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                                       Pegasus-Onlinezeitschrift V/1 (2005), 66

Harald Schwillus 

Das Auftreten des Pompejus in Jerusalem in Texten jüdischer Autoren

Ergänzungstexte zum Thema ‚Die Ausdehnung des römischen Herrschaftsanspruches‘


Die Frage, wie die Menschen und Völker die Machtausdehnung des römischen Imperiums bewerteten, wird im Lateinunterricht i.d.R . mit Hilfe unterschiedlicher Positionen der lateinischen Literatur selbst behandelt. U.a. hat Friedrich Maier eine didaktische Aufbereitung von Texten zu diesem Thema vorgestellt, die sich um die in Ciceros De re publica von Philus und Laelius vorgetragenen Bewertungen der römischen Weltherrschaft gruppieren lassen: die Critognatus-Rede aus Caesars Bellum Gallicum (VII 77), die Adherbal-Rede aus Sallusts Bellum Iugurthinum (14), die Calgacus-Rede aus Tacitus‘ Agricola (30-34) sowie die Jupiter- und Anchises-Reden in Vergils Aeneis (I 276-283 bzw. VI 847-853). (1)

Da die von der römischen Machtexpansion betroffenen Völker häufig nicht über eine Schriftkultur verfügten, die eine Überlieferung bis in unsere Tage ermöglicht hätte, besitzen wir wenig authentische Textzeugnisse von diesen selbst. Eine Ausnahme bildet hier jedoch das Volk Israel, das Texte verfasst und überliefert hat, die uns einen Blick aus der Perspektive der Betroffenen auf die römische Politik im Osten der damals bekannten Welt ermöglichen. Diese Perspektive sollte im Unterricht einerseits thematisiert werden, weil dadurch - im Gegensatz zu den letztlich als literarische Fiktion einzustufenden Texten römischer Autoren, die wie Caesar oder Tacitus romkritische Positionen von Gegnern des Imperiums vertreten lassen - tatsächlich die Betroffenen selbst zu Wort kommen, und andererseits deshalb, weil sich dadurch ausgezeichnete Möglichkeiten für fächerverbindenden oder fachübergreifenden Unterricht ergeben. Insbesondere der Religionsunterricht wäre hier als Gesprächspartner zu nennen, da er die frühjüdischen Bedingungen der Entstehung der christlichen Messiashoffnung, die mit den Psalmen Salomos verbunden sind, zum Thema machen kann. Diese stellen eine unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis der Antike seit der augusteischen Zeit sowie für das Selbstverständnis der europäischen Staatengemeinschaft seit dem Mittelalter dar.

Die beiden hier vorgeschlagenen Vergleichstexte wurden nicht in Latein verfasst, so dass sie im Unterricht zur vertiefenden Erschließung der römischen Quellen in deutscher Übersetzung eingesetzt werden können. Es handelt sich um einen Textauszug aus der im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts n. Chr. entstandenen Geschichte des Jüdischen Krieges

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von Flavius Josephus und aus dem 17. Psalm Salomos, einer apokryphen Schrift des Frühjudentums aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Da ersterer griechisch geschrieben und letzterer als griechische Übersetzung überliefert wurde, bieten sich hier auch gute Brücken zum Griechischunterricht.

 

Historische Situation

Beide Textauszüge befassen sich mit einem Ereignis aus dem Jahre 63 v. Chr.: Pompejus hat auf der Basis der lex Manilia (66 v.Chr.) König Mithridates von Pontos besiegt und von dessen Schwiegersohn, dem armenischen König Tigranes, der das zerfallene Seleukidenreich über ein Jahrzehnt beherrscht hatte, die Herausgabe von Syrien, Kilikien und Phönikien an die Römer erzwungen. Als neuer Alexander ging der römische Feldherr nunmehr an die Neuordnung des Nahen Ostens, in die auch Palästina einbezogen wurde. Dort herrschte seit 140 v. Chr. die Dynastie der Hasmonäer, die ursprünglich die Anführer einer religiösen Befreiungsbewegung gegen die hellenistische Fremdherrschaft waren. Als das Ziel der Reinigung des Jerusalemer Tempels von polytheistischen Fremdkulten im Jahre 164 v. Chr. erreicht war (das jüdische Chanukka-Fest erinnert bis heute daran), zogen sich v.a. religiös engagierte Aufständische vom Widerstand zurück, da sie die Religionsfreiheit als errungen erachteten. Der Kopf des Aufstands, der Hasmonäer Judas Makkabäus, führte den Kampf aber mit den bei ihm Verbliebenen als politischen Befreiungskrieg bis 140 v. Chr. weiter. Im Laufe der Generationen entwickelte sich die Dynastie der Hasmonäer jedoch selbst zu einem despotischen Herrscherhaus, das zunehmend den Hass der Bevölkerung zu spüren bekam. Jahrelange Unruhen waren die Folge. So ließ der Hasmonäerkönig Alexander Jannäus (103-77), der auch den erblichen Rang des Jerusalemer Hohenpriesters innehatte, nach dem Niederwerfen mehrjähriger Unruhen „nach der Überlieferung mehrere hundert Aufständische kreuzigen, während er selbst mit seinen Dirnen tafelte und das Schauspiel genoss. Es ist verständlich, dass manche Juden lieber einen fremden Oberherrn als einen derartigen König und Hohenpriester anerkennen wollten. Zunächst folgte auf Alexander seine Witwe Alexandra (77-67). Als Hohepriester amtierte ihr ältester Sohn Hyrkan. Nach ihrem Tode stritten er und Aristobul (II.) um die Nachfolge und riefen die Römer als Schiedsrichter an. Als sie im Jahre 63 dem Pompejus in Damaskus ihre Sache vortrugen, erschienen Abgesandte des Volkes und baten, der hasmonäischen Königsherrschaft müde, um Wiederherstellung der Priesterherrschaft, d.h. um die Beschränkung der eigenen Vollmachten auf den religiösen und kultischen Bereich und die Abtretung der politischen Herrschaft an eine andere Macht, an die Römer. Die Anhänger Hyrkans stimmten dem zu und übergaben Jerusalem dem Pompejus. Aristobul verschanzte sich auf dem Tempelberg, der nach dreimonatiger Belagerung genommen wurde. [...] Pompejus verkleinerte das bisherige hasmonäische Gebiet und übergab es dem von ihm wieder als Hohepriester eingesetzten Hyrkan.“ ( Fohrer 226f.)

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Pompejus bei Flavius Josephus und im 17. Psalm Salomos

Diese Ereignisse reflektieren die genannten Texte. Sie sind Zeugnisse einer durchaus ambivalenten Betrachtung der römischen Herrschaft und des Auftretens ihrer Repräsentanten und belegen zugleich, wie die betroffenen Menschen auch ihrerseits versuchten, die Politik des Imperiums für eigene Zwecke nutzbar zu machen. Letzteres wird gerade beim Auftreten der Gesandtschaften vor Pompejus in Damaskus deutlich, die alle versuchten, den römischen Feldherrn für ihre eigene Position zu gewinnen. Zudem zeigt das Handeln des Pompejus sehr deutlich, wie souverän er mit den ihm dadurch gegebenen politischen Möglichkeiten umging. So entmachtet er zwar Aristobul, deportiert ihn und seine Söhne nach Rom (vgl. PsSal 17,12: „sandte er sie fort bis zum Westen“) und bestätigt Hyrkan als Hohepriester, doch kommt er zugleich dem Wunsch der pharisäisch beeinflussten Bevölkerung nach vollständiger Beseitigung der Hasmonäerherrschaft nicht nach. Rom übernimmt nicht direkt die politische Macht im verkleinerten Hasmonäerreich. So beschreiben die ausgewählten Texte Pompejus einerseits positiv als Ordner der Verhältnisse, kritisieren ihn aber andererseits in unterschiedlicher Deutlichkeit für sein Verhalten in Jerusalem. Vor allem sein Betreten des Tempels löste Entsetzen aus. Pompejus erscheint hierbei, aus dem Blickwinkel des gläubigen Juden betrachtet, als Barbar, der das Innere des Heiligtums entweiht. Flavius Josephus versucht dies offensichtlich herunter zu spielen, wenn er berichtet, dass der römische Feldherr zwar das Allerheiligste des Tempels betreten, aber nichts von der kultischen Einrichtung an sich genommen habe. Auf dieses Ereignis nimmt auch der 17. Psalm Salomos Bezug. Wird in diesem Text, der in pharisäischen Kreisen entstanden ist, Pompejus zunächst als geradezu messianischer Befreier, der die Verhältnisse im Sinne der Tora wiederherstellen und die Hasmonäer beseitigten würde, begrüßt („Du aber, o Gott, wirst sie niederwerfen und ihren Samen von der Erde wegnehmen, indem sich gegen sie ein Mensch, der unserem Geschlechte fremd ist, erhebt“, v.7), schlägt diese Bewertung in Vers 13f. vollkommen um. Diese beiden Verse gelten als nachträglicher Einschub in den Psalm, die das ‚barbarische‘, d.h. hier das heidnische, Verhalten des Römers in Jerusalem als Vermessenheit und Übermut charakterisieren. Eine höchst ambivalente Beurteilung römisch-herrscherlichen Auftretens spricht sich hier aus.

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Texte

Flavius Josephus : De Bello Iudaico , Kapitel 7,4,148 - 7,6,152

„Damals gleich, während die Römer vielerlei Ungemach durchzustehen hatten, war Pompejus im Ganzen über die Standhaftigkeit der Juden erstaunt und ganz besonders darüber, dass sie nichts von ihrem Gottesdienst wegließen, den sie mitten unter den Geschossen zu halten auf sich nahmen. Denn als ob tiefster Friede die Stadt bedecke, wurden die täglichen Schlachtopfer und die heiligen Darbietungen und jede Dienstleistung aufs Genaueste Gott zu Ehren vollbracht; ja, nicht einmal bei der Eroberung selbst ließen sie, rings um den Altar vom Tode ereilt, von dem ab, was die für jeden einzelnen Tag gebotenen Bestimmungen des Gesetzes zum Gottesdienst fordern. Im dritten Monat der Belagerung nämlich drangen die Römer, nachdem sie mit Mühe einen der Türme zerstört hatten, in das Heiligtum ein. [...] Da verharrten viele Priester, ob sie auch die Feinde mit dem Schwert in der Hand auf sich zukommen sahen, ruhig bei dem Gottesdienst; beim Ausgießen des Trankopfers wurden sie hingeschlachtet und bei der Darbringung des Räucherwerkes, und so achteten sie ihre Rettung geringer als den Gottesdienst. Sehr viele wurden aber von den Widersachern im eigenen Volk getötet, und von den Abhängen stürzten sich Ungezählte selbst hinab. Einige zündeten auch die Gebäude an der Mauer an, wahnsinnig wegen ihrer Hilflosigkeit, und wurden mit verbrannt. Von den Juden kamen 12000 ums Leben, bei den Römern gab es nur ganz wenig Tote, aber Verwundete in größerer Zahl. Nichts aber traf unter den Nöten das Volk so sehr wie die Tatsache, dass das bis dahin nie gesehene Heiligtum vor den Fremden bloßgelegt wurde: Pompejus ging mitsamt seiner Umgebung in den Tempel ein, wohin einzugehen heiliges Recht nur dem Hohepriester gestattet; er betrachtete, was darin war, Leuchter samt Lampen, Tisch und Opferschalen und Räuchergefäße, alles ganz voll von Gold, große Vorräte an Räucherwerk und den heiligen Schatz, an 2000 Talente. Weder diesen noch etwas anderes von den heiligen Kostbarkeiten rührte er jedoch an; im Gegenteil, er gebot am ersten Tag nach der Eroberung den am Tempel Bediensteten, das Heiligtum zu reinigen und die gewohnten Opfer darzubringen.“ (2)



Psalm Salomos 17,1-16

 

01      „Herr, du selbst bist unser König immer und ewig;
          ja, in dir, o Gott, soll unsere Seele sich rühmen.

02      Und was ist die Lebenszeit des Menschen auf Erden?
          Seiner Zeit entspricht auch seine Hoffnung auf sie.

03      Wir aber wollen hoffen auf Gott, unseren Retter;
          denn die Stärke unseres Gottes ist auf ewig mit Barmherzigkeit,
          und das Königtum unseres Gottes ist in Ewigkeit über den Heiden mit Gericht.

04      Du, Herr, erwähltest David zum König über Israel ,
          und schworst ihm für seinen Samen in Ewigkeit,
          dass sein Königtum vor dir nicht aufhöre.

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift V/1 (2005), 70

05      Aber in unseren Sünden standen Sünder auf wider uns,
         griffen uns an und stießen uns fort;
         <was du nicht verheißen hattest>, das rissen sie an sich mit Gewalt,
         und sie priesen nicht deinen teuren Namen.

06      In Herrlichkeit errichteten sie ein Königtum aufgrund ihres Hochmuts,
         sie verwüsteten Davids Thron in lärmendem Übermut.

07      Du aber, o Gott, wirst sie niederwerfen und ihren Samen
          von der Erde wegnehmen,
          indem sich gegen sie ein Mensch, der unserem Geschlechte fremd ist, erhebt.

08      Nach ihren Sünden wirst du ihnen vergelten, o Gott;
          lass ihnen geschehen nach ihren Taten.

09      Gott <wird> sich ihrer nicht erbarmen;
          er wird ihr Geschlecht durchforschen und nicht einen von ihnen zurücklassen.

10      Treu ist der Herr in allen seinen Urteilen, die er vollzieht auf Erden.

11      Der Gesetzlose entblößte unser Land von seinen Bewohnern,
          sie vertilgten jung und alt mitsamt ihren Kindern;

12      im Zorn [...] sandte er sie fort bis zum Westen,
          und die Fürsten des Landes (machte er) zum Spott, und er zeigte keine Schonung.

13      In seiner Fremdheit übt der Feind Übermut,
          und sein Herz war fremd von unserem Gott.

14      Und alles, was er in Jerusalem tat,
          (war so,) wie es auch die Heiden in (ihren) Städten <ihren Göttern> (tun).

15      Aber mitten unter den zusammengewürfelten Völkern übertrafen die Söhne
          des Bundes sie;
          unter ihnen war keiner, der Barmherzigkeit und Treue in Jerusalem übte.

16      Die da liebten die Versammlungen der Frommen, flohen von ihnen,
          wie Vögel wurden sie verstreut von ihrer Wohnung.“ (3)

 

Literatur

Bellen, Heinz: Grundzüge der römischen Geschichte. Erster Teil: Von der Königszeit bis zum Übergang der Republik in den Prinzipat, Darmstadt 1994

Fohrer, Georg: Geschichte Israels. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wiesbaden, 4. Auflage, 1985

Flavius Josephus: De Bello Judaico. Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, Band I: Buch I-III. Hrsg. u. mit einer Einleitung sowie mit Anmerkungen versehen von Otto Michel und Otto Bauernfeind, München, 3. Aufl. 1982

                                       Pegasus-Onlinezeitschrift V/1 (2005), 71

Gunneweg, Antonius H.J.: Geschichte Israels bis Bar Kochba, Stuttgart, 4. Aufl. , 1982

Holm-Nielsen, Svend: Die Psalmen Salomos, in: Werner Georg Kümmel (Hg.), Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Bd. IV, Lieferung 1-3, Poetische Schriften, Gütersloh 1974/1977/1983

Maier, Friedrich: Lateinunterricht zwischen Tradition und Fortschritt, Bd. 3: Zur Praxis des lateinischen Lektüreunterrichts, Bamberg 1985.

Müller, Karlheinz: Studien zur frühjüdischen Apokalyptik (Stuttgarter Biblische Aufsatzbände 11), Stuttgart 1991



PD Dr. Harald Schwillus
Holsteinische Str. 5
12163 Berlin

_______________________ 

(1) Maier, 81-131
(2) Übersetzung aus: Flavius Josephus, De Bello Judaico. Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, Band I: Buch I-III. Hrsg. u. mit einer Einleitung sowie mit Anmerkungen versehen von Otto Michel und Otto Bauernfeind, München 3 1982, S.39-41
(3) Übersetzung aus: Svend Holm-Nielsen, Die Psalmen Salomos, in: Werner Georg Kümmel (Hg.), Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Bd. IV, Lieferung 1-3, Poetische Schriften, Gütersloh 1974/1977/1983, S. 97-101