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                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 77

Anhang 1: Text und Übersetzungen

 

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I. Carmen 8 des C. Valerius Catullus
(nach der Edition von W. Kroll)

        Miser Catulle, desinas ineptire,
        Et quod vides perisse perditum ducas.
        Fulsere quondam candidi tibi soles,
        Cum ventitabas quo puella ducebat
5      Amata nobis quantum amabitur nulla.
        Ibi illa multa tum iocosa fiebant,
        Quae tu volebas nec puella nolebat,
        Fulsere vere candidi tibi soles.
        Nunc iam illa non vult: tu quoque, inpotens, noli
10    Nec quae fugit sectare, nec miser vive,
        Sed obstinata mente perfer, obdura.
        Vale puella, iam Catullus obdurat,
        Nec te requiret nec rogabit invitam:
        At tu dolebis, cum rogaberis nulla.
15    Scelesta, vae te! quae tibi manet vita?
        Quis nunc te adibit? cui videberis bella?
        Quem nunc amabis? cuius esse diceris?
        Quem basiabis? cui labella mordebis?
        At tu, Catulle, destinatus obdura.


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 78
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II. Deutsche Übersetzungen des c. 8
In alphabetischer Reihenfolge; den deutschen Übersetzungen wurden Verszählungen hinzugefügt, die eine schnelle Orientierung ermöglichen.

II. 1. Michael v. Albrecht
C. Valerius Catullus, Sämtliche Gedichte, lat./dt. übersetzt und herausgegeben von M. v. Albrecht, Stuttgart 1995, durchgesehene Ausgabe 2001.

Armer Catull, hör auf, ein Narr zu sein, und was du verloren siehst, das gib verloren. Einst leuchteten dir strahlende Sonnentage, als du gingst, wohin dich dein Mädchen kommen ließ, [5] die von uns geliebt wurde, wie keine je geliebt werden wird. Als da so manches Scherzhafte geschah, was dir willkommen war und dem Mädchen nicht unwillkommen, damals leuchteten dir wahrhaft strahlende Sonnentage. Jetzt aber will sie nicht mehr: Wolle du auch nicht mehr (brächtest du es nur fertig!), [10] jage der nicht nach, die entflieht; lebe nicht elend, sondern ertrag es mit festem Sinn und bleibe hart. So leb denn wohl, Mädchen! Schon wappnet sich Catull mit Festigkeit und wird dich weder suchen noch wider deinen Willen umwerben. Du aber wirst Schmerz empfinden, wenn du gar nicht mehr umworben wirst. [15] Ruchlose, weh dir! Welches Leben bleibt dir noch? Wer wird sich jetzt um dich bemühen? Wem wirst du schön erscheinen? Wen jetzt lieben? Wessen Liebste heißen? Wen wirst du küssen? Wem die Lippen beißen? Du aber, Catull, sei entschlossen, bleibe hart!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 79
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II. 2. Walter Amelung
Gedichte des Catullus, übers. von W. Amelung, Jena 1911.

        Armer Catull, nun sag’ Valet der Torheit,
        Und was verloren ist, das gib verloren!
        Ja, einstmals lächelte auch dir die Sonne,
        Als du den Winken deines Mädchens folgtest,
5      Das du geliebt, wie nichts auf Erden wieder!
        Ach, damals triebet ihr die tausend Spiele –
        Du fordertest – das Mägdlein wehrt’ es nicht;
        Ja, damals lächelte auch dir die Sonne!
        Sie will nicht mehr – wohlan, so gib dich drein,
10    Lauf nicht dem Winde nach und jammre nicht!
        Die Stirne hoch und frei! Ertrag’s, sei standhaft! –
        So leb’ denn wohl, mein Kind! Catull ist standhaft;
        Er sucht dich nicht, fragt nicht nach dir, wenn du
        Nicht willst. Du aber wirst’s bereun, wenn niemand
15    Mehr nach dir fragt! Verworfne, wehe dir!
        Was für ein Leben bleibt dir nun? wer wird
        Nun dir und deiner Schönheit huldigen?
        Wen wirst Du heute lieben? wem gehören?
        Wen wirst du küssen? in die Lippen beißen? –
20    Was kümmert’s dich, Catull? Bleib’ fest und standhaft!


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II. 3. Max Brod
C. Valerius Catullus, Gedichte, Deutsch von M. Brod, München/Leipzig 1914.

        An sich selbst
       
        Armer Catullus, werde endlich klüger,
        Und was zusehends hin ist, laß dahin sein.
        Wohl leuchteten dir einmal reine Sonnen,
        Als du noch gingst, wohin das Mädchen winkte,
5      Geliebt von dir, wie keine mehr geliebt wird.
        Dort fielen manche hübsche Scherze vor,
        Die dir behagten, ihr nicht mißbehagten.
        Es leuchteten dir einmal reine Sonnen.
        Jedoch sie will nicht mehr: nun zwing auch du dich.
10    Verfolg’ sie nicht, die flieht, und tu nicht kläglich,
        Halt aus, halt eigensinnig aus, sei standhaft.
        Nun, Mädchen, lebe wohl! Catull ist standhaft,
        Sucht dich nicht auf, beschwert dich nicht mit Bitten.
        Ha! das wird weh tun, wenn wir nicht mehr bitten.
15    Denk, Arge, welch ein Leben auf dich wartet.
        Wer macht dir nun Besuche? Nennt dich schön?
        Wen wirst du lieben? Wessen Mädchen heißen?
        Wen küssen? Wem wirst du die Lippen beißen?
        Doch du, Catull, halt eigensinnig aus.


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II. 4. Volker Ebersbach
C. Valerius Catullus, Gedichte, übers. von V. Ebersbach, Leipzig 1974.

        Catull, du Armer, laß doch nicht den Kopf hängen,
        und was du schon verloren siehst, das gib ganz auf!
        Die Sonne strahlte dir einmal so glückselig,
        als du noch gingst, wohin das Mädchen dich führte.
5      Ich liebte sie, wie keine wird geliebt werden!
        Da war das Leben noch vergnüglich, da konnte
        das Mädchen, wenn du wolltest, auch nicht nein sagen,
        da strahlte dir die Sonne wirklich glückselig. 
        Nun mag sie nicht mehr. Schlappschwanz! Laß sie auch laufen!
10    Und geht sie, laß sie gehn! Und blase nicht Trübsal!
        Behalt den klaren Kopf, jetzt heißt es hart bleiben!
        Du Mädchen, lebe wohl! Catull, der schon hart bleibt,
        vermißt dich nicht und wird dich nicht noch anflehen.
        Doch du wirst leiden, wenn dich keiner mehr anfleht.
15    Was bleibt dir für ein Leben? Warte, Treulose!
        Wer wird noch zu dir gehn, für den du schön aussiehst?
        Wen wirst du lieben, wessen Liebste dich nennen?
        Wen wirst du küssen, wem die Lippen wundbeißen?
        Doch du, Catull, bleib hart, jetzt heißt es durchhalten!


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II. 5. Werner Eisenhut
Catull, Lateinisch-deutsch, übers. und hg. von W. Eisenhut, München 51960.

        Catull, du Armer, lass’ sie sein, die Dummheiten,
        Was du verloren siehst, das ist dahin, glaub’s nur!
        Wie strahlte einstmals dir der Tage Glanz sonnig,
        Als du dem Mädchen, wie es wollte, nachgingest,
5      Geliebt von dir, wie keine Frau geliebt wurde!
        Und dort, gar viele süße Scherze gab’s damals,
        Die du gern wolltest und die ihr nicht mißfielen.
        Wie strahlte wahrlich dir der Tage Glanz sonnig!
        Sie will nicht mehr: Nun, dann auch du nicht mehr, Schwächling!
10    Verfolg’ nicht, die dich flieht, und lebe nicht elend,
        Ertrag’s mit starkem, hartem Herzen, sei standhaft!
        Leb wohl, du Mädchen, hart ist schon Catull, standhaft!
        Du willst nicht: Er wird nicht mehr bitten, nicht kommen.
        Es wird dir weh tun, wenn man dich nicht mehr bittet.
15    Verruchte, weh dir, welches Leben bleibt dir noch!
        Wer kommt zu dir und wer wird dich noch schön finden?
        Wen wirst du lieben, wessen Liebste dann heißen?
        Wen wirst du küssen, wessen Lippen wund beißen?
        Doch du, Catullus, bleibe hart und bleib standhaft!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 83
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II. 6. 1. Carl Fischer 1948
Catull, Gedichte, lat./dt. übertragen von C. Fischer, Söcking 1948.

        CATULLUS, armer Freund, du willst gescheit werden:
        So gib verloren, was verloren ist … siehe,
        Einst strahlten deiner Tage Sonnen dir leuchtend!
        Du gingest hin, wo die Geliebte dein harrte,
5      Du liebtest sie, wie andre nie geliebt werden,
        Und Freuden waren dort dir zugedacht, zahllos
        Wie immer du begehrt und sie gewährt … siehe,
        Einst strahlten deiner Tage Sonnen dir leuchtend …
        Nun sie nicht will, machtlos ertrag es: willst auch nicht!
10    Verfolge nicht was flieht und trag dein Leid klaglos!
        Geduldig sei dein Herz und kraftvoll: soll stark sein!
        Drum lebe wohl, mein Kind, sieh, wie Catull stark ist!
        Er quält dich nicht, er bittet dich auch nicht, selber
        Wirst leiden, wenn dich keiner bitten mag … wehe!
15    Du falsches Herz, weh dir! Welch Leben dir bleibet!
        Wer noch besucht dich nun? Und wem erscheinst schön du?
        Wer liebt dich nun? Und wen wirst selber du lieben?
        Wen wirst du küssen? Wessen Lippen wirst kosten?
        Doch du, Catull, du mußt es tragen, sollst stark sein!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 84
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II. 6. 2. Carl Fischer 1955
Catull, Liebesgedichte, lat./dt. übertragen und mit einem Nachwort versehen von C. Fischer, mit 48 Zeichnungen von Bele Bachem, Wiesbaden/Berlin 1955.

        Catullus, armer Freund, du solltest klug werden,
        Und was dahin geht, laß es doch dahin gehen!
        Einst strahlten deiner Tage Sonnen dir leuchtend,
        Als die Geliebte du gesucht, die dein harrte,
5      Die du geliebt, wie andre nie geliebt werden.
        Und Freuden waren dort dir zugedacht, zahllos,
        Wie immer du begehrt und sie gewährt. Siehe,
        So strahlten deiner Tage Sonnen dir leuchtend!
        Nun sie nicht will: machtlos ertrag es; willst auch nicht!
10    Verfolge nicht was flieht und trag dein Leid klaglos,
        Geduldig sei dein Herz und kraftvoll; sollst stark sein!
        Drum lebe wohl, mein Kind! sieh, wie Catull stark ist!
        Er quält dich nicht und bittet dich auch nicht: niemals!
        Doch du wirst leiden, wenn dich keiner mehr bittet!
15    Du falsches Herz, weh dir! Welch Leben dir bleibet!
        Wer noch besucht dich nun? Und wen wirst selber du lieben
        Wen wirst du küssen? Wessen Lippen wirst kosten?
        Doch du, Catull, du mußt es tragen, sollst stark sein!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 85
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II. 6. 3. Carl Fischer 1995
Catull, Gedichte, lat./dt. übertragen von C. Fischer, mit Zeichnungen von B. Bachem, Frankfurt a. M./Leipzig 1995.

        Unseliger Catull, laß deine Torheiten,
        was du dahingegangen siehst, das laß gehen.
        Einst strahlten deiner Tage Sonnen dir leuchtend,
        als du gefolgt, wohin das Mädchen dich führte,
5      das du geliebt, wie andre nie geliebt werden.
        Und Freuden waren dort dir zugedacht, zahllos,
        wie sie dir so gefielen, ihr nicht missfielen.
        Da strahlten deiner Tage Sonnen dir leuchtend.
        Sie will nicht mehr: auch du mußt, Schwächling, nicht wollen,
10    verfolge nicht, die flieht, mach dich nicht selbst elend,
        verhärte deinen Sinn, ertrag es, bleib standhaft!
        Lebwohl, du Mädchen, sieh, schon ist Catull standhaft,
        wird dich nicht quälen, dich, die nicht will, nicht bitten.
        Dir wird es wehtun, wenn dich keiner mehr bittet.
15    Weh dir, Unselge! Welch ein Leben harrt deiner?
        Wer wird noch kommen? Wer als Schönste dich preisen?
        Wen wirst du lieben? Wessen Liebste jetzt heißen?
        Wen wirst du küssen? Wessen Lippen jetzt beißen?
        Doch du, Catull, sei fest entschlossen, bleib standhaft!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 86
linie

II. 7. Rudolf Helm
Catull, Gedichte, lat./dt. von R. Helm, zweite Aufl. besorgt von F. Jürß, (Schriften und Quellen der Alten Welt, Bd. 12), Berlin 1971.

        Trennung

        Catull, du Ärmster, laß nun ab von Torheiten,
        Und was du schon verloren siehst, das laß fahren!
        Einst hatt’st du Tage, da die Sonne hell strahlte,
        Als du noch gingst, wohin dein Mädchen dich führte,
5      Die ich geliebt, wie keine wird geliebt werden.
        Gar viel an netten Späßen gab es dort damals,
        Die du begehrtest und dein Mädchen nicht abwies.
        Da war für dich die Sonne wirklich hell strahlend.
        Jetzt will sie nicht mehr; laß auch du sie jetzt, Schwächling!
10    Jag’ dem nicht nach, was fortläuft! Lebe nicht elend!
        Nein, starken Sinn’s ertrag’s und mach dein Herz hart jetzt!
        Fort denn, du Mädchen! Bleibt doch dein Catull hart jetzt,
        Sucht dich nicht mehr, wird nicht, weil du dich sträubst, betteln.
        Doch dir wird’s leid tun, wenn man dich nicht mehr anfleht.
15    Ruchlose, weh! Welch Leben wird dir jetzt bleiben?
        Wer spricht dich jetzt noch an? Wem wirst du schön scheinen?
        wen wirst hinfort du lieben? Wessen Schatz heißen?
        Wen wirst du küssen? Wem die Lippen wund beißen?
        Doch du, Catull, mach festen Sinns dein Herz hart jetzt!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 87
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II. 8. Theodor Heyse
Catull’s Buch der Lieder in deutscher Nachbildung, übers. von T. Heyse, hg. von A. Herzog, Berlin 21889.

        Entschluss

        Gieb auf, Catullus, gieb sie auf, die Thorheiten,
        Und was verloren, lass verloren sein, Aermster!
        Dir glänzten ehmals sonnenhelle Glückstage
        Als du dem Mädchen, wie sie lockte, nachgingest,
5      Die du geliebt, wie keine noch geliebt worden.
        Da gab’s der Liebesscherze g’nug, der viel süssen:
        Die du begehrtest und das Mädchen nicht wehrte,
        Da glänzten wahrlich sonnenhelle Glückstage.
        Jetzt will sie nicht mehr; geht’s nicht, wolle du auch nicht!
10    Verfolge nicht, die fliehet, mach’ dich nicht elend!
        Nein, starren Nackens trag’s, ein Mann, und sei standhaft!
        Fahr’ hin, o Mädchen! Ja, Catullus ist standhaft.
        Nie kommt er wieder, giebt dir nie ein gut Wörtchen.
        Doch fühlen sollst du’s, wenn dir keiner mehr nachfragt.
15    Treulose, weh’ dir! Welch ein Leben harrt deiner?
        Wer wird dich suchen? Wer, wie sonst, dich schön finden?
        Wen wirst du lieben? Wer dich liebes Herz nennen?
        Wen willst du küssen? Wem die Lippe wund beissen?
        Doch du, Catullus, sei ein Mann und bleib standhaft!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 88
linie

II. 9. Paul Lewinsohn
Catullus. Deutsch von P. Lewinsohn, Berlin 1922.

        Absage

        Catullus, Ärmster, laß von der früh’ren Torheit
        Und was verloren, laß es verloren bleiben!
        Dir lachten einstmals sonnenbeglänzte Tage,
        Als du so oft den Winken der Freundin folgtest,
5      Die du geliebt, wie’s keine wird wieder werden!
        Dort hat sie damals häufig mit dir getändelt,
        Und was du wolltest, nimmer gab’s Widerrede:
        Da hat fürwahr die Sonne dir hell geleuchtet!
        Und trotzt sie jetzt, so setze ihr Trotz entgegen,
10    Verläßt sie dich, so folge ihr nicht, noch klage,
        Sei hart vielmehr, halt aus und verbleib unbeugsam!
        Zieh hin denn, Mädchen, ruhig verharrt Catullus,
        Er sucht dich nicht, verschwendet an dich nicht Bitten,
        Doch dich wird’s schmerzen, bittet er nie dich wieder.
15    Unsel’ge, weh! welch Leben doch deiner wartet!
        Wer wird dich jetzt begehren, wer schön dich finden?
        Wen wirst du künftig lieben, wem angehören?
        Wen küssen, wem den Zahn in die Lippen drücken?
        Doch du, Catullus, sei und verbleib unbeugsam!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 89
linie

II. 10. Paul Mahn
Die Gedichte des Catull & Deutsche Nachdichtung, hg. von P. Mahn, Berlin 1925.

        Entschluß

        Ärmster Catull, hör auf, den Narrn zu spielen,
        Und gib verloren, was zugrunde ging.
        Einst leuchteten dir lichte Sonnen: damals zogst
        Die Straße du, auf die dein Mädchen lockte;
5      Du liebtest sie, wie keine noch geliebt.
        Wie stach der lockre Überschwang euch damals,
        Den du verbrachst, dein Mädchen gerne zuließ –
        Da leuchteten dir wahrhaft lichte Sonnen!
        Nun löst s i e sich von dir: Tu’s auch, du Schwächling,
10    Lauf der nicht nach, die flieht; kehr aus den Jammer,
        Härt dir den Sinn, halt durch und bleibe stark! –
        Fahr Mädchen, wohl! Schon härtet sich Catull,
        Sucht dich nicht mehr, begehrt nicht, die nicht will.
        Du aber klagst, wenn niemand mehr dir nachfragt.
15    Weh, Frevlerin! Welch Dasein harret deiner!
        Wer kommt zu dir noch, feiert deine Schönheit?
        Wen liebst du nun? Weß Liebste wirst du heißen?
        Wen willst du küssen? Wem die Lippen beißen? …
        Du aber bleibe fest, Catull, und stark!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 90
linie

II. 11. Eduard Mörike
Eduard Mörike, Werke und Briefe, (Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 8, Teil 1), Stuttgart 1976.

        Entschluss

        Catullchen! armer Freund! werd’ endlich klüger,
        Und was zusehends hin ist, laß dahin seyn!
        Wohl ehmals flossen dir die Tage heiter,
        Als du noch gingst, wohin das Mädchen winkte,
5      Geliebt von uns, wie keine je geliebt ward.
        Da gab es mancherlei der Tändeleien,
        Die dir behagten, ihr nicht missbehagten.
        Da, wahrlich! flossen dir die Tage heiter.
        Nun weigert sich das Ding: nun zwing’ auch du dich;
10    Verfolge nicht was läuft, und thu’ nicht kläglich;
        Halt’ aus, halt’ eigensinnig aus, sey standhaft!
        - Nun, Mädchen, lebe wohl! Catull ist standhaft.
        Sucht dich nicht auf, beschwert dich nicht mit Bitten.
        Ha! das wird weh thun, wenn wir nichts mehr bitten!
15    Denk’, Arge, welch’ ein Leben auf dich wartet.
        Wer wird nun zu dir gehen? wem wirst du schön seyn?
        Wen lieben? wessen Mädchen dich nun nennen?
        Wen küssen? wem die Lippchen wieder beißen?
        Catullchen, aber du halt’ aus! sey standhaft!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 91
linie

II. 12. Friedrich Pressel
Catull. Horaz. Ausgewählte Gedichte, übersetzt von F. Pressel, (Langenscheidts Bibliothek sämtlicher griechischer und römischer Klassiker in neueren deutschen Musterübersetzungen, Bd. 62), Berlin 10. Auflage (ohne Jahr).

        Catullchen, armer Freund, werd’ endlich klug
        Und gib verloren, was verloren ist.
        Wohl eh’mals lachten sonnige Tage dir,
        Als noch du kamst, wohin sie dich beschied,
5      Die du geliebt, wie nie mehr wird geliebt.
        Das war ein lustig Scherzen dann, so viel
        Als du begehrtest, sie nicht weigerte.
        Damals, ja! lachten sonnige Tage dir.
        Jetzt will sie nicht mehr, so sei stark auch du,
10    Verfolge nicht, was flieht, noch gräm’ dich drob,
        Vielmehr ertrag’s entschlossen, halte Stand.
        So fahre wohl, mein Kind! Catull hält Stand.
        Nicht kommt, nicht quält mit Bitten er dich mehr;
        Doch dich wird’s schmerzen, kommt kein Bitter mehr.
15    Denkst, Falsche du, welch Leben dann dir bleibt?
        Wer wird besuchen, wer dich finden schön?
        Wen wirst du lieben, wessen Liebste sein,
        Wen küssen, wem die Lippe beißen wund?
        Doch du, Catullus, bleib’ dir treu, halt’ Stand!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 92
linie

II. 13. Karl Wilhelm Ramler
K. W. Ramler, Oden aus dem Horaz. Nebst einem Anhang zweier Gedichte aus dem Katull und achtzehn Liedern aus dem Anakreon, Nachdruck der Ausg. von 1787, Eschborn 1992.

        Katulls Abschied von seiner Geliebten

        Katullchen, armer Freund! werd’ endlich klüger,
        Und was zusehends hin ist, laß dahin seyn.
        Wohl ehmals floßen dir die Tage heiter,
        Als du noch gingst, wohin das Maedchen winkte,
5      Geliebt von uns, wie keine je geliebt ward.
        Da gab es mancherley der Taendeleyen,
        Die dir behagten, ihr nicht mißbehagten.
        Da warlich floßen dir die Tage heiter.
        Nun weigert sich das Ding; nun zwing’ auch du dich.
10    Verfolge nicht, was laeuft, und thu nicht klaeglich.
        Halt aus, halt eigensinnig aus! sey standhaft!
        Nun, Maedchen, lebe wohl! Katull ist standhaft;
        Sucht dich nicht auf, beschwert dich nicht mit Bitten.
        Ha! das wird weh thun, wenn wir nichts mehr bitten!
15    Denk, Arge! welch ein Leben auf dich wartet:
        Wer wird nun zu dir eingehn? wem du schoen seyn?
        Wen lieben? wessen Maedchen dich nun nennen?
        Wen küßen? wem die Lippchen wiederbeißen?
        Katullchen, aber du halt aus! sey standhaft.


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 93
linie

II. 14. Wilhelm Schöne
Catull Sämtliche Gedichte. Urtext und deutsche Übertragung, übers. von W. Schöne, bearbeitet und nach den Übersetzungen von Theodor Heyse u.a., München 21940.

        Schwerer Entschluss

        Gib auf, Catullus, gib sie auf, die Torheiten,
        Und was verloren, laß verloren sein, Ärmster!
        Dir glänzten ehmals sonnenhelle Glückstage,
        Als du dem Mädchen, wie sie lockte, nachgingest,
5      Die du geliebt, wie keine noch geliebt worden.
        Da gab’s genug der süßen Scherze, Tollheiten,
        Die du begehrtest und das Mädchen nicht wehrte;
        Da glänzten wahrlich sonnenhelle Glückstage.
        Jetzt will sie nicht mehr; wolle, Schwächling, du auch nicht!
10    Verfolge nicht, die fliehet, mach dich nicht elend!
        Nein, starren Nacken trag’s, ein Mann, und sei standhaft!
        Fahr hin denn, Mädchen! Ja, Catullus ist standhaft.
        Nie kommt er wieder, gibt dir nie ein gut Wörtchen;
        Doch fühlen sollst du’s, wenn dir keiner mehr nachfragt.
15    Treulose, weh dir! Welch ein Leben harrt deiner!
        Wer wird dich suchen? Wer, wie sonst, dich schön finden?
        Wen wirst du lieben? Wer dich liebes Herz nennen?
        Wen wirst du küssen? Wem die Lippen wund beißen?
        Doch du, Catullus, sei ein Mann und bleib standhaft!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 94
linie

II. 15. Mauriz Schuster
C. Valerius Catullus’ Sämtliche Dichtungen, übersetzt und erläutert von Dr. M. Schuster, 3., neub. Auflage, Wien/Köln 1950.

        Selbstmahnung

        Armer Catull, laß ab von deinem Narrenwahn!
        Was du verloren siehst, das laß verloren sein!
        Ja, einstens strahlten helle Sonnentage dir,
        Als du zum Stelldichein nach Liebchens Lockung gingst,
5      Das du geliebt, wie keine je mehr wird geliebt.
        Oh, gabs da Minnespiele süßer Seligkeit,
        Die d u gewollt und die s i e gern geschehen ließ:
        Da strahlten wahrlich helle Sonnentage dir. - -
        Nun sträubt sie sich; tu’s ebenso und sei nicht schwach,
10    Laß fahren, die dich flieht, und mach dich elend nicht!
        Entschloss’nen Sinnes harre aus und sei ein Mann!
        Leb wohl, mein Mädchen! Ja, Catullus ist ein Mann.
        Er sucht dich nimmer, fragt nach dir, du Spröde, nicht;
        Doch leid wird es dir tun, fragt niemand mehr nach dir.
15    Weh dir, Ruchlose, welch ein Leben droht dir nun!
        Wer kommt zu dir hinfort? Wem scheinst du hold und schön?
        Wen liebst du dann? Und wer nennt seine Schönste dich?
        Wen küßt du dann? Wem beißest du die Lippen wund? …
        Doch du, Catullus, bleibe fest und sei ein Mann!


                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VII/1 (2007), 95
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II. 16. Otto Weinreich
Catull. Liebesgedichte und sonstige Dichtungen, Lateinisch und Deutsch, neu übers. und hg. von O. Weinreich, (Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft. Lateinische Literatur, Bd. 1), Hamburg 1960.

        Liebesende: Schweig und ertrags!

        Unseliger Catullus, laß die Narrheiten,
        und was du siehst verlorn, laß als verlorn gelten!
        Dir glänzten einstmals Tage, leuchtend gleich Sonnen.
        Als du, wohin das Mädchen führte, nachfolgtest,
5      das du geliebt, wie keines wird geliebt werden.
        Da gab es Scherze, Liebesspiele unzählig,
        die dir gefielen und die ihr nicht mißfielen.
        Dir glänzten wahrlich Tage, leuchtend gleich Sonnen.

        Nun will sie nicht mehr – woll auch du nicht, Haltloser;
10    verfolg sie nicht, die flieht, und mach dich nicht elend:
        mit hartgewordnem Sinne trags und sei standhaft!
        Fahr hin, du Mädchen! Ja, Catullus ist standhaft!
        Sucht dich nicht mehr, fragt nichts nach dir, wenn du abhold –
        doch du wirst bitter leiden, fragt nach dir niemand.
15    Unselge, weh dir! Welch ein Leben harrt deiner?
        Wer wird dich suchen? Wer dich noch für schön halten?
        Wen wirst du lieben? Wessen Namen dann führen?
        Wen wirst du küssen? Wem die Lippen wund beißen?
        Doch du, Catullus, werde hart und bleib standhaft!


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