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                                       Pegasus-Onlinezeitschrift IV/2 (2004), 57

Dietrich Stratenwerth

Gallia omnis - Animierte Präsentation zur Interpretation des Anfangs des Bellum Gallicum


Manchmal kommt man erst gegen Ende der 10 Klasse (bei Latein als 2. Fremdsprache) zur Lektüre. Was tun exigua parte anni reliqua? Gerade dann, wenn man mit den Schüler/innen den grammatischen Durchgang deshalb nicht so schnell geschafft hat, weil es mit ihrer sprachlichen Kompetenz nicht so weit her ist, bietet sich Caesar als erster Autor an wegen seines unprätentiösen Stils, der ja Vorbild der Grammatik ist, die man den Schüler/innen vermittelt hat, und genau den Wortschatz umfasst, den sie gelernt haben (sollten!?). Und, weil diese erste Originallektüre dennoch nicht flott vonstatten geht - was macht nicht allein „ipsorum lingua Celtae, nostra Galli appellantur“ für Probleme? - , ist es entscheidend einen Autor zu haben, der so dicht und präzise schreibt, dass bereits ein paar Zeilen Basis für eine Interpretation bieten, die der geistigen Kompetenz einer 10. Klasse (die die lateinisch-sprachliche immer übertrifft) angemessen ist. Dem können ein Nepos oder Curtius Rufus mit ihrem deutlich schwereren, weil ungewohnteren und komplizierteren Stil und ihrem ebenso deutlich geringeren schriftstellerischen Niveau nun einmal ebenso wenig das Wasser reichen wie der selbstkritische Hirtius. Statt des 30 Kapitel umfassenden Helvetier-Krieges bieten sich in einer solchen Situation eher Partien aus dem 4. Buch an, die 15 Kapitel der Usipeter-Tencterer-Episode, von denen noch drei Kapitel des Sueben-Exkurses in Überblicksform (Referat, Übersetzungsvergleich o.a.m.) geboten werden können, oder die 17 Kapitel der ersten Britannien-Expedition. Dennoch wird man auf die ersten Sätze des ersten Buches mit gutem Grund nicht verzichten wollen.

Die unmittelbare Begegnung mit dem Autor, d. h. mit seinem Text, steht für mich gewöhnlich am Anfang einer neuen Lektüre. Es hat etwas für sich, statt einer abstrakten Einleitung in Leben und Werk des Autors als erstes den Autor selbst zu den Schüler/innen sprechen zu lassen. Sie schlagen also das Buch auf und beginnen zu übersetzen.

Von Anfang an kann man sie dabei darauf aufmerksam machen, wie Caesar das gallische geographische Panorama mit seinen knappen Informationen entrollt, indem jede Information von jemandem aus der Klasse in eine Skizze eingetragen wird, die mehr und mehr das wiedergibt, was sich im Kopf des geographisch nicht beschlagenen Lesers abbildet. Ein solches Ergebnis zeigt die folgende Folie:

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Darüber hinaus müssen Begriffe wie cultus und humanitas problematisiert werden, um sie überhaupt übersetzen zu können. So legt sich über die geographische Grundfolie eine weitere mit den ethnographischen Charakteristika. Dadurch entwickelt sich schon von selbst der Eindruck, dass es sich um einen präzise gestalteten Text handelt. Dennoch kann der Umfang dessen, was Caesar mit dieser Einleitung erreichen will, aus der immanenten Interpretation nicht erfasst werden. Wenn man ein halbes Jahr Zeit zur Caesar-Lektüre hat, ist es möglich – nach den notwendigen zusätzlichen Informationen zur Zeit und zur Situation Caesars in der römischen (Innen-)Politik – die Raffinesse der Leserlenkung aus dem Text allmählich herauszuarbeiten (vgl. dazu Dietrich Stratenwerth: „Caesar über Caesar“ in: Latein und Griechisch in Berlin und Brandenburg 3/2004, 74-87).

Wenn, wie hier vorausgesetzt, so viel Zeit nicht zur Verfügung steht, kann man umgekehrt verfahren: Am Beispiel der ersten drei Sätze führt man der Schüler/innen vor, was Caesar alles über die geographisch-ethnographische Skizze hinaus zur Vorbereitung auf seine Sicht der Dinge in diese Sätze hat einfließen lassen. So aufmerksam gemacht und auf die verschiedenen Interpretationsebenen vorbereitet, sollen und können die Schüler/innen dann, wenn sie etwa im vierten Buch die ausgewählten Texte lesen, selbstständige Interpretationsarbeit leisten.

Ein Lehrervortrag, unterstützt durch eine animierte Präsentation, kann den Schüler/innen gleich beim Einstieg vermitteln, dass Caesars scheinbar ziemlich banale und in einem schlichten Stil dargebotene Informationen ein höchst kunstvolles und ganz bewusst gestaltetes Werk sind.

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Die ersten beiden Folien der Präsentation dienen dazu, die auf der Tageslicht-Folie zunächst nur schematisch skizzierten Informationen auf die reale geographische Lage der genannten Gebiete zu beziehen und dabei die Schlüsselwörter der übersetzten Sätze noch einmal ins Bewusstsein zu rufen.

Die dritte Folie bietet möglichst auf das Notwendigste beschränkte Hintergrundinformationen. Absicht ist es, die innenpolitische Situation zu skizzieren, in der der Text verfasst wurde und in die er hineinwirken sollte.

Deshalb wird mit dem Triumvirat begonnen, in dem Caesar zunächst nur der verbindende Juniorpartner der beiden großen und mächtigsten Männer des damaligen Rom ist: Pompeius und Crassus, deren Machtbasen didaktisch reduziert visualisiert werden: Pompeius´ erfolgreiche Kriege gegen die Seeräuber und gegen Mithridates, die ihn zum ersten Feldherrn des Reiches machten, und Crassus' Reichtum. Zur Verlebendigung kann man hier seine private Feuerwehr erwähnen, die er dann einsetzte, wenn ihm das brennende Haus für einen Spottpreis verkauft worden war (Plutarch, Crassus 2). Bei den zahlreichen Bränden ein effizientes Verfahren, um zu riesigem Grundbesitz in der Stadt zu gelangen. Die Provinzverteilung zeigt, wie die römische Republik zum Spielball dieser Großen geworden ist, und zum Schluss werden die Ziele skizziert, die Caesar in dem Triumvirat verfolgte.

Die antike Gepflogenheit, Personen durch Anekdoten zu charakterisieren, bietet eine willkommene Möglichkeit, den Vortrag aufzulockern. Ich denke an Caesars „midlife-crisis“ bei der Betrachtung, dass in seinem Alter Alexander der Große schon die Welt unterworfen, er aber noch nichts Bedeutendes geleistet habe (Sueton, Caesar 7) und an den Ausspruch, er wolle lieber in einem Alpendorf der erste als in Rom der zweite sein (Plutarch, Caesar 11): Gallien war seine Chance, und er musste sie ergreifen, wenn er je der erste werden wollte. Ein Erfolg konnte ihm Kriegsruhm wie Pompeius und Reichtum wie Crassus (die unglaublichen Summen, die er nach Sueton, Caesar 37 bei seinen Triumphen verteilte, müssen zum größten Teil aus seinem achtjährigen Wirken in Gallien stammen) bescheren.

Die Darstellung ist bewusst auf Personen bezogen. Bei der hier vorausgesetzten Knappheit der Zeit – man muss die Situation, wie wir sie oft vorfinden, realistisch sehen – ist eine angemessene Präsentation der Lage der untergehenden römischen Republik nicht möglich. Selbst eine grobe Skizze der beiden „Parteien“ müsste mindestens mit der Zeit der Gracchen beginnen und mit der Schwierigkeit fertig werden, dass Politiker wie Crassus oder Pompeius in das gerade entwickelte Parteienschema nicht hineinpassen, weil sie z. B. beide Nutznießer des sullanischen Terrors waren und dennoch diejenigen, die in ihrem ersten gemeinsamen Konsulat 70 v. Chr. die wesentlichen Stützen des sullanischen Systems zerbrachen. Das zeigt – ebenso wie die oben bereits erwähnte Provinzverteilung – die Bedeutung,

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die die persönliche Macht und die Eigeninteressen dieser Männer hatten und rechtfertigt damit die didaktische Konzentration auf die Personen, da es hier nur darum gehen kann, die Intention des Autors den Schüler/innen nahe zu bringen, damit sie sein Werk verstehen können. Die Geschichte ist hier nur Hilfswissenschaft der Philologie.

Die vierte Folie zeigt die Problematik einer scheinbar so klaren und einfachen Informationen, die uns Caesar gibt: Gallien reicht bis zum Rhein, jenseits droht die germanische Gefahr. Am Beispiel der Rheingrenze wird verdeutlicht, dass Caesars Informationen bewusste Formung in seinem Sinne sind und nicht einfache Widerspiegelung der Wirklichkeit. Es ist klar erkennbar, dass auch Germanen auf der linken Rheinseite leben und auf der rechten keineswegs nur Germanen. Caesar hat den Fluss deshalb als Grenze Galliens definiert, weil seine Eroberungen genau dort ein Ende gefunden hatten (vgl. „Caesar über Caesar“ a.a.O.).

Die Worte „Gallia omnis″ am Beginn umfassen also keineswegs zufällig genau das von ihm in seinen Kriegen eroberte Gebiet.

Die letzte Folie bringt keine neuen Informationen. Sie dient der Zusammenfassung des bisher Gesagten: dass Caesar mit seinem an den Anfang des Werkes gestellten Tableau die Lage Galliens zwischen Römern und Germanen in den Vordergrund rückt, die bis zum 7. Buch eine Leitlinie seiner Argumentation für die Eroberung Galliens durch die Römer ist: Die Alternative wäre eine Eroberung durch die Germanen gewesen. Das ist es, was Caesar seinen Lesern von den ersten Worten an suggerieren will, um die Notwendigkeit zu begründen, dass es seine Aufgabe als Staathalter der Narbonensis war, dem zuvorzukommen.

So schafft er in diesen ersten Sätzen die Voraussetzung dafür, dass seine Leser begreifen, worin seine Leistung besteht: der Sicherung des römischen Reiches vor den Germanen durch die Unterwerfung von ganz Gallien – GALLIAE OMNIS.

Die Visualisierung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Darstellung der geographischen Gegebenheiten und einige visualisierte historische Informationen.

Es ist sonst üblich, Merksätze einzufügen, die die wesentlichen Züge des Vortrags zusammenfassen. Darauf wurde hier bewusst verzichtet.

Vielmehr wurde nach dem Vortrag den Schüler/innen die Aufgabe gestellt, die Interpretation der ersten Sätze unter Berücksichtigung der Präsentation selbst zu formulieren. Durch Kontrolle dieser Hausarbeit ist es möglich festzustellen, welche Zusammenhänge wirklich in den Köpfen der Schüler/innen angekommen sind – und welche nicht, so dass solche Lücken in der folgenden Besprechung geschlossen werden können. Ein Merken oder gar Mitschreiben der projizierten Sätze würde nicht so deutlich werden lassen, was wirklich verstanden wurde.


Dietrich Stratenwerth
e-mail: stratenwerth@t-online.de