngehalt die Verben und die Adjektive?

5. Zeigen Sie Elemente des Hymnenstils auf!

6. Wählen Sie einen Vers als aussagekräftige Überschrift aus (mit Begründung) !


Pegasus 3/2001, 25

 

Tafelbild

  Ad Italiam

 

tellus

* Göttlicher Bereich (V. 1)

* Menschlicher Bereich (V. 2)

* Geographischer Bereich (V.3-5)
domus

* Kultureller Bereich und seine Voraussetzungen
   ad te, tu, te

* Petrarcas konkrete Lebenssituation (V. 10): Präsens

* Petrarcas Wünsche für die Zukunft (V. 11-13a): Futur

* Petrarcas Gefühle bei seiner Ankunft in Italien (V. 13b-18): Adjektive

 

ein Hymnus mit lyrischen Elementen

 

In der siebten Stunde werden die Leitfragen 5 f., die als Hausaufgabe gestellt waren, besprochen. Der zweite Teil der siebten Stunde ist der Abschlussinterpretation vorbehalten. Besonders wichtig erscheint mir die Gemeinsamkeit aller drei Texte, die sich in dem Begriff  Hoffnung subsumiert.

3. Abschlussinterpretation:

Folgende Übersicht vergegenwärtigt die wichtigsten Stationen:

Vergil

Namatian

Petrarca

Italien

Italiens

Italien,

 

liefert hervorragende Voraussetzungen für ein Goldenes Zeitalter unter Octavians Regierung.

 

Geographie verhindert durch die Hilfe der Götter ein weiteres Vordringen der Germanen.

 

ein in jeder Hinsicht gelobtes Land, ist das Ziel seiner Sehnsucht nach Geborgenheit und Ruhe.

 

ver adsiduum

 

invidia – vallavit

 

Diversorium dabis

 

Hoffnung auf eine glückliche, friedvolle Zeit des Imperiums unter Octavian

 

Hoffnung auf Abwehr der Germanen

 

Hoffnung auf ein beschauliches Leben in der Heimat

 

Geschichtsphilosophische Perspektive

 

Politische Perspektive

 

Individuelle Perspektive

 

 


Pegasus 3/2001, 26

 

Die achte Stunde bietet Raum für die Besprechung einiger Rezeptionsdokumente (z. B. J. W. v. Goethes Tagebuch der Italienischen Reise 1786 oder Hermann Hesses Stimmungsbilder aus Oberitalien) oder die Erstellung eigener Italienbilder (evtl. in Form von Collagen).

VII. Zusammenfassung

In diesem Unterrichtsprojekt, das praktisch mehrmals erprobt worden ist, werden drei poetische Texte gelesen, die jeweils in einer Zeit des Umbruchs entstanden: Vergil schrieb am Beginn des augusteischen Prinzipats nach einem furchtbaren Bürgerkrieg, Namatian in der letzten Phase des Weströmischen Reiches und Petrarca in der beginnenden Renaissance. Durch zügige Lektüre, der eine ausführliche Texterschließung voranging, wurde ein Vergleich zwischen diesen drei Texten möglich, deren Verbindungsglied die Hoffnung war, jeweils jedoch aus einer anderen Perspektive gesehen (geschichtsphilosophisch, politisch und individuell).

VIII. Literaturverzeichnis

1. Primärliteratur:

J. W. v. GOETHE: Tagebuch der italienischen Reise 1786, hrsg. v. C. MICHEL, Frankfurt a. M. 1976

H. HESSE: Italien, hrsg. v. V. MICHELS, Frankfurt a. M. 1983

R. C. NAMATIANUS: De reditu suo sive iter Gallicum, hrsg. v. E. DOBLHOFER, Bd. 1 (Einleitung, Text, Übers.) Heidelberg 1972, Bd. 2 (Komm.) Heidelberg 1977

R. C. NAMATIANUS: De reditu suo, hrsg. v. R. HELM, Heidelberg 1933

F. PETRARCA: Poesiae Latinae, a cura di G. MARTELOTTI ed. E. BIANCHI, Torino 1976

F. PETRARCA: Dichtung und Prosa, hrsg. v. H. HEINTZE, Berlin 1968 (Anthologie in dt. Sprache)

P. VERGILIUS MARO: Opera rec. R. A. B. MYNORS, Oxford 1969

Laudes Italiae - Lob Italiens, hrsg. v. B. KYTZLER, Stuttgart 1988

 

2. Sekundärliteratur:

S. BAUCK: De laudibus Italiae, Diss. Königsberg i. P. 1919

A. BUCK (Hrsg.): Petrarca, Darmstadt 1976 (WdF 353)

F. CORSARO: Studi Rutiliani, Bologna 1981

E. DOBLHOFER: Drei spätantike Reiseschilderungen, in: Festschrift f. K. VRETSKA, hrsg. v. D. ABLEITINGER, H. GUGEL, Heidelberg 1970, 1-22

E. DOBLHOFER: Rutilio Namaziano, in: Enciclopedia Virgiliana III, Roma 1989, 617 f.

B. EFFE: Dichtung und Lehre. Untersuchung zur Typologie des antiken Lehrgedichts, München 1977

H. FRIEDRICH: Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964

J. GRUBER: Europäische Literatur in lat. Sprache, Bamberg 1987 (= Auxilia 16)

W. HOHN, N. ZINK (Hrsg.): Handbuch für den Lateinunterricht, Sekundarstufe II, Frankfurt a. M. 1979

F. KLINGNER: Cicero und Petrarca. Vom Ursprung des humanistischen Geistes, in: Römische Geisteswelt, Stuttgart 51965, 684-703


Pegasus 3/2001, 27

 

F. KLINGNER: Italien. Name, Begriff und Idee im Altertum, Die Antike 17, 1941, 89 ff. (jetzt in: Römische Geisteswelt, Stuttgart 1979, 11-33)

F. KLINGNER: Virgil. Bucolica, Georgica, Aeneis, Zürich und Stuttgart 1967

B. KYTZLER (Hrsg.): Roma aeterna. Lateinische und griechische Romdichtung von der Antike bis in die Gegenwart, Zürich/München 1972

F. MAIER: Lateinunterricht zwischen Tradition und Fortschritt, Bd. 1-3, Bamberg 1979-1985

F. MAIER: Lebendige Vermittlung lateinischer Texte, Bamberg 1988 (= Auxilia 18)

A. G. McKAY: Virgil's Glorification of Italy, in: Cicero and Virgil. Studies in honour of H. HUNT (ed. by J. R. C. MARTYN), Amsterdam 1972, 149-168

C. NEUMEISTER: Das antike Rom. Ein literarischer Stadtführer, München 1991

W. RICHTER (Hrsg.): Vergil, Georgica (Komm.), München 1957

P. L. SCHMIDT: Die Humanistenzeit in der Schullektüre am Beispiel von Petrarca, Gymnasium 88, 1981, 357-372

R. SCHOTTLÄNDER: Petrarcas universaler Latinismus, in: Petrarca 1304-1374. Beiträge zu Werk und Wirkung, hrsg. v. F. SCHALK, Frankfurt a. M. 1975, 255-269

K. STIERLE: Petrarcas Landschaften. Zur Geschichte ästhetischer Landschaftserfahrung, Krefeld 1979

R. F. THOMAS (Hrsg.): Virgil, Georgics (Comm. Books 1-2), Cambridge 1988

G. WILLIAMS: Tradition and Originality in Roman Poetry, Oxford 1968

Anmerkungen:

1: Viele Texte zu diesem Thema sind leicht zugänglich in Kytzler (1988).

2: Maier (1988) 86-104.

3: Vgl z.B. Kytzler (1972), Neumeister (1991).

4: Maier (1984) 63.

5: Effe (1977).

6: McKay (1972) 149-168.

7: Hier auf die möglicherweise scharfe Kritik Vergils an Octavian am Ende der Aeneis, wie sie die amerikanische Two-Voices-Theory nahelegt, einzugehen, würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen.

8: Näheres bei Doblhofer (1972) 17-22.

9: Doblhofer (1972) 22.

10: Doblhofer (1972) 41.

11: Weiteres v. a. zum christlichen Hymnus bei Gruber (1987) 76-84.

12: Vgl. dazu Friedrich (1964) 157-277.

13: Vgl. Schmidt (1981) 357-372.

14: In: Höhn/Zink (1979) 273 f.

 

Verfasser:

Dr. Stephan BRENNER, Oberstudienrat am Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung Arabellastr. 1, 81925 München und Gymnasium Weilheim, Murnauerstr. 12, 82362 Weilheim in OB.