zurück     |       |   Seite drucken    

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 68

Bernhard Kytzler

Horaz im Gespräch -
Ein Interview mit einem Einzigartigen

Teil 2: Zur Poesie

Die Antworten erteilte Q. H. F., Romanus, im VIII. Jhdt. der STADT.
Die Fragen stellte Bernhard Kytzler, Silesius, im 21. Jhdt. nach CHRISTUS.

Wir haben gestern gründlich mit Ihnen über Ihr Leben und Ihre Erfolge gesprochen, wir haben Ihre persönlichen Gepflogenheiten erörtert und Ihre individuellen Ansichten. Nun treten Sie aber ins Licht der weiteren Öffentlichkeit: als Verfasser des Prozessionsliedes für die nationale Jahrhundertfeier - ein grosses Ereignis für das ganze Imperium! Wir alle möchten daher von Ihnen genauer hören, wie Sie zur Kunst stehen. Womit haben Sie denn Ihre poetische Produktion begonnen? War da nicht auch Ärger mit im Spiel?

Ach diese Nachäffer! Dieses Sklavenpack! Wie oft hat es mir die Galle erregt mit seinem tollen Treiben! Und Gelächter gab`s auch genug! [epist. 1, 19, 19f.]

Aber Sie selbst? Was war Ihr eigener Beitrag?

Als erster habe ich auf unberührtem Grunde frei meine Spuren gesetzt, habe nie mit meinem Fuß je fremde berührt. Wer sich selbst vertraut, der lenkt als Anführer den Schwarm. [epist. 1, 19, 21-23]

Und konkret? Was haben Sie damals geschaffen?

Ich war es, der als erster die Jamben aus Paros nach Latium gebracht hat. Dem Rhythmus und dem Geiste des Archilochos bin ich gefolgt, jawohl, aber beileibe nicht seinen Themen - und schon gar nicht seinen scheltenden Attacken gegen Lykambes. [epist. 1, 19, 23-25]

Ihr „Buch der Jamben“ gibt gelegentlich gute Ratschläge...

Kein Rat sei richtiger als dieser: zu gehen, wo immer auch die Füsse tragen, wohin auch durch die Wogen Notus, der Südwind, uns rufen wird oder der heftige Sturm aus Afrika. [epod. 16, 21f.]

Sie meinten damals, Rom sei so zerrüttet, dass man es hinter sich lassen und zu jenen utopischen ‚Inseln der Seligen’ auswandern sollte?

Unser harrt der erdumgürtende Ozean! Die Seligen Fluren suchen wir, die Fluren dort und die reichbeglückten Inseln, da, wo uns ohne Ackern die Erde Getreide schenkt Jahr für Jahr, wo ohne Schnitter immer weiter wächst der Wein... [epod. 16, 41-44]

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 69

Sie sagen das sehr poetisch! Aber erst der ‚Spruch der Geschichte' hat später dann bei Aktium entschieden, was in der Wirklichkeit zum Frieden führte.

Zu Lande wie zu Wasser besiegt, hat der Feind den Purpurmantel  vertauscht mit dem düsteren Trauerkleid - schön ist es jetzt für uns, Sorge und Furcht um Caesars Erfolg zu lösen in der süßen Gabe des Gottes Bakchos. [epod. 9, 27 f., 37 f.]

Was kann denn Dichtkunst überhaupt erreichen? Was ist ihre Wirksamkeit?

Den Saiten gewährte es die Muse, von Göttern und von der Götter Söhnen zu melden, vom Sieger im Faustkampf, vom Pferd, das im Rennen das erste, von junger Leute Liebesleid, und vom befreienden Wein. [ars 83-85]

Das sind also Ihrer Ansicht nach die Themen der Lyrik?

Der Dichter besingt Götter, und Könige, der Götter Geblüt, oder auch jene, die aus Elis nach Hause zurückgeleitet die Siegespalme, göttergleich; er besingt Faustkämpfer und Pferd, beschenkt sie so reicher als mit der Gabe von hundert Statuen; beklagt auch der weinenden Braut den dahingerafften Jüngling, führt seine Kräfte, den Geist, die Gesinnung, goldstrahlend hinauf zu den Gestirnen und entreisst sie so dem finsteren Orkus. [carm. 4, 2, 13-24]

Haben Sie denn selbst auch alle diese Arbeiten ausgeführt? All diese Anliegen angesprochen?

Ein grosser Braus trägt empor Dirkes Schwan, wann immer er aufstrebt zu den hohen Wolkenzügen; ich aber, nach der Biene vom Matinus Art und Weise, die angenehmen Thymian sammelt mit viel viel Mühe, ich bilde, nahe beim Hain, an des feuchtkühlen Tibur Ufern, bescheiden meine Gesänge, reich an Arbeit. [carm. 4, 2, 25-32]

Sie sprechen von Dirkes Schwan - war also Pindar Ihr Vorbild?

Die Leier wurde zuerst gestimmt auf Lesbos, von einem Bürger, der, wild im Krieg, dennoch inmitten der Waffen oder, wenn er nach den Wirbeln festgemacht sein Schiff, den Bakchos besang und die Musen, auch Venus und den ihr immer an der Seite haftenden Knaben; und dann auch Lykos, den Schönen, mit seinen schwarzen Augen, mit seinem schwarzen Haar... [carm. 1, 32, 5-12 ]

Ist dann also Alkaios Ihr eigentliches Vorbild?

Sappho, auf Lesbos, auf äolischen Saiten klagend über die Mädchen aus ihrer Heimat, und Alkaios, in vollerem Ton, mit dem goldenen Plektron, besingend die Härten zu Schiff, die schlimmen Härten der Flucht des Verbannten, die Härten des Krieges: sie beide singen Lieder, wert heiligen Schweigens. [carm. 2, 13, 24-28]

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 70

Lobpreis zum einen, trauernde Klage zum anderen sind nach diesen Ihren Worten Anteil der Dichtkunst; und auch der Liebe Leid und Lust. Ist da noch mehr zu nennen?

Den zarten, noch stammelnden Mund des Knaben formt der Dichter, lenkt sein Ohr schon jetzt fort von anstößigen Reden, bildet schon bald seine Brust mit freundlicher Vorschrift, bessert Eigensinn, Neid und Zorn. Rühmliche Taten erzählt er, den heranwachsenden Jahren stellt er edle Beispiele vor Augen; er tröstet den Armen und den Bekümmerten. Von wem wohl würden reine Knaben und unvermählte Mädchen Gebetshymnen lernen, hätte uns die Muse nicht den Sänger geschenkt? Hilfe erbitte der Chor und fühlt die Nähe der Gottheit; Wasser vom Himmel erfleht er, bittend mit dem erlernten Gebet; er wendet Krankheiten ab, verbannt furchtbare Gefahren, erlangt Frieden und Reichtum an Früchten dem Jahre: Mit Gesängen gewinnt man der Götter Gunst, mit Gesängen versöhnt man der Unterwelt Manen. [epist. 2, 1, 126-138]

Sie haben ja für Ihre Poesie, vor allem auch von hoher und höchster Seite viel Zustimmung erfahren. Sie haben eigentlich volle Anerkennung gefunden. Aber es hat da wohl auch einige Kritik gegeben...

Bisweilen sieht dass Volk die Dinge durchaus richtig; mitunter kommt es auch vor, dass es fehlgeht. [epist. 2, 1, 63]

Das Volk, sagen Sie; was aber ist mit den Kunstkennern?

Sie möchten wohl wissen, warum der Leser undankbar meine kleinen Produkte daheim zwar lobt und liebt, doch sie tadelt jenseits der häuslichen Schwelle, und das ganz zu Unrecht? [epist. 1, 19, 35 f.]

Und was ist da Ihre Antwort?

Ich bin der Mann nicht, des wetterwendischen Pöbels Stimmen zu kaufen mit dem Aufwand von Gastmählern und der Gabe abgetragener Gewänder; ich bin der Mann nicht, so genannter ‚berühmter’ Verfasser Werke geduldig anzuhören und hernach notfalls Rache zu nehmen; den Scharen der Kunstrichter zu schmeicheln und den Professorenpulten! Daher diese Tränen! [epist. 1, 19, 37-41]

Hat Sie dieser Neid all Ihr Leben lang verfolgt?

Roms, der Fürstin der Städte, Jugend achtet es wert, mich unter die liebenswerten Chöre der Sänger einzureihen - und schon nagt minder an mir des Neides Zahn! [carm. 4, 3, 13-16]

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 71

Verdanken Sie das Ihrer eigenen Leistung? Oder irgendwelcher hochgestellten Förderung?

Dass auf mich weist der Finger der Vorübergehenden, auf mich als den Spielmann der römischen Lyra - ganz ist diese Gabe von Dir, Pierische Göttin! Dass ich atme und dass ich gefalle, wenn ich gefalle, ist Dein! [carm. 4, 3, sub fine]

Gibt es dabei Änderungen im Laufe der Lebensjahre?

Mein Alter und mein Denken, beides ist nicht mehr wie früher. Da tönt mir oft eine Stimme ins Ohr: „Sei vernünftig, spanne rechtzeitig aus das alternde Rennpferd, damit es nicht sonst noch als Letztes stolpert und zum Gelächter dahinkeucht.“ Also lege ich jetzt meine Verse beiseite und all den übrigen Tand; was wahr, was geziemend, dem gilt mein Sorgen und Fragen, darin geh ich ganz auf. [epist. 1,1,4;7-11]

Dann erlauben Sie uns, bitte, unser Abschlussgespräch morgen mit Ihnen zu führen über das Philosophische in Ihrer Poesie, über Lebenshaltung und Lebensführung. Wir danken Ihnen für unser heutiges Gespräch.

 

Prof. Dr. Bernhard Kytzler
Durban, Südafrika