zur Startseitezur Agorazu den acta diurnazum Tabularium zum Impressumzu den Subsidia  

             

Pegasus 1/ 2002, 25

 Karl Niederau

Computergestützter Lateinunterricht. Möglichkeiten und Grenzen

(Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um das überarbeitete und aktualisierte Referat einer Fortbildungsveranstaltung für Lateinlehrer/-innen in Hagen am 11. 5. 1999)

 

Inhalt

1. Einleitung

2. Welche Inhalte und welche Übungsformen können individuell daheim, frontal im laufenden Unterricht oder in Partnerarbeit im Computerraum mit Hilfe des Rechners unterstützt werden?

2. 1 Wortschatztraining

2. 2 Wortgrammatik und Formenlehre

2. 3 Satzanalyse / Texterschließung / Übersetzung

2. 4 Hilfstafeln / Tabellengrammatik

2. 5 Wörterbuch / Suchfunktion

2. 6 Computereinsatz in der Lektürephase

3. Welche Kriterien sprechen für den Einsatz von lehrwerkunabhängigen und lehrwerkabhängigen Programmen?

4. Welche Vor- bzw. Nachteile bieten Softwareprogramme gegenüber Lehrbuch, Vokabelheft oder Schulgrammatik?

5. Welche technischen Vorteile gegenüber den traditionellen Lehrmethoden kann der Computer für sich mit Recht beanspruchen, wo stößt er an seine Grenzen?

6. Liste der erwähnten Lernprogramme

 

 

1. Einleitung

 

Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen, ich begrüße Sie herzlich zu Ihrer heutigen Fortbildung mit dem Thema ‘Computergestützter Lateinunterricht. Möglichkeiten und Grenzen’. Bestimmt werden einige unter Ihnen sein, welche die allgemeine Euphorie über den Einzug der Informatik in den Fachunterricht unserer Gymnasien nicht teilen und sich nicht erst heute kritisch fragen, ob Informatik und der Umgang mit einem Computer tatsächlich allen Ernstes zu den neuen Kulturtechniken zu zählen sind oder nicht besser in einer Computerschule gelehrt werden sollten. Schließlich gehört auch das Autofahren nach landläufiger Meinung zu den allgemeinen Kulturtechniken, und das erlernen wir bekanntlich in einer Fahrschule. Weniger provokativ formuliert: Ist der Umgang mit dem Computer im lateinischen Fachunterricht wertvoll genug, um traditionell bewährte Lehrmethoden zurückzudrängen oder gar zu ersetzen?

 

Ich muss Ihnen gleich vorweg gestehen: Als ich um die Übernahme eines allgemeinen Referats über Vor- und Nachteile des Computers im Lateinunterricht gebeten wurde, hatte ich Bedenken. Nur so viel vorweg: Eine Skepsis gegenüber dem Einsatz von Lernsoftware in der Schule allgemein und deren Einsatz im lateinischen Fachunterricht insbesondere hat mich bis heute nicht ganz verlassen. Dies ist vielleicht für Sie um so überraschender, wenn Sie erfahren, dass mein Sohn, von Beruf Informatiker, und ich als Lateinlehrer am Bischöflichen Pius-Gymnasium in Aachen uns nun schon über zehn Jahre zu


Pegasus 1/2002, 26

 computerunterstützten Lernprogrammen und möglichen sinnvollen Anwendungsmöglichkeiten im Lateinunterricht Gedanken machen. Auch wenn die allgemeine Computereuphorie bei den Jugendlichen vielleicht etwas nachgelassen hat, auf ministerieller Ebene bis hinauf zu den Regierungschefs der Länder ist nicht erst seit der PISA-Studie alle Welt vom praktischen Nutzen des Rechners im schulischen Fachunterricht felsenfest überzeugt.

 

Fragen wir uns daher, was wir von den sogenannten Neuen Medien im Lateinunterricht zu halten haben und in welchen Bereichen wir diese in Zukunft einzusetzen gedenken. Noch schwach haben die Älteren unter uns nämlich in Erinnerung, wie seinerzeit das viel gepriesene und sündhaft teure Sprachlabor sang- und klanglos, von der Öffentlichkeit unbemerkt, auf dem Sperrmüll gelandet ist. Wird der Informatikraum irgendwann wegen technischer Unregierbarkeit und mangelnder Wartung aus Kostengründen ein ähnliches Schicksal erleben? Was soll man von dem verdächtigen Schulterschluss zwischen Medienindustrie, Politikern und Schulministerien halten, wenn Bill Gates, die Bertelsmann-Stiftung oder gar die Deutsche Telekom so uneigennützig ihre Unterstützung für einen innovativen Multimedia-Unterricht anbieten? Bereits unsere Grundschüler, ist in der Presse immer wieder vor einer anstehenden Interschul, Didacta oder Cebit zu lesen, werden demnächst wie selbstverständlich ihren Laptop mit zum Unterricht bringen. Leere Haushaltskassen und die katastrophale Mangelwirtschaft in unseren Schulen haben anscheinend nie existiert. Multimediale Pilotprojekte schießen allerorten wie Pilze aus dem Boden. Die Vision vom multimedialen Klassenzimmer hat bereits hier und da an einzelnen Schulen praktische Gestalt angenommen, anderswo fehlen noch die selbstlosen Sponsoren für die erforderliche teure Hard- und Soft-Ware.

 

Alle Welt redet heute vom Internet. Multimediale Lernprogramme zu den verschiedensten Fächern werden als das Non plus ultra der modernen Schule von morgen angesehen. Neue innovative Techniken sollen die Selbstständigkeit und Kreativität der Schüler steigern, moderne Unterrichtsformen sollen verkrustete Lern- und Lehrmethoden ersetzen, von der veränderten Rolle, welche dabei den Fachkolleg(inn)en zugedacht ist, ganz zu schweigen. Das Schulprofil, eine eigene Schulhomepage, Surfen im Internet u.a. zählen heute längst zum Standard jeder Schule. Und wer es immer noch nicht überzeugt ist: Technisch unbedarfte Fachkolleginnen und Fachkollegen sollen demnächst (in ihrer Freizeit selbstverständlich) zur Nachschulung verpflichtet werden, so die GEW. Computerkompetenz zählt inzwischen zum festen Bestandteil jeder Referendarausbildung. Kurz: Große Pläne, vielfältige Aktivitäten, die es verdienen, am heutigen Tage einmal von uns etwas kritischer unter die Lupe genommen zu werden. Beginnen wir also mit unserem allgemeinen theoretischen Teil, den ich nach den folgenden vier Fragestellungen gegliedert habe:

 

- Welche Inhalte und welche Übungsformen können individuell daheim, frontal im laufenden Unterricht oder in Partnerarbeit im Computerraum mit Hilfe des Rechners unterstützt werden?


Pegasus 1/2002, 27

- Welche Kriterien sprechen für den Einsatz von lehrwerkunabhängigen bzw. lehrwerkabhängigen Softwareprogrammen?

 

- Welche Vor- bzw. Nachteile bieten Softwareprogramme

gegenüber Lehrbuch, Vokabelheft oder Schulgrammatik?

 

- Welche technischen Vorteile gegenüber den traditionellen Lehrmethoden kann der Computer für sich mit Recht beanspruchen, wo stößt er an seine Grenzen?

 

Schon aus Zeitgründen dürfte es kaum möglich sein, Ihnen am heutigen Tage mehr als zwei oder drei lateinische Lernprogramme einmal in der Praxis vorzustellen. Gedanken sollten wir uns aber unbedingt vorher darüber machen, welche Erwartungen wir an eine fachspezifische Lernsoftware überhaupt stellen können. Bei der Frage nach dem Nutzen des Computers gilt es nämlich zu unterscheiden zwischen dem Lernmittel für daheim bzw. für den Gruppen- oder Partnerunterricht im Informatikraum und dem Lehrmittel für den Frontalunterricht im Klassenraum. Welche Programme können wir Eltern oder Schülern ruhigen Gewissens empfehlen? "Ein Programm, das ich mir wünsche", schrieb vor etlichen Jahren der Berliner Kollege Dietrich Stratenwerth aus Berlin, "das etwa vielseitige Wortschatzarbeit bietet, nach Wurzeln, Vorsilben, Wortfeldern sortierte Listen ausgibt, nach Synonymen fragt oder vielleicht sogar mit Hilfe der Bilder des ‘orbis pictus Latinus’ die Anschauung einbezieht, ist zwar mit den heutigen Computern durchaus möglich, würde aber nicht nur eine Hardware, ein Gerät von mehreren tausend Mark voraussetzen, sondern selbst viele Tausende kosten."

 

Nun, die technischen Voraussetzungen zum Betrieb derartiger Programme sind heute Wirklichkeit geworden. Die Anzahl der Haushalte, die in der Bundesrepublik Deuschland über einen eigenen Computer verfügen, ist rasant gestiegen, leistungsstarke Altgeräte sind auf dem Gebrauchtmarkt für Jedermann erschwinglich geworden. Halten wir Anfang des Jahres 2002 Bestandsaufnahme: Fast alle Schulen verfügen heute über einen eigenen Computerraum mit Netzwerk und Internetanschluss, Voraussetzungen also, die noch vor Jahren niemand für möglich gehalten hätte. Im Gegensatz zum Sprachlabor ist der Computer vorerst aus der Schule nicht mehr wegzudenken. Bleibt für uns die Frage, wie und an welcher Stelle im Lehrstoff wir künftig den Rechner sinnvoll und effizient im Lateinunterricht einsetzen wollen. Angesichts des verstärkten Rufs nach handlungsorientiertem Unterricht, Freiarbeit, Wochenplanarbeit u. a. könnte der Computer im Lateinunterricht vielleicht wertvolle Unterstützung oder auch Entlastung bieten.

 

Bevor ich Sie im folgenden über Vokabeltrainer und Programme zur Formenbestimmung und Satzanalyse näher zu informieren versuche und dabei auch auf technische Schwierigkeiten zu sprechen komme, in aller Kürze einige allgemeine Bemerkungen über Preise, Inhalte, Qualität und Intentionen der derzeitig auf dem Mark angebotenen Lernprogramme zum Fach Latein.

 

Zunächst ist hinzuweisen auf Public-Domain-Billigangebote, bei denen es sich zumeist um mit heißer Nadel auf den Markt geworfene Übungsprogramme zu Wortschatz und Formenlehre handelt. Auf diese Produkte will ich aus Zeitgründen nicht


Pegasus 1/2002, 28

 näher eingehen; Informationen finden Sie aber leicht im Internet. Daneben sind einige Programme zu Satzanalyse, Texterschließung und Übersetzung im Handel. Deren Preise schwanken meist zwischen 10 und 75 Euro, Netzwerkversionen für die Computerräume unserer Schulen kosten (je nach Anzahl der Rechner) um die 250 Euro. Ausgesprochene Multimedia - Programme mit interaktiven Übungen, Grafiken und einer Sprachausgabe sind, schon aus Kostengründen, rar. Schließlich können die Herstellungskosten derartiger Programme leicht Millionenbeträge verschlingen. Selten sind autorenspezifische Assistenz- und Analyseprogramme. Hier sind zu nennen:

 

Zu Caesar:

  • Minerva (Klett): bellum Gallicum I, 1- 30,
  • Navigium: Bellum Gallicum komplett,
  • Lege (SESN-Software-Entwicklungen): Auswahl aus den Büchern I, IV, VI, VII – zusätzlich Cicero, de fin., Ovid, Livius, Sallust (alle in Auswahl)

In der Regel bieten andere Autorenprogramme meist wenig mehr als eine obskure Textgrundlage, deutsche Kapitelüberschriften und ein knapp kommentiertes Eigennamenverzeichnis, von einem Lexikon, Spezialvokabular, Übungsformen zur Syntax oder einer Suchroutine zur Unterstützung der Übersetzung keine Spur.

 

Das nach wie vor etwas bescheidene Softwareangebot für die Alten Sprachen hängt sicherlich auch mit der Arbeitsmarktsituation zusammen. Zur Zeit ist der Markt für Programmierer wie leer gefegt, ausgebildete Fachkräfte werden von der Industrie immer noch stark umworben. Diese werden deshalb wohl kaum auf dem ohnehin recht begrenzten Markt für lateinische oder griechische Lernsoftware ein lohnendes Arbeitsfeld erblicken. Auffällig ist die Schnelllebigkeit der angebotenen Lernsoftware. Produkte, die meist nach ein bis zwei Jahren schon hoffnungslos veraltet sind, werden trotzdem in den Literaturlisten und Besprechungen des Internet unverdrossen aufgeführt.

 

 

2. Welche Inhalte und welche Übungsformen können individuell daheim, frontal im laufenden Unterricht oder in Partnerarbeit im Computerraum mit Hilfe des Rechners unterstützt werden?

 

 

2. 1 Wortschatztraining

 

Sollen der lateinische Anfangsunterricht oder die Übergangslektüre nicht frühzeitig für unsere Schüler zum Albtraum werden und in ein unreflektiertes Rätselraten ausarten, müssen wir in Zukunft festen Übungsphasen unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Keine Frage: Schlechte Noten in Latein sind häufig hausgemacht und beruhen meist auf mangelndem Fleiß und der jahrelangen sträflichen Vernachlässigung der Wortschatzarbeit. Kein Wunder also, wenn seit jeher bei Eltern und Schülern besonders Vokabeltrainer sehr gefragt sind. Welche allgemeinen Fragen sollten nun beim Kauf von Lernsoftware allgemein und eines Vokabeltrainers insbesondere bedacht werden?


Pegasus 1/2002, 29

 

An allererster Stelle wäre da der Wortbestand zu nennen. Warum das so ist, davon kann sich jeder schnell überzeugen, der einmal versuchsweise eine bedeutungsverwandte, aber durchaus zutreffende Bedeutungsvariante anstelle der im Lehrbuch angegebenen Bedeutung als Antwort in seinen Vokabeltrainer eingibt und trotzdem eine negative Antwort des Programms erhält. So wird z. B. im Memodux, Felix B, L40, nach den deutschen Bedeutungen von ‚an‘, ‚urbanus‘ und ‚controversia‘ gefragt. Der Test ergibt: Weder ‚ob‘ noch ‚städtisch‘ noch ‚Widerspruch‘ werden als richtige Antwort akzeptiert, nein, sie werden durch eine akustische Unmutsäußerung schlicht als falsch abgetan!

 

Gleich in diesen Zusammenhang gehört auch die Überlegung, ob das Programm eine akzeptable Tippfehlerroutine besitzt. Diese ist unbedingt nötig, sonst gibt es Frustrationen bei den doch überwiegend jugendlichen Benutzern. Ein multimedialer Wortschatztrainer, der stolze 72 Euro kostet, sollte über solchen harmlosen Komfort schon verfügen, statt in der Anleitung zu vermerken: "Dabei werden auch Rechtschreibfehler als falsch gewertet, damit du gezwungen bist, konzentriert zu arbeiten." (Memodux). Ist das wirklich pädagogisch wertvoll ?

 

Neben Wortbestand und Tippfehlerroutine ist besonders bedeutsam, welche Abfrage- und Übungsvarianten der angebotene Vokabeltrainer zu bieten hat. Positiv ist zu vermerken, dass die meisten Vokabeltrainer eine Anlernfunktion besitzen und immer mehr Programme eine für Anfänger nützliche Sprachausgabe bieten. Kaufinteressenten sollten sich aber auch erkundigen, welches Bildmaterial, welche Illustrationen und Karten in einem Programm zum Einsatz kommen. Nicht unwichtig ist, ob das Produkt multimedial aufbereitet ist, welche interaktiven Möglichkeiten geboten werden, ob Sachmaterialien in der neuesten 3D-Technik eingebaut sind, ob das zum Kauf angebotene Programm zu dem eingeführten Lehrbuch passt. Möglicherweise hält die neue Technik nicht, was in kostspieligen Werbekampagnen von den Marktführern angepriesen wird, und ist überteuert? Vielleicht ist die Software auch zu stark verkopft, oder die Ton- und Bildeffekte sind arg verwirrend? Sind die Illustrationen nicht zu kindisch, also etwa wenn bei einer Fehlleistung ein Nachttopf geräuschvoll ausgeschüttet wird? Auch die Kommentierungen oder gar eine (absichtlich?) verfremdete Sprecherstimme können auf die Dauer enervierend sein. Sind Fremdwörter, Lehnwörter oder sprachverwandte Parallelen aus den modernen Sprachen überzeugend in die Wortschatzarbeit aufgenommen worden?

 

Abschließend noch einige Beobachtungen zum Schülerverhalten: Gesetzt den Fall, die Installation der erworbenen Software ist geglückt, erleben unsere Schülerinnen und Schüler in der Regel einen bis zu mehreren Wochen anhaltenden kräftigen Motivationsschub. Das Erlebnis, mehr oder weniger aktiv in den Lernprozess einzugreifen, wird als eine neuartige Lernform genossen und fördert vor allem bei jüngeren Schülerinnen und Schülern das Selbstwertgefühl. Die ohnehin schon guten Schüler werden durch das Assistenzprogramm noch besser, aber auch die schwächeren Schüler nehmen zumindest am Anfang die elektronische Hilfe dankbar an. Aktiv mit Hilfe des Computers die Hausaufgaben zu machen, Vokabeln unter vielen Aspekten zu trainieren, sich die Lernergebnisse als Urkunde ausdrucken zu lassen, bei Problemen zur Wortgrammatik die Suchroutine zu konsultieren, mit der Technik der Einrückmethode zu experimentieren, das alles kommt dem Drang der Schülerinnen und Schüler zur Selbsttätigkeit entgegen. Schade nur, dass ausgereiftere anspruchsvolle Programme oft nur ‚untertourig gefahren‘ und lediglich zum Vokabellernen genutzt werden, während das übrige reichhaltige Übungsangebot nicht genutzt wird.


Pegasus 1/2002, 30

2. 2 Wortgrammatik und Formenlehre

Betrachtet man die Neuerscheinungen der Jahre ab 1999, so fallen im Bereich der Software auf den ersten Blick die großen Fortschritte ins Auge. Nicht so sehr die Anzahl der angebotenen Lernprogramme hat sich gesteigert als vielmehr die Qualität der angebotenen Lernsoftware, was aber nicht für alle Neuerscheinungen zutrifft. Multimedia-Programme müssen nicht schon per se einen Fortschritt gegenüber den traditionellen Windows-Programmen darstellen. Alle Verlage haben inzwischen erkannt, dass attraktive Software die Entscheidung für ein bestimmtes Lehrbuch nicht unwesentlich beeinflusst. So ist zu beobachten, dass nun auch jene Verlage, die den Neuen Medien bisher eher skeptisch gegenüber gestanden haben (Buchner und Vandenhoeck), sich nicht mehr länger dem Trend der Zeit verschließen und über Lernsoftware die Attraktivität ihrer Lehrbücher steigern wollen (Memodux, Lumina). Ohne zu übertreiben lässt sich sagen: Im Vergleich zu den schulischen Konkurrenzfächern Englisch und Französisch braucht Latein auf dem Softwaremarkt einen Qualitätsvergleich nicht zu scheuen. Wenn die technische Ausstattung in der Schule gegeben ist, können mit guter Lernsoftware praktisch alle Übungen zur Wortgrammatik und Formenlehre, seien es nun Bestimmungs-, Einsetz-, Ergänzungs-, Zuordnungs- und Transformationsübungen im Computerraum der Schule selbstständig oder in Partnerarbeit von den Schülerinnen und Schülern erarbeitet werden.

 

Bei einer Sichtung des vielfältigen Übungsangebotes ist man verblüfft über die Variationsbreite, den Erfindungsreichtum und die Lebendigkeit der Übungen. Von öder Formenlehre, stupidem Vokabelpauken und trockenen grammatischen Übungen kann hier absolut keine Rede mehr sein. Da erfüllen zwei parallel rotierende Trommeln die Funktion des früheren starren Satzschaltbretts, durch Drag&Drop -Technik werden Sub- und Konjunktionen, Wortarten, Satzteile, Funktionen der Kasuslehre, Konjugationsformen, Pronomina, ja selbst Vor- und Gleichzeitigkeit an einem Verkaufsstand für Gemüse trainiert (Disco). Zur Formenbestimmung lassen sich auf einer römischen Baustelle an einer Mauer entsprechend dem persönlichen Lernfortschritt zu einer vorgegebenen Form die verschiedenen Bestimmungsteile kinderleicht durch Anklicken einzelner Mauersteine trainieren (Navigium); die von Schülern häufig in ihrer Wortstellung nicht erkannte Apposition wird multimedial an einer liebevoll gemalten Schildkrötenkolonie durch Anklicken ‚interaktiv‘ geübt (Disco1+2). Natürlich finden sich auch methodisch recht banale und fragwürdige Übungsformen, leider auch bei den Produkten der renommierten Verlage. Ein Beispiel: Als wenig gymnasial erscheint es etwa, wenn zu vier Abbildungen - ein Socken, ein Fuß, ein Auge, das Porträt von Queen Elisabeth in Briefmarkenformat - assoziativ die Bedeutung von ‚pes‘ durch Anklicken des Fußes hergestellt werden soll (Disco). Ähnlich verhält es sich, wenn die zutreffende Bedeutung für ‚florere‘ aus einem abgebildeten Ei, einer Bulldogge, einem Stück Kuchen oder einer Blume zu erschließen ist. Eine derartige Unterforderung sollte nicht geboten werden.


Pegasus 1/2002, 31

Qualitativ anders steht es dagegen um eingebaute Übungen zum Hörverstehen. Warum nicht lateinisches Hörverstehen durch die neuen Techniken frühzeitig auch im Unterricht anbahnen? Die Idee, während ein geschulter Sprecher den Text vorliest, durch Anklicken der entsprechenden Stellen des Textabschnittes die Sinneinheiten zu markieren, regt zur Nachahmung an (Disco 2).

 

 

2. 3 Satzanalyse / Texterschließung / Übersetzung

Als Assistenzprogramme oder Übungsprogramme für die Lektürephase werden von Verlagsseite mehrere Produkte angeboten, zwischen denen gleichwohl ein großer Qualitätsunterschied festzustellen ist. Spätestens, wenn es um mechanisierte Satzteilbestimmung und die Analyse von Haupt- und Nebensätzen geht, lässt sich leicht die Spreu vom Weizen trennen. Beim Vergleich von lumina in fenestris mit Lege 1.2 sowie den Hypertextprogrammen Minerva (Caesar) und Navigium wird dies schnell deutlich. So erweist sich bei Lumina der Übungsteil ‚Sätze analysieren‘ als eine herbe Enttäuschung, verbirgt sich dahinter doch zum überwiegenden Teil eine harmlose Satzteilbestimmung.

Aber auch bei den anspruchsvolleren Programmen sind eine Anzahl von inhaltlichen und technischen Problemen nach wie vor nicht gelöst. Ist es bei Lege die Raumaufteilung auf dem Eingangsbildschirm – die vorgegebenen Textdateien oder aus dem Internet entnommenen Texte, die eigentlich im Zentrum des Hauptmenüs stehen müssten, erscheinen in der Größe eines Briefkastenschlitzes an den oberen Bildschirmrand verdrängt - , so sind es bei Minerva (Caesar) nach wie vor die vielen Farben und die zusätzlichen Unterstreichungen, die wie bei Lumina in fenestris für viel Verwirrung sorgen. Die Lehre, die wir daraus ziehen sollten: Auch ein Computermonitor bietet nun einmal trotz flexibler Windows-Fenstertechnik nicht unbegrenzten Platz. Nur ein übersichtlicher Aufbau des Eingangsbildschirms und eine kluge Beschränkung der Farbpalette garantieren den Überblick beim Studium am Bildschirm.

Um unseren Schülern ein fundiertes grammatisches Grundgerüst zu vermitteln, sind Übungen zur Satzteil- und Formenbestimmung sicherlich besonders wichtig. Die Programmmacher sollten sich jedoch auf Subjekt, Prädikat bzw. Prädikatsnomen + Kopula, Objekte, Attribute beschränken, zumal schon die Analyse eines AcI und die anschließende Auswertung programmiertechnisch offensichtlich nicht ganz einfach sind. Wie soll man eine Übungsoption wie die folgende bewerten, wenn ein inkorrekt eingegebener AcI beim Anklicken des Schalters ‚Lösung anzeigen‘ kommentarlos - ohne jegliche farbliche Unterscheidung und ohne jeglichen Kommentar - korrigiert wird (Lumina: ‚Sätze umformen‘)?

In Anbetracht der oben festgestellten Mängel ist dann in jedem Fall ein reines Anwenderprogramm mit festen Datensätzen vorzuziehen. Die Analyse ist jedenfalls in der Regel dann richtig. Für pädagogisch unverantwortlich halte ich es jedoch, wenn Softwarehersteller zugleich mit den mitgelieferten Datensätzen die fertige Übersetzung in das Programm aufnehmen (Lege). Ich denke, hier erweisen die Verlage unseren Schülerinnen und Schülern einen Bärendienst, wenn sie die Lizenz zur Übersetzung der Lehrbuchtexte aus der Hand geben. Mit einem Lehrbuch zu unterrichten, zu dem die Schülerinnen und Schüler, die im Besitz der passenden Software sind, daheim die verlangte Übersetzung korrekt und ohne jede persönliche Anstrengung gleich ausdrucken können, stelle ich mir für die Unterrichtenden sehr frustrierend vor. Dann haben Softwareprogramme ihre angepriesene Hilfestellung selbst ad absurdum geführt.


Pegasus 1/2002, 32

Auch bei der Satzanalyse stößt man z. T. auf bemerkenswerte Schwächen einzelner Programme. So ist z. B. bei LEGE die Verwechslung von indirekten Fragesätzen oder Relativsätzen zu beobachten, ein relativischer Anschluss wird rein mechanisch als Relativsatz identifiziert, cum als Präposition wird verwechselt mit gliedsatzeinleitender Subjunktion (vgl. Seneca, ad Lucil. XLVII: Libenter ex iis qui a te veniunt cognovi familiariter te cum servis tuis vivere). Die Probleme der Übersetzungstechnik sind eben doch viel komplizierter als vom Programmierer angenommen.

Trotzdem ergibt unsere kritische Sichtung, dass es in den letzten Jahren auch bei der Satzanalyse zu zahlreichen Innovationen gekommen ist. So besteht heute in fast allen Schulen die Möglichkeit, mit Hilfe des Rechners und der zur Verfügung stehenden Farbpalette eine Satzanalyse vorzunehmen, vielleicht auch (unter Anleitung) im schuleigenen Medienzentrum an Texten aus dem Internet die Einrückmethode zu trainieren. Der Verlag Schöningh bietet zu seinem Lehrbuch Iter Romanum eine Software an, die sämtliche Lektionstexte integriert hat, Vandenhoeck & Ruprecht offeriert mit Lege und Latinum zur Ianua Nova-Neubearbeitung bzw. zum Unterrichtswerk Latinum 90% standardisierte Originalsätze als Übungsmaterial. In Verbindung mit einer leistungsfähigen Suchfunktion kann so die Übersetzungsarbeit bei der häuslichen Präparation oder Nachbereitung für die Schülerinnen und Schüler sicherlich sehr erleichtert werden. Was an der Tafel früher oft technisch nicht machbar war, weil bei einem komplexeren Satzgefüge aus dem Bellum Gallicum der Nebensatz zweiten oder dritten Grades nicht mehr auf die Tafel passte, ist für den Bildschirm kein Problem mehr. Mit Hilfe des Rechners lassen sich Korrekturen, Umstellungen in Wortbau und Satzbau u.a. technisch problemlos vornehmen.

Lernprogramme zu Caesars Bellum Gallicum (Minerva, Navigium, Computertraining Latein + Bellum Gallicum) zeigen, wie sich mit Hilfe der Hypertextfunktion auch klassische Texte interaktiv erschließen lassen. Wie in Disco 2 ansatzweise vorgeführt wird, vorerst nur durch Anklicken rekurrenter Substantive und Verben, können Schülerinnen und Schüler sehr wohl mit Hilfe moderner Elektronik in fachspezifische Erschließungsmethoden eingeführt werden. Hauptkriterium für die Tauglichkeit solcher Programme zur Texterschließung ist allerdings eine rechnerinterne Hilfestellung und Kontrolle. Ohne eine differenzierte Verifizierung der Ergebnisse ist jedoch zu überlegen, ob derartige Übungen nicht überhaupt besser an ihrem angestammten Platz im Lehrbuch verbleiben sollten.


Pegasus 1/2002, 33

Derartige Schwächen sind in besonderem Maße bei den angebotenen Trainingsprogrammen zur Übersetzung festzustellen. Hier nur einige Beobachtungen zu Aufgabentypen, die den Wert solcher Programme mindern: Welche der (vier) Übersetzungen ist falsch? Die Lösung ist also durch Textvergleich zu finden. Im Trainingsbetrieb erscheint die als ‚falsch‘ erkannte und angeklickte Übersetzung in der Farbe grün (soll heißen richtig!), die eigentlichen korrekten Übersetzungen stehen dagegen in irritierendem roten Schriftbild da. Einfallslos sind auch Übungsaufgaben zur Richtigkeit einer Übersetzung, die nur mit Ja oder Nein beantwortet werden. (Disco). Kommentierungen der Ergebnisse wie "genial", "perfekt", "ganz famos", "du bist echt schlau" (ebd.) verbessern die Qualität solcher Übungsaufgaben ebenfalls nicht.

Das Hauptmanko ist jedoch, dass bei allen o.a. Übungsprogrammen mit Ausnahme von Navigium nur die verlagsseitig integrierten Vokabeln Verwendung finden. Weder Disco – obwohl immer wieder von Verlagsseite herausgestellt, in Wirklichkeit aber kaum praktikabel – noch Lege erlauben die Erweiterung des vorgegebenen Wortschatzes. Dies erweist sich einmal mehr als der entscheidende Nachteil von geschlossenen Systemen! Darüber unten mehr.

2. 4 Hilfstafeln/Tabellengrammatik

Genutzt zu Präsentationszwecken ist der Computer in Verbindung mit einem Beamer im so allseits verpönten Frontalunterricht, etwa bei der Besprechung oder Festigung der Hausaufgaben, jedem gedruckten Medium überlegen. Auf diese Weise können die grammatischen Hilfstafeln zur Deklination und Konjugation incl. Steigerung, Wortfamilien, Sachfeldern noch bequemer als über Overheadfolien präsentiert werden.

2. 5 Wörterbuch / Suchfunktion

Was liegt näher, als während der Texterschließung und Präparation einer Übersetzung über eine bequeme Suchroutine ein lateinisch-deutsches elektronisches Wörterbuch zu konsultieren, vorausgesetzt dass ein solches im Internet abrufbar und bequem zu handhaben ist. An Quellen und Texten aus dem Internet mangelt es ja wahrhaftig nicht. Aber leider: Auf der Suche nach bestimmten, möglicherweise mehrdeutigen flektierten Formen funktioniert auch der mit kolossalem Werbeetat propagierte Pons, eingebaut in LATINUM ex machina, meistens nur für die Grundformen. Kein Wunder, dass sich ‚Der clevere Click ins Wörterbuch‘ häufig als Fehlanzeige erweist. Die in manchem Programm zusätzlich eingebaute Suchfunktion für flektierte Formen kann vielleicht für die Lehrbuchphase und in Ansätzen für die Erstlektüre weiterhelfen. Spätestens aber zu Beginn der Hauptlektüre ist Schluss, es sei denn die Software ist so flexibel, dass eine Ergänzung des Vokabelregisters technisch möglich ist. Memodux bietet ein sog. Lexikon an, das den Benutzer auffordert, die gesuchte lateinische Vokabel einzugeben. Wie sich dann aber herausstellt, nicht in flektierter Form, sondern als Grundform. Anschließend erscheinen dann die Bedeutungen hinter der lateinischen Grundform als Gleichung.


Pegasus 1/2002, 34

Um eine Vorstellung zu geben, wie ein solches elektronisches Wörterbuch unserer Meinung nach aussehen sollte: Ca. 8 000 bis 10 000 Wörterbucheinträge zzgl. Phrasen und Eigennamen sollte es schon aufweisen. Eine Lemmatisierung nach Art des Pons wird wohl nicht unbedingt nötig sein. Nach dem Vorbild des Merguet könnten dann vielleicht die Phrasen strukturiert sein. Ein weiteres Desiderat bei vielen angebotenen Programmen: Eine funktionstüchtige Suchfunktion für das Aufspüren der unbekannten flektierten Formen, die nach Möglichkeit per Fenstertechnik über oder unter den Text gelegt werden kann. Disco, Lege und Navigium haben da doch recht vielversprechende Anregungen gegeben. Vor lauter Elektronik und Einzelformen darf aber gerade in den ersten beiden Jahren die Grundlegung einer Wortgrammatik nicht aus den Augen verloren werden. Ein umständliches ‚Blättern‘ in den verschiedenen Tempora und Verbalstämmen (Disco) stellt hier keine Alternative zum Tabularium einer soliden Schulgrammatik dar.

2. 6 Computereinsatz in der Lektürephase

Es mag vielleicht für den einen oder anderen unter Ihnen nicht ganz überzeugend erscheinen, aber gerade für einen mit L2 beginnenden Lateinunterricht, der in 2-3 Jahren bereits zur Übergangslektüre führen soll, kann ein ausgereiftes Lernprogramm eine wertvolle Stütze bei der Texterschließung und Übersetzung sein. Dies gilt um so mehr für die spätere Lektürephase, wenn unter der Devise der plurima lectio in Zukunft in einem auf 12 Jahre verkürzten Gymnasialunterricht etwa die transphrastische oder satzübergreifende Texterschließungsmethode trainiert werden soll. Soll die Lektüre zu Recht ihren Namen tragen, kann dabei die Hypertextmethode eine wertvolle Hilfe sein. Leider existieren meines Wissens solche Programme bisher nur zu Caesar. Die Überlastung vieler Programmmacher, häufig Fachkollegen, in der Schule hat aber inzwischen ein solches Ausmaß angenommen, dass mit weiteren Programmen wie Minerva (Caesar) oder Navigium in absehbarer Zukunft so schnell nicht zu rechnen ist.

Worin, werden Sie fragen, liegt der Nutzen und Wert der Hypertextmethode für unser Fach? Nun, es kann z. B. durch Zu- und Abschalten der Haupt- und Nebensätze der Aufbau komplizierterer Satzgebilde nachgestellt und trainiert werden, durch die optische Herausstellung der satzwertigen Konstruktionen können die Schülerinnen und Schüler aktiv allein oder in Partnerarbeit wertvolle Einblicke in die Arbeitsweise eines Autors gewinnen, das erforderliche pragmatische Hintergrundwissen könnte dann aus dem Internet abgerufen werden. Es liegt auf der Hand, dass in solcher Situation eine ausgefeilte Suchfunktion, die auch in der Lage ist, während der laufenden Lektüre Nebenformen, Archaismen u.a.m. zu erkennen, sehr wertvoll ist. Erfahrungsgemäß wird seit jeher die Lektüre stark beeinträchtigt, weil während des laufenden Unterrichts mit unbekannten Vokabeln und Formen nachgebessert oder unterfüttert werden muss. Die sich daraus ergebenden frustrierenden Unterrichtssituationen kennen wir alle zu Genüge. Geeignete Lernprogramme eröffnen die Möglichkeit, über eine spezielle Suchfunktion für flektierte Formen stumm an den gewünschten Textstellen die unbekannten neuen Vokabeln abzurufen oder durch Tastendruck die gewünschten Übersichten der Tabellengrammatik (Navigium) einzublenden.


Pegasus 1/2002, 35

Angesichts der Problematik "Schweres Lesen – Schweres Lernen" am Monitor stellt sich jedoch eine grundsätzliche Frage ganz anderer Art: Sind Texterschließung und Übersetzung in einem traditionellen Übungsbuch nicht doch besser aufgehoben als auf einem Monitor? Texte auf dem Computerbildschirm scheinen nämlich schwerer verständlich als im gedruckten Buch. So jedenfalls das Resultat einer Studie der Ohio State University. Es werde bei dem Studium am Computer, so die Studie, nicht, wie bei den Printmedien, geblättert, unterstrichen oder kommentiert. Dabei sei gerade das Schreiben der Hand auf Papier (haptische Dimension) für das Training des menschlichen Gehirns viel wertvoller. Nicht, wie allgemein angenommen, über das aktive Sehverhalten werde bei der Arbeit am Monitor das Denken gefördert, sondern, so die Ergebnisse der Studie, durch die Bildschirmarbeit werde die Psychomotorik unterfordert. Von einem erhofften maximalen Lernzuwachs könne demnach keine Rede sein. Offensichtlich reagieren unsere menschlichen visuellen Wahrnehmungsbedürfnisse bei der Bildschirmarbeit anders als bei der Lektüre eines Buches (M. Schweres, M., Bildschirmtexte wenig einprägsam, in: FAZ 10.01.2001, N.8, S. N3, Sp-3-4 u.). In dieser Frage scheint also eine gewisse Skepsis gegenüber unkritischer Computereuphorie durchaus angebracht. Meiner Erfahrung nach dürfte eine der jeweiligen Lerngruppe entsprechende, richtige Mischung aus traditionellen und elektronisch gestützten Methoden pädagogisch erfolgreich sein.

3. Welche Kriterien sprechen für den Einsatz von lehrwerkunabhängigen und lehrwerkabhängigen Programmen?

Grundsätzlich unterscheiden wir lehrwerkabhängige und lehrwerkunabhängige Programme. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von geschlossenen und halboffenen Systemen. Dabei ziehen bekanntlich viele Interessenten beim Kauf lehrbuchgebundene (geschlossene) Software renommierter Schulbuchverlage der lehrbuchunabhängigen (halboffenen) vor. Nachdenklich allerdings macht es, wenn nicht "das am besten geeignete Programm, sondern das über die besten Werbemittel und Vertriebswege verfügende den größten Verbreitungsgrad erreicht", so Ulrich Schmitzer in seinem Beitrag ‚Neue Technologien für die Alte Welt‘ (in: La rete di Arachne – Arachnes Netz, Stuttgart 2000, S. 259). Die Erklärung liegt auf der Hand: Bei lehrbuchgebundener Software glauben Eltern und Schüler am ehesten die Gewähr zu haben, dass das Programm zuverlässig, fehlerfrei und vor allem effektiv arbeitet. Wägt man auf der Suche nach Gütekriterien die Vor- und Nachteile lehrwerkunabhängiger und lehrwerkabhängiger Programme ab, so lässt sich folgendes feststellen:

Lehrwerkabhängige Programme, die neben einem Vokabeltrainer auch über einen Formentrainer oder gar noch einen Grammatiktrainer verfügen, bieten meist nur die verlagsinternen Vokabeln und Formen zum Training an und sind verständlicherweise in erster Linie auf das Pensum des verlagseigenen Lehrbuchs abgestimmt. Bestenfalls gibt es die Möglichkeit, Vokabeln umständlich zu ergänzen. In das verlagseigene Formen- und Übungsprogramm kann jedoch kaum eingegriffen werden. Eine eigenständige Ergänzung und Neuaufnahme etwa von Substantiven, Adjektiven oder Verben in


Pegasus 1/2002, 36

 ein Lexikon ist also praktisch ausgeschlossen. Das ist um so bedauerlicher, weil auf diese Weise intelligente und besonders reizvolle Übungen des einen oder anderen Programms kaum vom Benutzer eines anderen Lehrbuchs genutzt werden können. Die Folge ist, dass Programme aus Verlagshäusern und Firmen nördlich der Mainlinie zu den in Bayern zugelassenen Unterrichtsmaterialien nicht oder nur bedingt passen. Als befremdlich erscheint es in diesem Zusammenhang, wenn Programme wie Disco oder Latinum ex machina in den ‚Materialien für den Lateinunterricht‘ (hrsg. vom Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung, München 2000) erst gar nicht zur Besprechung aufgenommen worden sind, weil sie als inkompatibel zu bayerischen Lehrwerken angesehen werden. Eine derartige Provinzialisierung ist für die Entwicklung des Faches Latein nur zu bedauern.

Im Gegensatz dazu bieten lehrwerkunabhängige Programme bemerkenswerte Vorteile: Es macht erfahrungsgemäß Schülerinnen und Schülern größeren Spaß, selbst Eintragungen in einer Vokabelverwaltung vorzunehmen, als ein reines Anwenderprogramm zu benutzen und kaum in den inneren Programmbetrieb eingreifen zu können. Nach unseren Erfahrungen ist die Selbsteingabe der Lernvokabeln auch pädagogisch wertvoll: Beim notwendigen Abgleich von Lehrbuch und Lernprogramm sind Schülerinnen und Schüler gezwungen, viel intensiver als sonst üblich die Vokabelbedeutungen unter die Lupe zu nehmen. Indem der Computer seinem Benutzer ganz präzise Eingaben abverlangt, wird der Schüler von Anfang an zu äußerster Sorgfalt und zum Mitdenken angehalten. Fehlerhafte Eingaben können durch eine integrierte Hilfestellung verhindert werden (NAVIGIUM).

Was die inhaltlich-technische Seite betrifft, bieten lehrwerkunabhängige Programme den Vorteil, dass der Nutzer individuelle Veränderungen am Programm vornehmen kann. Neben der Ergänzung des Lexikons können bei Vorhandensein einer Textfunktion Autorentexte aus dem Internet eingelesen und farblich bearbeitet werden, die Einrückmethode kann eingeführt und trainiert werden u. a. m. Außerdem entfallen finanzielle Zusatzbelastungen bei Neuauflagen und Folgebänden, da jederzeit Korrekturen und Ergänzungen vom Benutzer problemlos selber vorgenommen werden können, zusätzlich können kostenlose Updates aus dem Internet genutzt werden.

 

4. Welche Vor- bzw. Nachteile bieten Softwareprogramme gegenüber Lehrbuch, Vokabelheft oder Schulgrammatik?

Selbst gute Lernprogramme ärgern bekanntlich gelegentlich ihre Benutzer mit computertypischen Schwächen, die im Vergleich zu den traditionellen Printmedien besonders auffallen. Das beginnt nach erfolgreicher Installation schon gleich bei der ersten Benutzung, wenn die Schülerinnen und Schüler, die noch keinen Schreibmaschinenkurs belegt haben, ein Leerzeichen oder ein Komma an unpassender Stelle eingeben oder einen Rechtschreibefehler machen. Da werden dann durch den Rechner richtige Lösungen als falsch zurückgewiesen, weil der Programmierer diese oder jene Wortbedeutung


Pegasus 1/2002, 37

 nicht berücksichtigt hat, von Problemen mit der neuen Rechtschreibung ganz zu schweigen. Weitere Ungereimtheiten können auftauchen bei der Abfrage homographer Verben wie occídere oder occidere, oder es tauchen Probleme auf wie: muss unter ‘princeps’ ‘der erste’ oder ‘erster’ als Antwort eingetippt werden, wird unter ‘castra ponere’ ‘ein Lager‘ oder ‘das Lager aufschlagen’ als Antwort erwartet?

Von besonderer Bedeutung unter lernpsychologischen Gesichtspunkten ist bei den elektronischen Medien die Möglichkeit zur Korrektur und Auswertung. Hierzu zählt man auch die Möglichkeit der intermittierenden Abfrage, bei der die zuvor falsch beantwortete Vokabel auf Wunsch so oft erneut aufgerufen werden kann, bis sie beherrscht wird. Die Berücksichtigung des Karteikastenprinzips wäre wünschenswert, die Möglichkeit des Ausdrucks bestimmt nützlich. Eine Unterscheidung nach Grund- und Aufbauwortschatz kann nur von Vorteil sein. Memodux und Navigium beweisen durch die methodische Praxis, dass die Nutzbarmachung des Lateinischen für die Allgemeinbildung durch die Aufnahme von Lehn-und Fremdwörtern und die Grundlegung für die modernen Sprachen durch die Vernetzung des lateinischen Vokabulars mit den Fremdsprachen Englisch, Französisch, Italienisch (und Spanisch) sehr wohl praktikabel ist.

Als besonders positiv herauszustellen gegenüber der stummen und unflexiblen Vokabellektion des Lehrbuches und der nicht ganz so starren Vokabeldatei ist beim Computer neben der Vokabelabfrage nach einem Zufallsgenerator die bereits erwähnte schier unerschöpfliche Flut von Übungsformen. Eine auf wissenschaftspropädeutischem Niveau angesiedelte Wortkundearbeit unter Berücksichtigung von Wortfeldern, Wortfamilien und Sachfeldern, Synonymen, Antonymen bietet das Multimedia-Produkt Memodux aus dem Hause Buchner, ebenfalls Navigium. Die meisten Lernprogramme verfügen auch über eine eingebaute Memory-Funktion, welche die Lernergebnisse speichert, sodass der Benutzer auch noch am nächsten Tag oder erst nach einigen Tagen die nicht-gekonnten Vokabeln noch einmal trainieren kann. Die erzielten Ergebnisse werden statistisch festgehalten.

Dagegen sind in der Vielfalt der Übungsmöglichkeiten den elektronischen Stammformentrainern engere Grenzen gesetzt, bei denen man sich schon etwas einfallen lassen muss, soll die Abfrage nicht zu einer öden Paukerei der mehr oder weniger richtig getippten Stammformen geraten. Technisch ist hier vor allem gleich eine ganze Reihe von Hürden zu nehmen, z.B.: Wie soll der Benutzer wissen, ob der Computer als 3. Stammform statt der Supinform die Endung -urus (PFA) als Antwort erwartet? Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch, wie ein Programm die Verba anomala, defectiva oder die Semideponentien meistert. Eine stichprobenhafte Überprüfung sollte man vor dem Kauf ruhig vornehmen. Für die Lektürephase besonders wichtig: Wie steht es um die Erfassung von Assimilation, Kurzformen oder Nebenformen?


Pegasus 1/2002, 38

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Ein guter Vokabeltrainer ist durch seine Flexibilität und grenzenlose Geduld der gedruckten Vokabellektion des Lehrbuchs und einer starren Wortkunde weit überlegen! Besonders für daheim stellen vor allem Wortschatztrainer ein ideales Lernmittel dar. Hand aufs Herz: Welcher Kollege, welche Kollegin schafft bei mehreren Klassen und möglicherweise gar noch bei mehreren parallel an der Schule eingeführten Lehrwerken über Jahre hinweg eine kontinuierliche Wortschatzarbeit und Wortschatzkontrolle? Festzuhalten bleibt: Wortschatzarbeit am Computer entlastet die Kolleginnen und Kollegen, in Windeseile lassen sich aber auch ein schriftlicher Vokabel- oder Formentest ausdrucken. Aber auch im Frontalunterricht der Klasse bietet der Rechner in Verbindung mit einem Display oder Beamer gerade beim Anlernen des neuen Vokabulars ausgezeichnete Möglichkeiten: Die gesamte Klasse kann den Lernprozess visuell auf der Leinwand verfolgen, ggf. kleine Wettbewerbe austragen. Voraussetzung ist allerdings, dass man den Klassenraum verdunkeln kann oder eine Projektionswand zur Verfügung hat.

 

5. Welche technischen Vorteile gegenüber den traditionellen Lehrmethoden kann der Einsatz des Computers für sich mit Recht beanspruchen, wo stößt er an seine Grenzen?

Ziehen wir nach über zehn Jahren Unterrichtserfahrung mit lateinischer Lernsoftware abschließend Bilanz: Der Computer

  • garantiert als elektronische Tafel eine abwechslungsreiche und kontinuierliche Wortschatzarbeit (gemeinsames Anlernen der Vokabeln und Stammformen in Verbindung mit Fremd-, Lehnwörtern, sprachverwandten englischen, franz. und italienischen Vokabeln sowie Sentenzen),

  • unterstützt die frühzeitige Systematisierung der Formenlehre, (Tabellengrammatik, interaktiver Formentrainer),

  • leistet wertvolle Hilfe bei der Besprechung der Hausaufgaben, etwa eines Lehrbuchtextes oder zur Verifizierung bei Formenübungen (durch die Ermittlung sämtlicher flektierter Formen über eine Suchfunktion und die Einschaltung der Tabellengrammatik),

  • fördert die Eigeninitiative unser Schülerinnen und Schüler im Selbstlernzentrum/Medienzentrum und

  • eignet sich hervorragend zur Partnerarbeit im Computerraum,

  • ist der geduldigste und preiswerteste Nachhilfelehrer überhaupt.


Pegasus 1/2002, 39

Bei allen beschriebenen Vorteilen gilt es zu bedenken: Es gibt kein Computerprogramm, das ‘Dinge lernt, ohne dass man ihm beibringt, wie es diese Dinge lernen kann’. Dies bedeutet für den Einsatz des Computers im Unterricht: Der Computer erzielt vor allem dann bessere Lernergebnisse, wenn es um die Einübung des Stoffes geht. Computerprogramme weisen gegenüber der traditionellen Schulgrammatik und dem gedruckten Wörterbuch ganz offensichtlich eine Reihe von Vorteilen und immer neuen Möglichkeiten auf. Allerdings: Die eigentlichen Weichenstellungen zu einer späteren Originallektüre wird auch in Zukunft immer noch der Lehrer vornehmen. Spätestens beim Einsetzen der Übergangs- oder Originallektüre, wenn es etwa um die Erkennung eines weit gefassten Hyperbatons oder einer Schachtelperiode geht, werden die Grenzen des technisch Machbaren oder Sinnvollen schnell sichtbar. Ohne die einfühlsame Führung durch den Lehrer wird der Lateinanfänger, auch wenn er seine Vokabeln und Stammformen noch so regelmäßig und fleißig trainiert und die Möglichkeiten der elektronischen Hilfe zur Formenbestimmung wahrgenommen hat, sehr schnell erfahren, dass zu einer erfolgreichen Textarbeit eben doch viel mehr nötig ist. Andererseits aber geht die technische Entwicklung unvermindert weiter, und der Computer wird hoffentlich noch mit vielen Stützhilfen für unser Fach Latein aufwarten. Schließen möchte ich mit einem Wort von Heike Schmoll aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an die Skeptiker unter unseren Fachkolleginnen und Fachkollegen: "Es ist höchste Zeit, dass sich die angsterfüllten Mediengegner und die ebenso fanatischen Computerapologeten nüchtern darauf besinnen, dass die Informationstechnik nicht mehr und nicht weniger als ein sinnvolles Arbeitsmittel ist" (FAZ 14.02.2000, r. 37/7D, S.1, Sp.4).

6. Liste der erwähnten Lernprogramme (in alphabetischer Reihenfolge; die Preise gelten für Einzel-Lizenzen)

  • De bello gallico - Der Helvetierkrieg, Version 2.0

von M. Wolter und I. Höpping, Stuttgart (Klett), ISBN 3-12-612110-1, EUR 34.90 (Minerva - Alte Sprachen am PC)

  • Disco

Multimedia Lernsoftware, Berlin (Cornelsen), Teil 1 (1. Lernjahr), ISBN: 3-464-91311-2, EUR 74.95, Teil 2 (2. u. 3. Lernjahr), ISBN: 3-464-91313-9, EUR 74.95

  • Latinum in fenestris

Von Volker Ssymank, Göttingen 2002 (Vandenhoeck & Ruprecht), ISBN: 3-525-71037-2, EUR 62.00

  • Latinum ex machina 3.0

Vokabel- und Formentrainer Latein, Stuttgart (Klett), ISBN 3-12-140141-6, EUR 49.90, (Minerva - Alte Sprachen am PC)


Pegasus 1/2002, 40

  • LEGE Version 1.2

für Ianua Nova Neubearbeitung, 2. Aufl., und Latinum, Ausgabe B, von Winfried und Martin Flikschuh, Software- Entwicklungen SESN . Mühlaustraße 31, 86938 Schondorf, EUR 49.00

  • Lumina in fenestris

Von Volker Ssymank, Göttingen 2000 (Vandenhoeck & Ruprecht), ISBN 3-525-71027-5, EUR 62.00

  • Memodux

Multimedialer Wortschatztrainer von Peter Lowin u. a., erhältlich für die Lehrwerke Felix A/B, Roma A/B/C, Cursus Continuus A/B, Cursus Brevis, Latein drei (jeweils ab EUR 72), Bamberg (C. C. Buchners Verlag)

  • Navigium Iter Romanum

von Karl und Philipp Niederau, Paderborn (Schöningh), Best.-Nr. 62425 3, EUR 58.00

  • Navigium V6.5 + Cäsar, Bellum Gallicum

von Karl und Philipp Niederau, ISBN 3-9805357-3-8, EUR 79.00

 

Dr. Karl Niederau, Piusstr.12, 52066 Aachen

Tel.: 0241/618 57 – FAX: 607 670