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                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 63

Bernhard Kytzler

Horaz im Gespräch -
Ein Interview mit einem Einzigartigen

Teil 1: Zum Leben

Die Antworten erteilte Q.H.F., Romanus, im VIII. Jhdt. der STADT.
Die Fragen stellte Bernhard Kytzler, Silesius, im 21. Jhdt. nach CHRISTUS.

Sie haben von allerhöchster Stelle die Einladung erhalten, für das demnächst anstehende Jahrhundertfest der STADT und des IMPERIUMS  das offizielle Prozessionslied zu komponieren. Die Öffentlichkeit würde darum gern mehr über Sie erfahren: Wo Sie herkommen,was die Stationen ihres Lebensweges waren...

Ob ich aus Lukanien oder aus Apulien herkomme, das weiss ich selbst nicht ganz genau. [sat. 2, 1, 34]

Wie denn das?

Der Bauer aus Venusia ackert an der Grenzmark beider Provinzen. Als seinerzeit die Sabeller verjagt worden waren, da wurden, so berichtet eine alte Legende, unsere Kolonisten hierher gesandt, um für Rom die Lücke zu schließen, sei es dass der apulische Stamm, sei es, dass Lukanien, wild wie es ist, Krieg anzettelt. [sat. 2, 1, 35-39]

Sind Sie denn selbst noch von dieser, wie Sie sagen, Wildheit der Vorfahren erfüllt?

Dieser mein Griffel hier wird von sich aus keine lebende Seele angreifen. Er soll mich nur so weit schützen wie ein Schwert, das in der Scheide ruht: Warum sollte ich es zu ziehen versuchen, wenn ich vor feindseligen Räubern sicher bin? [sat. 2, 1, 39-42]

Und Ihre Familie?

Ich bin eines Freigelassenen Sohn; ja, ich stamme aus niederem Stande. Was meiner Herkunft abgeht, das ersetzt die eigene Leistung. [epist. 1, 20, 20-22]

Dessen sind Sie gewiss?

Die ersten Männer Roms haben mir ihre Anerkennung gezollt, im Feld wie im Frieden. [epist. 1, 20, 23]

Und Ihre Ausbildung? Sie begann doch wohl in der Heimat?

 

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Ich erinnere mich noch recht gut, wie der schlagkräftige Schulmeister Orbilius mir als kleinem Jungen die Literatur eingebleut hat. [epist. 2, 1, 70f.]

Hat demnach vor allem dieser merkwürdige Mann Ihren Werdegang beeinflusst?

Wenn mir niemand etwas vorwerfen kann, weder Habsucht noch Geiz noch gemeine Genusssucht, wenn meine Freunde mich schätzen, dann war mein Vater der Grund für all dieses. [sat. 1, 6, 68-71]

Und wie ging das vor sich?

Er hat, arm wie er auch war und wie winzig auch sein Landgut , mich doch nicht in die örtliche Schule schicken wollen  -  nein, er hat es gewagt, seinen Sohn zum Unterricht nach Rom zu senden. Dort sollte ich die Fächer lernen, die jeder Ritter und Senator die eigenen Kinder lernen lässt. [sat 1, 6, 71-78]

Sind Sie da im Rahmen dieser Oberschicht als einfacher Provinziale ungut aufgefallen?

Wenn jemand meine Ausstattung, Gewand, Gefolge genauer angesehen hätte, hätte er gewiss gedacht, dieser Aufwand käme aus altererbtem Vermögen. [sat. 1, 6, 78-80]

Wollte denn Ihr Herr Vater hoch hinaus mit Ihnen?

Im Gegenteil, er fürchtete nicht, es könnte ihm als Vorwurf ausgelegt werden, wenn ich später einmal als Ausrufer oder wie er selbst als Versteigerer geringem Verdienst nachginge. Und ich selbst hätte mich auch nicht beklagt! Umso grössere Dankbarkeit schulde ich ihm jetzt. [sat. 1, 6, 87f.]

Sie hatten also eine glückliche Jugend?

Wenn die Natur mir den Befehl gäbe, die verflossenen Jahre zurückzugehen und mir andere Eltern zu wählen, dann würde ich mir keine hochgestellten Amtsträger wünschen; ich wäre ganz und gar mit den meinen zufrieden. [sat 1, 6, 88-97]

Was haben Sie nun alles in dieser Ihrer Eliteschule gelernt?

Rom, so wollte es mein Glück, liess mich wachsen und lernen, "wie sehr der Zorn des Achill den Griechen geschadet." [epist. 2, 2, 41f.]

Homers Ilias haben Sie also in der heimatlichen Hauptstadt kennen gelernt. Haben Sie eigentlich nur in Rom studiert?

Das liebe Athen vertiefte ein wenig meine Erziehung; ich strebte von nun an danach, das Rechte vom Schlechten zu scheiden. [epist. 2, 2, 43f.]

 

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Welcher Schule haben Sie denn angehört?

In den Hainen der platonischen Akademie wollte ich die Wahrheit suchen. [epist. 2, 2, 45]

War das nicht zu der Zeit, als die Kämpfe zwischen den Cäsarerben und den Cäsarmördern ausbrachen? Brutus & Cassius versus Antonius & Octavian alias Augustus?

Ja, harte Zeiten vertrieben mich von jenem erfreulichen Orte. Ich war ja unkundig des Kämpfens, doch die Wogen des Bürgerkrieges trugen mich zu den Waffen. Allerdings sollten die den Armen des Caesar Augustus nicht standhalten. [epist. 2, 2, 46 - 48]

Waren Sie gemeiner Soldat?

Mir als Militärtribun gehorchte eine ganze römische Legion! [sat. 1, 6, 48]

Aber Ihr Engagement galt leider doch der falschen Seite, der  unterliegenden. In der Schlacht bei Philippi wurden alle Hoffnungen zerschlagen.

Sobald ich mich aus dem Desaster von Philippi gerettet sah, gestutzt meine Schwingen, gedemütigt, mittellos, ohne des Vaters Haus in der Stadt und sein Gut auf dem Lande, da trieb mich die Armut dazu an, kühn  mich ans Verseschmieden zu machen. [epist. 2, 2, 49-52]

Als frischgebackener Poet sind Sie dann Ihrem ‚Mäzen' Maecenas begegnet. Sie waren etwa achtundzwanzig...

Das Treffen war kein Zufall; Vergil, ein wunderbarer Freund, und danach auch Varius sagten ihm, was an mir ist. Als ich dann vor ihm stand, konnte ich nur stockend wenige Worte herausbringen - wortlos in meiner Scheu vermochte ich nicht weiter zu reden. Und ich konnte ja auch nicht von meiner vornehmen Abstammung berichten. So erzählte ich eben nur das, was ich war. Wie's seine Art ist, kam keine Antwort. Ich gehe fort. Werde nach neun Monaten zurückgerufen und in den Kreis der Freunde aufgenommen. [sat. 1, 6, 54-62]

Sie haben dann auch einen erfreulichen Landsitz nicht allzu weit von Rom als Geschenk erhalten?

Wenn Sie sich eine fortlaufende Hügelkette vorstellen, unterbrochen durch ein schattiges Tal, doch so, dass die aufgehende Sonne die rechte Seite sieht, bei ihrem Fortgang auf scheidendem Wagen aber die linke Seite wärmt, so dürften Sie das Klima gewiss loben. Und was würden Sie erst sagen, wenn Sie wissen, dass die Hecken rote Kirschen und Pflaumen in Fülle tragen? Dass Eiche und Steineiche mit vielfältiger Frucht das Vieh erfreuen und den Besitzer mit vielfachem Schatten? Sie könnten wohl sagen, Tarent sei mit seinem Grün näher an Rom herangerückt!

 

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Dazu auch eine Quelle, reich genug, einem Bach seinen Namen zu geben; der Hebros fliesst nicht kühler noch reiner durch Thrakien! Sie strömt hier, hilfreich einem kranken Kopf, hilfreich auch dem Magen. Dieser  Zufluchtsort, so freundlich, ja wenn Sie mir glauben könmen, so bezaubernd, er erhält mich unversehrt selbst in heißen Septembertagen. [epist. 1, 16, 5-16]

Als Vierundvierzigjähriger haben Sie Ihre Person, d.h. sich selbst beschrieben, und das mag auch heute noch gelten...

Ich bin klein von Statur, das Haar früh ergraut für Sonne empfänglich; rasch zornentbrannt, doch dann auch wieder leicht zu versöhnen. [epist. 1, 20, 24f.]

Besucher sind Ihnen willkommen?

Wer lachen will, der soll mich aufsuchen - fett und glänzend wird er mich finden, ein Schweinchen aus Epikurs Herde. [Epist. 1, 4, 15f.]

Da erwähnen Sie uns nun, nach Platon, erstmals einen anderen Philosophen; war Epikur Ihnen wirklich wichtig?

Damit Sie nicht erst fragen, bei welchem Führer, in welcher Heimstatt ich mich berge: Keinem habe ich mich ergeben, bei des Meisters Worten zu schwören. [epist. 1, 1, 14]

Wie verbingen Sie denn Ihren Tag?

Wohin es immer mir Spass macht, da gehe ich hin, ganz allein, erkundige mich nach dem Preis von Kohl und von Korn. Durch den gaunerverdächtigen Zirkus schlendere ich, auch über den abendlichen Marktplatz noch oft, bleibe auch bei den Wahrsagern stehen. Schliesslich gehe ich nach Hause, zur Schüssel mit dem Salat und den Erbsen und Fladen. Nur drei Diener reichen das Mahl, der weißliche Steintisch trägt zwei Becher samt Schöpfkelle; daneben steht noch ein Mischkrug, ganz billig, eine Kanne mit Schale, kampanischer Hausrat. Und dann, dann geh ich schlafen, unbesorgt morgens aufstehen zu müssen in aller Frühe. [sat. 1, 6, 111-120]

Und wie geht es am nächsten Tag weiter?

Bis gegen zehn bleib ich liegen; dann geh ich spazieren oder ich lese oder schreibe stillvergnügt; salbe mich mit Olivenöl. Bin ich müde, ruft mich die schärfere Sonne zum Bade, ich lasse das Marsfeld hinter mir und das Dreiballspiel. Dann ein Imbiss, nicht üppig, nur so viel, dass ich den Tag ohne leeren Magen durchstehe. Danach zu Hause Siesta. So geht das Leben dahin, hat man erst einmal Abschied genommen vom elenden Ehrgeiz mit all seiner Bürde. [sat. 1, 6, 122 - 131]

 

                                     Pegasus-Onlinezeitschrift VI/1 (2006), 67

Ich fürchte, wir müssen auch selbst für heute von Ihnen Abschied nehmen, um Ihnen nicht zu lange lästig zu fallen. Bitte seien Sie so freundlich, uns auch morgen noch das eine oder andere über Ihr Leben und Ihr Werk zu sagen. Und seien Sie bestens bedankt für Ihre freimütigen Auskünfte und Ihre beitwilligen bunten Beschreibungen.

 

Prof. Dr. Bernhard Kytzler
Durban, Südafrika