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Friedemann Scriba

Augustus im Schwarzhemd – Eine Unterrichtseinheit


1. Einleitung

In der normalen Biografie eines Lateinschülers spielt die Rezeptionsgeschichte antiker Literatur zumeist nur eine untergeordnete Rolle. Allenfalls in Einzelstunden über Realienkunde, Inschriftenralleys in barocken Innenstädten oder einigen mittel- oder neulateinischen Lektüreeinheiten kommen Schüler mit dem Phänomen „Rezeption“ in Berührung. Einen stärkeren Akzent setzt da eher der Geschichtsunterricht, wenn er – i.d.R. in der Mittelstufe – die „Renaissance“ als Wiedergeburt der Antike thematisiert, oder der Kunstunterricht bei der Behandlung von antiken Vorbildern und nachantiken Adaptionen. Noch zu selten gelingt es m.W., das Phänomen „Rezeption“ als solches begrifflich zu fassen und im geistigen Haushalt von Schülern zu verankern – obwohl genau dieses Phänomen seit der kulturalistischen Wende der Geisteswissenschaften in allen Studiengängen eine einen immer höheren Stellenwert gewinnt. Über ein Bewusstsein für „Rezeption“ zu verfügen, gehört daher eigentlich zur Hochschulreife, die zumindest Anfangssemester in Geisteswissenschaften mitbringen sollten. Dem steht empirisch entgegen, dass Schülern auch in der Oberstufe die Reflexion von Metaebenen, wozu der Diskurs über Rezeption nun einmal gehört, in der Regel schwer fällt; hierbei lassen sich entwicklungspsychologische Barrieren und gesellschaftlich verändertes Kulturverhalten, sprich abnehmende Kompetenz im Erfassen mittelmäßig anspruchsvoller Sachtexte, i.d.R. nicht durch didaktische Arrangements austricksen.

Eine rezeptionsgeschichtliche Unterrichtseinheit muss sich dieser Rahmenbedingungen also schon in der Themenfindung bewusst sein, um nicht versehentlich bei den Schülern die Bildungskompetenz subtiler Renaissance-Humanisten vorauszusetzen. Die Antikerezeption im italienischen Faschismus eignet sich hier insofern, als sich ihr Mangel an Subtilität und ihr Bestreben nach massenwirksamer Eindeutigkeit in einer vergleichsweise leichten Erfassbarkeit des Phänomens „Rezeption“ niederschlägt. Dies demonstriert schon der als Einstieg in die Unterrichtseinheit geeignete Vergleich zweier Fotos des vespasianischen Colosseums und dem sog. Colosseo quadrato in der römischen Vorstadt EUR, die für die - kriegsbedingt dann ausgefallene - Weltausstellung E42 auf halbem Weg zwischen Rom und Ostia geplant war und nach dem Krieg fertiggestellt wurde. Das Colosseo quadrato war ursprünglich als Ausstellungsbau für die „Mostra della Civiltà italiana“ (Ausstellung der italienischen Geschichte von der Steinzeit bis zu Mussolini) geplant.

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Es soll durch die mehrfache Reihung der Rundbögen an das Colosseum erinnern, weicht aber von diesem ab durch die Quaderform und die damit verbundene Erhöhung der Reihenzahl von 3 auf 9, die Positionierung auf einem Sockel und den Verzicht auf Schmuckelemente wie Halbsäulen, Lisenen u.ä. Die dadurch entstehende monumentale Glätte wird betont durch die Verwendung weißer Travertinplatten, die das Betongerippe verkleiden. Modern im Sinne rationalistischer, in etwa dem deutschen Neuen Bauen entsprechender Architektur wirkt das Gebäude durch die Klarheit der Form und den Verzicht auf traditionelle Schmuckelemente. Es repräsentiert den in den 1930er Jahren zur italienischen Staatsarchitektur erhobenen Mischstil aus Moderne und Tradition, der große Baukörper und weite Innen- und Außenräume bevorzugt, damit die Kulisse für Aufmärsche dem Einzelnen das Bewusstsein seiner Kleinheit und Nichtigkeit durch ein Raumerlebnis in unentrinnbarer Weise vermittelt. Diese Gegenüberstellung verdeutlicht dem Schüler rein visuell, auch ohne Bemühung weiterer Materialien oder Reflexionen auf der Metaebene, was Rezeption sein kann.

Als Lernziele kann eine Rezeptionsgeschichte grundsätzlich vermitteln:
a. Schärfung des Bewusstseins für die Kontinuität der Nutzung des durch Lateinunterricht vermittelten Bildungsgutes (Gegenwartsbezug).
b. Weckung und Schärfung der Aufmerksamkeit für die absichtsvolle, hier propagandistische Nutzung von Vergangenheit (Inszenierung von Geschichte in unterschiedlichen Medien).
c. Befähigung zur Wahrnehmung der historischen Kategorien „Kontinuität“ und „Bruch“ durch Vergleich zweier Epochen, die ca. zweitausend Jahre auseinanderliegen.
d. Erreichung der für das Fach Latein typischen sprachlichen und realienkundlichen Lernziele durch Text- und Realienarbeit.

Das hier gewählte Beispiel, Augustus und Mussolini einander gegenüber zu stellen, bietet folgenden speziellen Erkenntniswert: Beide Regime apostrophieren sich selbst nach Abschluss der Bürgerkriegs- bzw. Revolutionsphase als „klassisch“ und inszenieren dieses durch die Auswahl der offiziellen Bilder, die Nutzung der „Macht der Bilder“ im Sinne Paul Zankers und die Einrichtung entsprechender politischer Kulte. Augustus inszeniert die Klassizität seines Regimes durch die Verbreitung von Statuen im Reichsgebiet mit vorgegebenem Bildtypus, durch städtebauliche Maßnahmen innerhalb und außerhalb Roms und durch die Verbreitung von Münzen. Entsprechend den Möglichkeiten des frühen 20. Jahrhunderts arbeitet das Mussolini-Regime mit Medien wie Film, Briefmarken, Presse und Inszenierungen von Events, wozu auch die spektakulären Grabungen gehören. Im übertragenen Sinn betreibt Augustus eine Imagepolitik durch die Beschäftigung bzw. Beauftragung von Hofdichtern, die den – für heutige Begriffe elitären – Diskurs unter Einbeziehung des griechisch-römischen Bildungsgutes bestimmen; Mussolini hingegen verbreitet, unter Anwendung der massenpropagandistischen Grundsätze aus Gustave Le Bons „La psychologie des foules“ („Die Psychologie der Massen“),

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bestimmte bedeutungsvoll aufladbare Reizwörter, um eine um den Begriff der „Romanità“ zentrierte Konstruktion von Vergangenheit zu bieten und u.a. damit die charismatische Mobilisierung von Massen zu erreichen. Darüber hinaus nutzt das faschistische Regime den 2000. Geburtstag des Augustus 1938 – in enger Zusammenarbeit mit dem Vatikan - ausdrücklich, um den Duce als eine Art Reinkarnation des Augustus darzustellen. Die Gestaltung der Piazza Augusto Imperatore in Rom am Augustus-Mausoleum mit der Zusammenfügung der Ara Pacis, den katholischen Kirchenbauten und der faschistischen Umbauung belegt dies beispielsweise. Die simple Analogisierung nach dem Muster: „So wie Augustus einst die Pontinischen Sümpfe trockengelegt hat, tut dies jetzt der Duce“, oder „Augustus hat einst ein großes Reich erobert, so gründet Mussolini jetzt nach der Eroberung Äthiopiens (1935) ebenfalls ein ‚Impero'“ spiegelt sich auch in den Briefmarkenserien. In der 50-centesimi-Marke zum Augustus-Jubiläum dient das Zitat aus den Res gestae (XX) zum Consensus Italiae zur Gleichsetzung Augustus' mit einem Duce – durch den einfachen Trick, das Bild der bekannten Statue des Augustus von Primaporta zu koppeln mit einer Menge von Händen, die auf einer Massenkundgebung zum sog. „Römischen Gruß“ erhoben sind.

Unterrichtspraktisch bietet diese Einheit folgende Möglichkeiten bzw. Vorteile:
a. Schüler, die im übersetzungs- und interpretationslastigen Lateinunterricht zu kurz kommen, aber historisch, politisch oder künstlerisch interessiert sind, können mobilisiert werden.
b. Eine Fächerverbindung in Richtung Geschichte oder Kunst ist ohne großen Aufwand möglich.
c. Die Thematik eignet sich ab Jahrgangsstufe 11 sowohl für eine Unterrichtseinheit wie auch als ergänzender Einzelbaustein zur Auflockerung einer Lektüreeinheit zu Horaz oder Vergil oder zur Vorbereitung einer Exkursion nach Rom. Auch eine Ausdehnung unter Einbeziehung einer Vergil-Lektüre etwa in einem Leistungskurs ist möglich.

Die Unterrichtseinheit gliedert sich in Blöcke, die den Schülern nach der obigen Einstiegssensibilisierung auch bekannt gegeben wird:
A. Augustus: „Wie etabliert man eine Monarchie, ohne dass es jemand merkt?“
a. Augustus' Imagepolitik in den Res gestae
b. Augustus' Bildpropaganda
c. Exemplarische Untermauerung durch Hofdichtung
d. Zusammenfassender Vergleich der Botschaft in den verschiedenen Medien
B. Mussolini: „Wie gewinnt man den Konsens der Massen für eine Diktatur der kleinen, alten Eliten?“
a. Neulateinischer Text Taberinis (pseudohorazianische Ode auf Mussolini)
b. Information über das faschistische Regime, Propagandamedien und –bilder
C. Bewertung und Vergleich

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2. Block A: Augustus

Als Einstieg in diesen Block eignet sich die 50-Centesimi-Briefmarke der Serie, die zum „Bimillenario Augusteo“ 1937/38 herausgegeben wurde.

In dieser Serie koppelt der auch für den Vatikan arbeitende Briefmarkengrafiker Mezzana bekannte Bilder von Augustus selbst oder zeitgenössischen Kunstwerken mit kurzen Zitaten aus den Res gestae, um dadurch assoziativ Bedeutungen im Betrachter zu evozieren und z.T. auch mit Kernthemen faschistischer Politik zu verbinden. Die 50-Centesimi-Marke bietet sich zur Illustration des Verfahrens in besonderer Weise an, weil hier in signifikanter Weise ein verkürztes Zitat aus Res gestae XXV in Verbindung mit zum „römischen Gruß“ erhobener Hände einer hinzuzudenkenden faschistischen Massenversammlung die bekannte Statue des Augustus von Primaporta neuinterpretiert. (1) Der „Consensus Italiae“, der in den Res gestae als ritueller Ergebenheitsakt italischer Städte gegenüber einem siegreichen Feldherrn im Bürgerkrieg erscheint, mutiert hier zur faschistischen, charismatischen Beziehung zwischen „Führer“ und Volk auf einer faschistischen Massenversammlung. Die Kombination von Verkürzung des Zitates auf briefmarkentaugliche Länge und Bildelementen schafft eine neue Interpretation des Wortes „dux“ im Sinne des faschistischen „Duce“.

Dieser Einstieg lenkt die Aufmerksamkeit auf den Text der Res gestae, wovon sich eine Auswahl anbietet, die je nach Erkenntnisinteresse kursorisch oder vertieft übersetzt werden kann. Um die vorgenommene Auswahl in den Kontext und die Absicht des gesamten Werkes einbetten zu können, erhalten die Schüler eine Art Inhaltsübersicht, aus der sie zunächst Themenfelder augusteischer Selbstdarstellung heraussuchen sollen. Der Hinweis auf den ursprünglichen und die weiteren Aufstellungsorte, illustriert durch Bilder des Monumentum Ancyranum, öffnet die Schüler für den Mediendiskurs auch schon zu augusteischer Zeit. Die Auswahl der Textstellen ist im wesentlichen bestimmt von der Verknüpfbarkeit mit augusteischer Bildpolitik im Sinne der Darstellung in Paul Zankers „Augustus und die Macht der Bilder“. Eine Folienserie mit den klassischen Kunstwerken und Medien hebt die „Leitmotive“ augusteischer Selbstdarstellung und Imagesteuerung noch einmal visuell hervor und steuert auf einen Vergleich zwischen Text- und Bildpropaganda zu, der in einer tabellarischen Übersicht als Tafelaufschrieb oder vorbereitete Folie endet.

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Wie Augustus ein bestimmtes Image von sich verbreitete

Passendes Bild / Folie
Welches Image?
Vgl. mit Res gestae
Augustus v. Primaporta, ganz
Autorität, Heerführer, Göttlichkeit
„auctoritate“, (v.a. Kap. 10-12)
Augustus v. Via Labicana (c apite velato)
als Priester: pietas
Tempelrestaurierung, evtl. Moralgesetze (Kap. 10-11)
Clipeus virtutis
Tugendkanon
Gerechte, gemeinwohlorientierte Herrschaft
Ara Pacis, ganz
Friedensbringer
Tempelrestaur.(Kap. 19-21), Frieden (Kap. 12 Ara erwähnt), Eroberungen (Kap. 25-33)
Ara Pacis, Tellus/Pax/Venus
Fruchtbarkeit, Wohlstand
indirekt z.B. Brot und Spiele (Kap. 18 + 22-23)
Ara Pacis, Rankenfries
dto.
dto.
Sonnenuhr
herrscht aus kosmischer Zwangsläufigkeit
 
 
Wie verbreitet?
 
Sonnenuhr
Durch massive Umgestaltung von Städten Demonstration der eigenen Macht
 
Köpfe Doryophoros d. Polyklet / Aug. v. Primaporta im Vgl.
Anknüpfung an vertraute, als schön empfundene Codes, Verbreitung eines durch Punktierverfahren normierten Bildes im ganzen Reich
 
Münzen
Verbreitung durchs Medium Münze unter Soldaten reichsweit
 

Legende:
Normalschrift: Lehrervorgaben
Kursive: Durch Unterrichtsgespräch so oder ähnlich zu erarbeitende Formulierungen

Spätestens an dieser Stelle sollte eine weitergehende historische Einbettung erfolgen, indem die bisher dargestellte Imagepolitik als Funktion einer Strategie dargestellt wird, nach dem Sieg über Antonius und Kleopatra eine Monarchie zu etablieren, der eine längere Dauer beschieden ist als der Herrschaft des C. Iulius Caesar. Die problemorientierte Erarbeitung oder Präsentation der politikgeschichtlichen Ereignisse und Strukturen steht unter der Überschrift: „Wie etabliert man eine Monarchie, ohne dass es jemand merkt?“ Hierzu eignen sich i.d.R. Oberstufengeschichtsbücher mit den geeigneten Grafiken. Je nach Lerngruppe bietet es sich auch an, diesen historischen Kontext als Weckung von Erkenntnisinteresse vor die Textlektüre und Bildbetrachtungen zu stellen und die imagepolitische Gegenüberstellung von Text- und Bildmedien als Teilantwort auf die Problemfrage zu würdigen.

Im Rahmen dieses Blocks kann man grundsätzlich auch weitere Texte augusteischer Literatur in Übersicht, Übersetzung oder Textauswahl exemplarisch hinzuziehen. Zeit und Niveau des Kurses dürften hier die entscheidenden Kriterien sein. Ich selbst habe die Entscheidung gefällt, dass auch ein Grundkurs Drittsprachler mit dem Aeneis-Mythos als Bildungsgut und Beispiel für römische Geschichtskonstruktion vertraut gemacht werden sollte, und habe eine Inhaltsangabe der 12 Bücher mit Beobachtungsaufgaben verkoppelt,

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wodurch die Schüler das besondere Kompositionsprinzip der Aeneis mit der zentralen Rolle von Buch 6 erkennen und damit eine strukturelle Besonderheit antiker Dispositionsprinzipien kennenlernen. – Horaz' Carmen saeculare in Übersetzung oder kursorischer Lektüre bietet sich zu einer Festigung der augusteischen Topoi an. Eine ausgewählte Ode des Horaz kann sensibilisieren für die Rezeption in der neulateinischen Mussolini-Ode von Luigi Taberini in Block B.

3. Block B: Mussolini

Eine propagandistische Fotomontage, die den etwas aufgeblasen redenden Mussolini vor einem Ausschnitt des Colosseums in Tiefperspektive zeigt, verdeutlicht, wie sehr sich das faschistische Regime selbst als Rezeption von römischer Antike darstellte.

Abb. aus: Enrico Sturani: Otto milioni di cartoline per il duce, Torino 1995, 248.

Dieser Einstieg lässt sich einbetten in die historische Problemfrage: „Wie gewinnt man den Konsens der Massen für eine Diktatur der kleinen, alten Eliten?“ Um Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Regimen zu erfassen und vor einer platten Analogiesetzung zu bewahren, bedarf es einer knappen Einführung in die Besonderheiten des italienischen Faschismus. Diese kann ein Ereignisabriss entweder durch Lehrfilm oder durch Zeittafel und Oberstufengeschichtsbuch unter der genannten Fragestellung vorbereiten, um dann folgende strukturellen Besonderheiten festzuhalten.





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Italien hatte am Anfang des 20. Jahrhunderts besondere Voraussetzungen, um den Faschismus 1922 an die Macht zu lassen, der seinerseits in den 1920er Jahren zum Vorbild für rechte autoritäre und totalitäre Diktaturen der Zwischenkriegszeit wurde:

- Nur punktuelle Industrialisierung in einer ansonsten feudal gebliebenen Gesellschaft.
- Der mit dem Abschluss der nationalstaatlichen Einigung 1870 nicht gelöste Konflikt zwischen laizistischer und katholischer Kultur, politisch fassbar in der bis zum Konkordat von 1929 nicht gelösten Vatikanfrage.
- Gegenüber anderen europäischen Ländern verspätete und beschleunigte Bürokratisierung, die zu einer beschleunigten Akkulturierung agrarischer Schichten zu einer „piccola borghesia umanistica“ führte. Die labile Identität dieser Kreise mit ihrem Bedürfnis nach ideologischen Gewissheiten schuf eine spezifische Struktur von Öffentlichkeit.
- Das reichliche Vorhandensein archäologischer, musealer und monumentaler Reste in der alltäglichen Lebenswelt ermöglichte einen plausibel scheinenden Rekurs auf historische Kontinuität schon im frühen italienischen Nationalismus seit der Renaissance und verstärkt seit dem Risorgimento. Dies war ein fundamentaler Unterschied gegenüber dem deutschen Nationalsozialismus, der sein biologistisches Geschichtsbild (einschließlich des Rosenberg'schen Germanenkultes) nicht durch wirkungsvolle Überreste untersetzen konnte. Die Werbung eines Kosmetikhändlers im italienischen Libyen mit den Köpfen von Octavian und Mussolini oder die Wahl des römischen Liktorenbündels als „Logo“ der faschistischen Partei wäre in Deutschland aufgrund dieses Unterschiedes nicht denkbar.
Als Textgrundlage dient hier das Gedicht Luigi Taberinis im „Alkäischen Stil“, dessen Lektüre die Inszenierung mit Widmung und Liktorenbündel auf dem Frontispiz auf einer Folie einleitet. Ein Vergleich mit ggf. behandelten Horazgedichten sowie schon aus der Augustus-Behandlung bekannten Topoi folgt. (2)

Methoden und Themen der mussolinischen Bildpropaganda, der spätestens hier eine historische Einführung vorausgehen sollte, erschließen sich aus einer Folienserie oder anders aufbereiteten Bildergalerie. Sie werden anschließend auf Methoden und Themen hin mit der augusteischen Propaganda verglichen.

4. Block C: Vergleich und Abschluss

In Mindmap- oder Tabellenform stellen die Schüler die Essenz der Unterrichtseinheit zusammen. Hierbei sollten deutlich werden:

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- Die Abhängigkeit beider Regime von einem aktiven Umgang mit den zeitgenössisch zur Verfügung stehenden Medien.
- Die Gemeinsamkeit bestimmter Topoi einschließlich des Rückgriffs auf eine als „klassisch“ bzw. vorbildhaft bewertete Vergangenheit.
- Die Machtabstützung durch eine medial vervielfältigte Konstruktion von Vergangenheit.
- Eine sprachlich angemessene Benennung unterschiedlicher Werkzeuge von Vergangenheitsnutzung bzw. Rezeption, z.B. Topoi, Analogien, Förderung von Grabungen und Forschungen, Inszenierung von Antike, Umgang mit Rezipienten.
- Bewusstsein für Kontinuität und Bruch (letzteres v.a. durch Betonung struktureller Unterschiede zwischen den beiden Regimen: Bedeutung der Massen, unterschiedliche Medien und Kommunikationskanäle).

In beiden Fällen ist die Rezeption der Vergangenheit eine affirmative: Die Vergangenheit wird so konstruiert, dass sie bejahbar ist und damit zu Analogien und Erklärung zum Vorbild geeignet erscheint. Diese Art der rezeptionsgeschichtlichen Unterrichtseinheit unterschlägt die Möglichkeit der kritischen oder gar negativen Rezeption. Daher bietet sich als Abschluss an, das Bild des amerikanischen Malers Peter Blume „The Eternal City“ von 1937 zu betrachten: Es zeigt eine teuflische, giftgrüne Mussolini-Fratze, die vor den Trümmern des Forum Romanum aus einem Sprungkasten hervorschnellt.

Die hier vorgestellte Unterrichtsreihe besteht aus Bausteinen, die in Auswahl auch in anderen Zusammenhängen als Einzelstücke verwendet werden können, z.B. als Ergänzung einer klassischen Lektürephase mit Werken augusteischer Dichter oder einer Studienfahrt nach Rom.

Bei einer solchen Studienfahrt lohnt es sich, folgende Orte auch rezeptionsgeschichtlich zu betrachten:

- Die Piazza Augusto Imperatore mit Mausoleum und Ara Pacis als faschistisches Arrangement mit Verlegung der Ara Pacis, mit Mausoleum als Gründungsort der römischen Faschistischen Partei 1921 vor der Freilegung, mit den faschistischen Versicherungs- und Kirchenbauten unter Einbeziehung von Teilen des barocken Bestandes; hier entsteht eine suggestive Konstruktion von Assoziationen – die durch die derzeit entstehende Neugestaltung des Ara-Pacis-Museums postmodern gebrochen wird.
- Die Via Fori Imperiali an den Foren unter Einbeziehung des wieder zugänglichen Monumento Vittorio Emanuele, da sich dieses Ensemble einschließlich der Ausgrabungen als ein didaktisches Arrangement des 20. Jahrhunderts, namentlich der 1930er Jahre, darstellt.

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Roms Innenstadt präsentiert sich paradoxerweise dort am modernsten, wo sie angeblich am ältesten ist.
- Die EUR mit dem Museo della Civiltà Romana, das – mit seinem eindrucksvollen Modell des spätantiken Rom und seinem absichtsvollen didaktischen Arrangement von Repliken und Kopien – ein Überbleibsel der Augustus-Feierlichkeiten von 1937/38 ist. Neben seinem nach wie vor hohen realienkundlichen Wert illustriert das Museum z.T. auch in den Texten eine Kontinuität des klerikofaschistischen Geschichtsbildes, das am Anfang seiner Entstehungsgeschichte stand. Stadtgrundriss und Architektur der EUR eignen sich zu konkreten Betrachtungen über Rezeption und Moderne.

Eine rezeptionsgeschichtliche Unterrichtseinheit lässt, vor allem im fächerverbindenden Bereich, auch weitere Varianten zu:
- Vergleich mit NS und Stalinismus, wobei auch hier entsprechende Gedichte auf Deutsch herangezogen werden können.
- Andere, freiheitliche antike Traditionen, ausgehend von den Athener „Tyrannentötern“.
- Bei höherer Präzision und stärkerem Tiefgang: „Auctoritas“ bei Augustus und Mussolini, wobei sich die berühmte Drei-Schritt-Folge der Bildinterpretation des Kunsthistorikers Erwin Panofsky (auch mit Erweiterungen) selbstständig anwenden lässt.

Bibliographische Hinweise

Hirth, Reinhard: Propaganda Recyclata. Vergil, Horaz und Augustus auf Briefmarken der Mussolini-Zeit. AU 33, 1+2/1990, 97-108.
Richter, Wieland: Das Bild des Siegers: Augustus, in: AU 4+5/2004, 27-33.
Scriba, Friedemann: Augustus im Schwarzhemd? Die Mostra Augustea della Romanità in Rom 1937/38, Frankfurt/M. 1995.
Scriba, Friedemann: Mussolini-Panegyrik im Alkäischen Vers, in: AU 1/2003, 38-42.
Zanker, Paul: Augustus und die Macht der Bilder, München 1987.


Dr. Friedemann Scriba
Gabelsbergerstr. 13
D - 10247 Berlin
Email: pacificus@foni.net


Die im Artikel erwähnten Foliensätze können beim Autor gegen geringen Selbstkostenpreis auf einer CD-ROM bestellt werden.

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(1) Hierzu zuletzt Wieland Richter (2004).
(2) cf. Wortlaut und Interpretation des Gedichtes bei Friedemann Scriba (2003).